Der Schmied hörte dem Redner zu, aber die Hoffnung auf sinnvolle, spezifische Informationen über die Vecorianer versiegte schnell. Stattdessen begegneten sie einem misanthropischen Selbstdarsteller, welcher mit jeder Menge Zynismus, den er aus seinem Dogma gewann, lieber seine Brüder und Schwester in den Tod schickte als ihnen wirklich behilflich zu sein. Entweder war der Priester ein unzufriedener, verbitterter Mann oder er legte seinen Glauben in eine sehr pervertierte Richtung aus. Vielleicht verstand Kaveh auch einfach seine Art der Sprache nicht, weil Kaveh im Herzen eben kein Vecorianer war, andererseits war Kaveh auch ein Mann, der versuchte durch Vorbild und nicht durch schöne Worte zu führen. Vielleicht verstand Kaveh deswegen den Grund der Worte des Priesters nicht. Wie würde es wohl aussehen, wenn der Priester diese Prüfung nochmal durchstehen müsste? Ohne hilfreiche Wasserzauber und ohne all den Komfort ihrer technischen Errungenschaften, ohne Kamel und dergleichen. Wäre er ein guter Anführer, der seinen Auftrag ernst nahm, würde er die Leute einladen mit ihm zu ziehen und sie auf den Weg anzuleiten, welcher ihre Religion war. Stattdessen verlor er sich in Selbstbeweihräucherungen und schwammigen Glaubensaussagen, welche er immerhin mit Inbrunst vertrat. Dass er aber so überzeugt von seinen Worten war, ließ eine ganz andere Frage in Kaveh gären: wie viele Vecorianer waren in Wirklichkeit Misanthropen? Es könnten viele sein, denn aus der Verachtung der Imperfektion des Menschen erwuchs bei jenen, welche sich über ihnen wähnten, gleichzeitig auch immer eine paranoide Angst doch selbst imperfekt zu sein und von den unterlegenen Menschen doch übertrumpft zu werden. Eine Angst oder für reflektierende Vecorianer eine Furcht, welche die Tyrannei an sich teilte und sich in den Gläubigen von Vecor, gerade jenen, die sich im näher als andere fühlten, wahrscheinlich verdoppelte. Kaveh beschloss dies als Erkenntnis mit aus dem Gottesdienst zu nehmen. Diesen verließ Kaveh ohne ein weiteres Wort an den Adeodaten zu verlieren, schließlich hatten sie einen Treffpunkt ausgemacht, an dem sie sich treffen würden und übermäßig viele Ohren bedeuteten übermäßig viel Gefahr, also schwieg Kaveh und trennte sich mit Badawi von dem Adeodaten, um ihn erst am Treffpunkt wiederzutreffen.
Kaveh bewegte sich schließlich nach dem Gottesdienst zum eigenen Zelt zurück, um sich auf das Treffen mit dem Adeodaten vorzubereiten. Leider waren seine oberflächlichen Gedanken auf Vecor geprägt, sodass ein Zauber zu verwirrenden Ergebnissen über seinen inneren Zustand kommen mochte. Doch Kaveh hatte keine Zeit dies zu ändern und es war an diesem Ort zu gefährlich, weil er einen zeitlichen Vorlauf und das Gebet an Hrâun dazu brauchte. Aber Kaveh bewaffnete sich wieder, in dem er zumindest seinen Stoßdolch unter seine Kleidung brachte, und schaute nach Mustafa und Tiatha, welche wahrscheinlich nach dieser anstrengenden Reise noch schliefen. Nachdem er sie, wenn sie nicht schliefen, über das Treffen informierte, brach er mit Badawi zum Treffpunkt auf.
"Der Adeodat war sehr nervös, wir sollten auf unseren Selbstschutz achten.", riet Kaveh dem Wüstendruiden, kurz bevor sie zur Schenke gingen.
An der Schenke angekommen, sahen sie den Adeodaten schon auf der Ostseite des Gebäudes stehen, wie er im Halbdunkel an der Wand lehnte. Ein Bein angewinkelt, da die Fußsohle sich an der Hauswand abstützte. Kaveh trug wie fast immer seine Kapuze aufgesetzt, sodass sein Gesicht nur im direkten Licht wirklich zu sehen war. In Anbetracht von Mücken und anderer lichtaffiner Tiere, die einem um den Kopf summen mochten, war diese Tracht aber nicht sonderlich ungewöhnlich. So bewegte sich der Inquisitor des Hrâun mit selbstverständlichen Bewegungen über die Oase und schließlich auf den Adeodaten zu. Jedoch versuchte er seine Umgebung im Auge zu behalten, auf besondere Geräusche, Gerüche oder Eindrücke zu achten, damit ihr Gespräch möglichst unbemerkt, aber wenn bemerkt, doch wie selbstverständlich ablaufen konnte
[1].
Kaveh grüßte den Mann mit einer lockeren und gewöhnlichen Begrüßung, in dem er die Hand hob und sich dazu stellte.
"Schöner Abend, nicht wahr?" Und sprach dann leiser.
"Wie jeder Abend ein schöner Abend ist, wenn man in Vecors Rücken einen Weisen entdeckt, welcher ein wahres und rechtes Ziel verfolgt. Seid bedankt, dass ihr euer Leben nicht vor dessen Zweckerfüllung beendet habt." Kaveh war freundlich und zurückhaltend, sprach leise, aber ohne zu flüstern.
"Wer war euer Ziel? Der Priester, der sein eigenes Volk mehr hasst, als dass er es liebt oder ein bestimmtes Ziel unter den Anwesenden? Die anwesende Menge selbst?" Kaveh wich immer wieder von diesen Fragen ab, falls Menschen in der Nähe waren und fragte dann danach, ob der Mann nicht Töpferwaren erwerben wolle zu Vorzugspreisen, wenn er sich noch vor dem nächsten Gottesdienst zum Kauf entschied.
"Ich bin übrigens Kaveh Ahangar.", verriet der Inquisitor freigiebig seinen Namen, um erweitertes Vertrauen zu schaffen, behielt den Mann aber im Auge. Ob er immer noch so nervös war und ob seine Worte, die er äußerte, vielleicht unwahr waren
[2]? Dabei schlug Kaveh vor, während des Gespräches etwas spazieren zu gehen, um so immer den Standort zu verändern und stationären Zuhörern und Beobachtern die Sache schwerer zu machen. Kaveh machte dabei noch keine Andeutungen darauf, dass er ihm helfen konnte oder wollte, denn dies hatte er schon während des Gottesdienstes getan. Erst einmal, wollte er vorsichtig beginnen und dies versuchte er freundlich.