Die Bauerntochter (Kindheit und frühe Jugend) (Anzeigen)
Geboren wurde Lîf als Tochter einfacher Bauern. Ragnar Hamardag, stolzer Besitzer eines eigenen, aber allzu kleinen Stückes Land, das er beackerte, und Sigrid, sein Weib, waren noch jung. Sie glaubten, ihr Glück auf der eigenen Scholle machen zu können, obgleich deren Lage am nördlichen Rande Ferslands, unweit des Fjurd und des Meeres, stets die Gefahren des Krieges über ihren Häuptern dräuen ließ. Sigrids erste Niederkunft bescherte den beiden ein Mädchen, das die gesunde, robuste Natur seines Vaters und den dichten rötlichen Haarschopf seiner Mutter geerbt hatte. Erfreut über diesen Segen, tauften die Eltern das fröhliche und lebhafte Kind Lîf – das Leben.
Schon bald folgten weitere Geschwister, sechs an der Zahl im Verlaufe der Jahre, und Sigrid, die zwischen der letzten Schwangerschaft und der nächsten nie lange zur Ruhe kam, musste auch ihrem Mann auf dem Feld helfen. Die relativ sorglose Zeit ihrer jungen Ehe war vorbei, die Härte des Lebens, das sie auf ihrem kleinen Stück Land fristeten, forderte ihren Tribut. Frühzeitig schon lehrte die Mutter Lîf alles, was eine Hausfrau wissen und können muss, und das Mädchen übernahm bald diese Rolle wie auch die einer Ersatzmutter für seine jüngeren Geschwister. Sie sorgte für die kleinen Brüder und Schwestern, die Hühner und das Kleinvieh, kümmerte sich um Haus und Herd, während die Eltern tagtäglich schufteten, um dem widerspenstigen Boden genug abzuringen, damit alle Mäuler gestopft werden konnten.
Dennoch kann man Lîfs Kindheit als glücklich bezeichnen. Die Familie war ihr ein starker Halt, denn bei allem Zwist über die kleinen Ärgernisse des Alltags raufte man sich stets wieder zusammen. Sie fühlte sich gebraucht und, als heranwachsende Frau, geachtet in ihrem Tun. Die drohende Gefahr, die von Gelspad und Kolkar ausging, schien sich dem kleinen Gehöft nicht in absehbarer Zeit nahen zu wollen. So lebten die Bauern in relativem Frieden und, wenn auch nicht im Wohlstand, so doch unabhängig und ohne Hunger oder Not.
Gajas Ruf (Ausbildung zur Heilerin) (Anzeigen)
Als das Mädchen fünfzehn Jahre alt geworden war und die zweitälteste Tochter alt genug, sich ebenfalls als Hausfrau zu betätigen und Lîf unter die Arme zu greifen, begann man zu bemerken, dass die Älteste eine besondere Gabe ihrer Mutter geerbt hatte: Sie besaß, wie schon Sigrid und deren Mutter, heilende Hände. Gajas Kraft schien durch die schlanken Finger des Mädchens zu fließen, das in der Lage war, weinende Kinder und kranke Tiere mit einem kurzen Streicheln und einigen sanften Worten zu beruhigen, ja, sogar die bösen Wunden, die bei kleinen Unfällen auftraten, rascher heilen zu lassen, wie es schien. Dies wurde auf Sigrids Betreiben schließlich zum Anlass genommen, das Mädchen in das nächstgelegene Dorf zu bringen, wo es der alten Halma vorgestellt wurde.
Dieses Weib, von dem es hieß, es sei bereits mehr als siebzig Winter alt, war weithin als Kräuterweib und Hebamme bekannt und beliebt, und es nahm Lîf als Lehrmädchen an, um es zu ihrer Nachfolgerin auszubilden. Von jeher mit der Gabe der Gaja wie auch mit einem mitfühlenden Wesen beschenkt, fand sich die junge Frau, nunmehr beinahe sechzehn Winter alt, alsbald in ihren neuen Weg und war sehr glücklich damit. Mit ihrer raschen Auffassungsgabe und ihrer besonderen Begabung für diese Berufung schaffte sie es, sogar die mürrische Halma meist zufriedenzustellen, und erwarb in weniger als zwei Jahren ein umfangreiches Wissen, das sie ihrer Meisterin fast ebenbürtig machte.
Die einzige Trübung, die ihr Glück in dieser Zeit erfuhr, rührte von der Nachricht her, dass Gunnar, ihr ältester Bruder, sich mit sechzehn Jahren Männern angeschlossen hatte, die an der Fjurd-Front kämpften, um das Land zu verteidigen. Und schon wenig später hatte er bei einem Scharmützel gegen Gelspad-Männer den Tod gefunden. Krieg, Kampf, Leid und Tod waren bislang so weit weg von ihr gewesen, dass die werdende Heilerin und Hebamme, die doch neuem Leben in die Welt zu kommen verhelfen wollte, innerlich aufbegehrte gegen die Grausamkeit der Menschen, welche ihren Nächsten ein so verfrühtes Ende bereiteten. Das Gefühl, dass sie etwas gegen das in ihren Augen sinnlose Töten unternehmen musste, begann vage an ihr zu nagen, noch bevor es die Gestalt konkreter Gedanke annahm. Denn noch waren ihr ja die Männer mit ihren Waffen, das Blut und die Schreie der Sterbenden noch scheinbar so viel ferner als die wenigen Tagereisen, die ihr Bruder bis zum Ort seines Todes zurückgelegt hatte. Noch war sie fest in ihrer einfachen und arbeitsamen, aber doch glücklichen und friedlichen eigenen Welt verwurzelt.
Angst und Schrecken (Lîfs Entführung) (Anzeigen)
Die scheinbare Gunst der Göttin machte Lîf jedoch nach und nach übermütig. Von jeher mit dem dicken Schädel ihrer väterlichen Linie versehen, der sich mit dem wechselhaften Charakter der mütterlichen Linie zu einer sehr kratzbürstigen Art verbinden konnte, beschloss sie eines Tages, sich nun doch dem zu widmen, was sie in ihrem Herzen empfand und als ein Zeichen Gajas an Lîf, deren Dienerin, ansah: dem Ziel, selbst etwas zu tun, um das Gemetzel endlich zu einem Ende zu bringen. Gewiss, sie war kein Mann, sie verstand nicht mit Waffen umzugehen – doch wer hätte je von ihr behaupten können, sie sei ängstlich oder zögerlich?
Besaß sie nicht das Wissen, dass die Alte ihr vermittelt hatte, dazu die Gabe der Göttin, ererbt über das Blut ihrer Mutter? War das nicht die direkte Aufforderung Gajas, sich dorthin zu begeben, zu den Männern, die ihr eigenes Blut einsetzten für Freiheit und Sicherheit der Clans, und ihnen zur Seite zu stehen? Jene zu pflegen, die sie, ja, auch sie selbst, mit der Waffe in der Hand verteidigt hatten und dabei verwundet worden waren? Und somit den Mannen zu zeigen, dass ihre Weiber, ihre Familien hinter ihnen standen, ihnen Mut zu machen? Konnte sie damit nicht ihren Teil dazu leisten, den Feind endlich endgültig zu verjagen, damit alle in Frieden leben konnten?
Vergeblich blieben Ratschläge ihrer Lehrmeisterin, das Bitten ihrer Mutter, ja, auch das strikte Verbot ihres Vaters: Heimlich, bei Nacht und Nebel, schloss sich die junge Frau einem kleinen Zug freiwilliger Heilerinnen an, die in Richtung Fjurd reisten, um zu tun, was sie als ihre Pflicht ansahen. Nur eine kurze Nachricht verblieb ihrer Familie, in der Lîf ihr Handeln zu erklären suchte und trotz aller bösen Worte um den Segen der Eltern bat. Eine Möglichkeit zur Antwort oder gar, sie an der Abreise zu hindern, gab sie ihnen jedoch wohlweislich nicht. So zog sie mit ihren Gefährtinnen voran – doch statt ihren Bestimmungsort zu erreichen, liefen die Frauen direkt in die Arme von Plünderern, denen sie leichte und willkommene Beute wurden.
Herr ihres Herzens? (Das Leben mit Tristan) (Anzeigen)
Selbst im Nachhinein wusste sie nicht zu sagen, was genau sie davor bewahrt hatte, das Schicksal ihrer Gefährtinnen zu teilen, die von den Piraten allesamt geschändet und geraubt worden waren - eine, die sich zu wehren versucht hatte, hatte man sogar gnadenlos erschlagen. Doch Lîf selbst, obgleich ebenfalls als Kriegsbeute entführt, war das schlimmste erspart worden. Ein Mann hatte sie genommen und zu seinem Besitz erklärt - ein Mann, der ihr Angst eingeflößt, sie aber zugleich fasziniert hatte. Einer, der sich von seinen Kameraden unterschied. Sie hatte es sofort gespürt, auch wenn sie nicht zu sagen vermocht hätte, worin die Unterschiede lagen.
Zurück in ihre Heimat waren die Plünderer gefahren, mitsamt den gefangenen Frauen und deren Habe, die sie an sich genommen hatten. Und Lîf hatte zunächst ein Leben geführt, das dem gewohnten sehr ähnelte: Sie hatte ihrem neuen Herrn - Tristan, wie er sich nannte - den Haushalt geführt, gemeinsam mit seinen Mägden für ihn gekocht, gewaschen und genäht, wie sie es auch schon im Haus ihrer Eltern getan hatte. Und das war es nicht gewesen, das an ihr genagt hatte, nein! Vielmehr war es das Wissen gewesen, nun nur noch bloßer Besitz zu sein, Eigentum eines gemeinen Räubers, der sie einfach zu seiner Beute erklärt hatte! Denn wie hätte die junge Frau sich wehren, wie fliehen sollen? Sie war nicht in der Lage, ein Boot zu steuern, geschweige denn, dass sie gewusst hätte, wohin man sie überhaupt entführt hatte. Von ihren völlig eingeschüchterten Gefährtinnen war ebenso wenig Hilfe zu erwarten.
Es sah alles danach aus, als würde sie ihr Leben als Sklavin beschließen, die Arbeit einer Magd tun und - früher oder später - auch noch geschändet werden. Es war ihr ohnehin unerklärlich, warum ihr Herr so lange damit zögerte. Denn sie war sich der Blicke wohl bewusst, die Tristan ihr immer wieder schenkte. Doch da war auch noch jene eigenartige Empfindung, jenes kaum wahrnehmbare, so leicht zu leugnende Herzklopfen, das sie manchmal bekam, wenn sie ihn in einem kurzen Moment, zwischen der Wäsche und dem Kochen etwa, beobachten konnte. Ein Mann, der beinahe noch einmal so alt war wie sie selbst, ein Mann, der nicht recht zu seinen Kameraden passen wollte, ein Mann voller Geheimnisse. Und, kein Weib hätte es leugnen können, ein schöner Mann...
Vor allem jedoch ein Mann, der sie schließlich doch noch zum Weib nahm, halb gegen ihren Willen, aber nicht aus purer Wollust, nein: Der es tat, um sie zu einer zu machen, die ihm angehörte, und sie so vor den gierigen Händen der übrigen Männer zu schützen. Und einer, der ihr sogar erlaubte, der Weisen Frau des Dorfes zur Hand zu gehen, einer Frau, die sie an die alte Halma erinnerte und die sie tief in die Geheimnisse des Alten Glaubens einführte - bis Lîf selbst in ihrem Herzen den Ruf der Göttin hören konnte und sich ihr eine neue Welt eröffnete. Ein Mann womöglich sogar, den sie eines Tages zu lieben lernen könnte? Einer, dessen Weib sie sein, dem sie Kinder gebären wollte? Mit dem sie alt werden wollte..?
Ein weiterer Traum zerplatzt (Die Flucht) (Anzeigen)
Doch einmal mehr beendete das Schicksal die Träumereien, die Überlegungen, das Abwägen des Für und Wider durch die junge Frau, noch ehe sie überhaupt an den erwarteten Scheideweg ihres Lebens gelangt war. Es ereilte sie während einer seiner Kriegsfahrten, von denen er stets reiche Beute mit nach hause gebrach hatte. Lîf, die dort auf ihn wartete, war jetzt frei und geachtet, mit eigenem Besitz, den sie ihrem Mann verwaltete, umgeben von den Mägden und Knechten, die sie beaufsichtigte, nunmehr als Tristans rechtmäßiges Weib. Sie hatte schon bei seiner Abfahrt eine seltsame Unruhe verspürt – womöglich eine, die sich von ihm auf sie übertragen hatte, vielleicht jedoch auch anders herum. Und ihre Ahnung sollte recht behalten: Während die Weiber, die Kinder und das Gesinde, von nur wenigen waffenfähigen Männern verteidigt, auf die Heimkehr der Mannen warteten, wurde die Siedlung selbst Opfer eines ganz ähnlichen Raubzuges wie desjenigen, den diese unternahmen. Männer eines anderen Clans fielen ein, verwüsteten die Häuser, raubten die Mädchen, das Gut und das Vieh und ließen nur wenig für die Überlebenden zurück, die sich – wie Lîf – in die Wälder hatten retten können.
Und als Tristan endlich zurückkehrte, war klar, dass ihres Bleibens an diesem Ort nicht mehr länger sein konnte: Heim und Herd verbrannt, ihre Habe geraubt, die Erde, die sie genährt hatte, entweiht. Ihr Leben hier stände unter keinem guten Stern mehr, zumal die Räuber jederzeit wiederkehren mochten, sich das zu holen, das ihnen beim ersten Überfall entgangen war. Viel war es nicht mehr, was die Männer an Besitz auf ihre Drachen laden konnten, als man der alten Heimat den Rücken kehrte. Und auch nicht mehr viele ihrer Familienmitglieder konnten sie bei ihrer Abreise mitnehmen...
Sogar die alte Frau war getötet worden, die Lîf unterrichtet hatte, so dass sie, trotzdem nur ein Weib, eine wichtige Rolle einnahm, befragten die Männer doch sie nach dem Willen Gajas, nach dem Wohin ihrer Fahrt. Und die junge Frau, verwirrt, verängstigt, überfordert mit ihrer neuen Rolle als Weise Frau, gab ihnen den Rat, sich zum Festland zu wenden – eine Antwort, mit der sie halb unbewusst ihre eigenen Wünsche artikulierte: ihre Heimat wieder zu sehen, ihre Familie, ihren Clan, die Felder, inmitten derer sie ihre Kindheit verbracht hatte. Und da niemand besseren Rat wusste, folgte man ihren Worten, und sie landeten schließlich an der Küste an.
Ein Mann und sein Weib (Aufbruch in ein neues Leben?) (Anzeigen)
Es kostete die junge Frau allerdings große Überredungskunst, ihren Gemahl davon zu überzeugen, dass sie sich von ihren jetzigen Begleitern besser trennten, hatte er doch im Gegensatz zu ihr kein so langes Leben außerhalb der Piratengemeinschaft geführt, zogen ihn die Erinnerungen an seine Vergangenheit nicht so stark zurück zu den eigenen Wurzeln. Doch nachdem sie ihm gebeichtet hatte, dass sie ein Kind von ihm unter ihrem Herzen trug, seit nunmehr über zweieinhalb Monaten, ließ er sich schließlich von ihrem Traum anstecken, das Glück in ihrer alten Heimat zu suchen, dem Meer den Rücken zu kehren und im fruchtbaren Schoß Gajas Frieden und Wohlstand zu finden.
Indes war ihnen wenig Glück bei ihrer Reise als junges Paar beschieden, denn die ihnen verbliebenen Mittel erwiesen sich als zu gering, zumal der besorgte Tristan seinem jungen Weib verbot, ihre Heilkünste in den Dörfern gegen eine Mahlzeit und ein Dach für die Nacht anzubieten. Der schmale Geldbeutel, den Lîf verwaltete, schrumpfte immer weiter zusammen und war schließlich erschöpft, noch bevor sie ihr Ziel, Lîfs Heimat, erreicht hatten. In der Nähe Kromdags gestrandet, beschloss Tristan schließlich, sich anheuern zu lassen, um alles anzubieten, was ihm verblieben war: seine Kampfkraft. Und sein Weib, in froher Erwartung des ersten gemeinsamen Kindes, begleitete ihn auf dem Weg ins Ungewisse...