Als die letzten überlebenden Opfer der Gelben Wut sich von ihren Krankenlagern erhoben hatten, wurde in Südmoor das Erntedankfest, welches auf so schreckliche Weise unterbrochen worden war, gründlich nachgeholt. Zwei Tage und zwei Nächte dauerten die Festlichkeiten, und gedankt wurde dem Schöpfer nicht nur für die reichliche Ernte, sondern vor allem dafür, dass er ihnen in der Stunde ihrer Not fünf Helden zur Hilfe geschickt hatte! Den Helden selbst wurde auch gedankt.
Doch drei davon wurden allmählich unruhig und wollten zu Beginn des dritten Tages endlich aufbrechen, jeder aus einem anderen Grund.
Sheldon befürchtete, dass doch einer der Dorfbewohner ihn hatte zaubern sehen und womöglich schon unterwegs war, ihn beim zuständigen Bannherren anzuschwärzen. Bloß, weil alle hier zu der alten Heilerin Stoyanka hielten und niemand sie in den letzten zwanzig Jahren, trotz ihrer ungeniert offenen Zauberei, verraten hatte, hieß das noch lange nicht, dass man für ihn das gleiche riskierte. Immerhin stand es in diesem Land unter Strafe, einen Apostaten zu verstecken. Außerdem hatte Sheldon sich hier nicht nur Freunde gemacht, vielmehr auch zwei Feinde: Bogdan, den Schmied, der die erkrankten Dorfbewohner unbedingt hatte töten wollen, bevor sie zu mordenden Berserkern würden, und Ser William, den Anführer des hiesigen Forts, welches dasselbe vorhatte. Beide dürften über die Rettung der Erkrankten – wegen des Gesichtsverlusts für sie selbst – mehr erbost denn erfreut sein.
Doch wohin sollte Sheldon gehen? Sein ursprünglicher Plan, bei den Chasindi Zuflucht zu suchen, schien ihm nicht mehr ratsam angesichts der sich mehrenden Berichte und Gerüchte, dass immer öfter – und immer größere – Finsterbrut-Trupps in der Korcarischen Wildnis gesehen würden, oder zumindest Spuren ihrer Verwüstung.
Nun klang das, was seine neue Bekannschaft über ihr Volk, die Talelfen berichtete, auch sehr gut. Na ja, bis auf die Tatsache, dass man dort keine
shemlen – also Menschen – mochte. Gegen Magier hatten sie jedenfalls nichts. Tatsächlich wurde jeder ihrer Wagenzüge von einem Magier oder einer Magierin angeführt, die sich selbst 'Hüter' nannten. Und wenn er das richtig verstand, so übten diese Hüter ihren Einfluss ganz ohne die Hilfe von Blutmagie aus – jene bei ihm Zuhause allgegenwärtige Praxis, deren Nutzen er so gar nicht einsehen wollte, da die Risiken unendlich viel höher waren.
Sollte er es also bei den Talelfen versuchen? Vielleicht ließe Tama Na Gara sich überreden, ihn bei ihrem Zug einzuführen?
Das war einfacher, als gedacht, denn
Tama Na Gara war genauso unruhig wie er, aus ähnlichem Grund. Das mit der Finsterbrut in der Korcarischen Wildnis, das machte ihr Sorgen. Bis vor kurzem war das nämlich nur ein Gerücht gewesen, das niemand zuhause ernst nahm, denn die
shemlen redeten andauernd von finsteren Mächten, denen man nur durch den rechten Glauben an ihren Schöpfer, dessen "Braut" Andraste, sowie den von ihr verfassten Lichtgesang entkommen könnte.
Doch nun schien es fast so, als sei an diesen Gerüchten doch etwas dran. Zwar hatte sie keine Finsterbrut gesehen – man war ja auch nur zwei Tage weit gen Süden gereist – war dafür aber von verseuchten Tieren und Menschen angegriffen worden, die sich in etwas verwandelt hatten, das ihrer Vorstellung von Finsterbrut schon sehr nahe kam.
Tama musste unbedingt zu ihrem Zug zurück und dem Hüter von den Geschehnissen hier berichten!
Wolf Moradin wollte inzwischen auch nur noch von hier fort – obwohl ihm das Bier mit jedem Tag besser schmeckte und er am Tag zuvor sogar überlegt hatte, sich hier niederzulassen. Alle waren so nett zu ihm! So sollte es in einer Familie zugehen. Vielleicht würde man ihn hier wie ein Familienmitglied aufnehmen, wenn er nur bliebe.
Denn für einen Zwergen war Familie das wichtigste, und da die seine ihn ausgestoßen hatte – gar gezwungen, Orzammar zu verlassen – so wollte er sich eben eine neue suchen.
Doch eine Familie musste nicht nur freundlich zu ihm sein, sondern ihn, wenn es brenzlig wurde, auch beschützen können, so wie er sie beschützen würde. Und ob die Menschen in diesem Dorf das vermochten, wagte er zu bezweifeln.
Doch seine neuen Bekannten schienen beide Bedingungen zu erfüllen. Die waren echt nicht schlecht: dieser Mensch da, der so gern bunte Blitze aus seinem Holzstecken auf Gegner schoss und dann rasch behauptete, nicht zaubern zu können – inzwischen mit zwinkerndem Auge! Und dann die Elfe, die schneller auf einem Baum war, als man gucken konnte, aber dann die Gegner mit ihren Pfeilen auf dem Schlachtfeld das Tanzen lehrte. Ja, die beiden waren nach seinem Geschmack. Und eine Familie schienen sie so recht eigentlich auch nicht zu besitzen. Ja, zu dritt wären sie alle besser dran!
Das sagte er den beiden auch an jenem Morgen, und man pflichtete ihm bei.
"Auf, dann!" rief Wolf begeistert.
"Lasst uns gemeinsam losziehen!""Wegen mir gern", sagte Tama Na Gara, und Sheldon nickte zustimmend.
"Wir wollen allerdings zu den Elfen, welche in den Tiefen des Brecilischen Waldes wohnen", fügte der Mensch hinzu.
"Ich weiß ja nicht, ob du auch dahin möchtest.""Wohin ist mir gleich, solange wir nur zusammen dorthin gehen", versicherte Wolf ihm unbekümmert.
Und so brachen die drei noch am selben Vormittag in Richtung Nordosten auf.
Gut zwei Wochen später tauchte Waldheim, die letzte menschliche Siedling auf dem Weg zum Elfenwald, am Horizont auf. Bis zum Abend konnte man dort sein, wenn man stramm marschierte.
Doch es sollte anders kommen...
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