Schweigsamer. Immer schweigsamer ist Taeglyn geworden desto mehr er das Ausmaß dieser gewaltigen Schlacht überblicken kann. Die verstümmelten Leiber und verzehrten Gesichter von Freunden, Vertrauten und Widersachern bewegen viel, tief im Herzen des Mondelfs. Mit klammen, weißen Knöcheln hält er die vertrauten Klingen und sucht nach Überlebenden; nach einem Lichtstrahl zwischen Verzweiflung, Elend und Leid.
Irgendwo hatte er in seinem Leben diesen Pfad eingeschlagen. Den Pfad Myth Drannors, den Pfad der Tel Quesir. Viele Jahre lang hatte er an der Seite großer Helden gestanden und seine Fähigkeiten eingebracht um die Sache aller voran zu treiben. Sein Blut vergossen um die zu schützen die dieses Schutzes bedurft haben. Seine Tage zwischen Regen, Finsternis und kaltem Stahl verbracht, damit andere den Gesang der Vögel, die Pracht des blühenden Waldes und den Geruch des schattigen Mooses genießen können.
Und nun? Am Feldherrnhügel angekommen, zwischen den Leichen des letzten Aufgebots der träumenden Stadt - kommen die Zweifel - die Trostlosigkeit - die unbeantworteten Fragen der dunklen Seite der Seele. Das Reich für das sein Herz geschlagen hat, war verloren. Der Daemon, den sie solange narren konnten, war schlussendlich zu mächtig, zu schlau, zu einig um besiegt zu werden. Und all die Opfer in Zeit, Blut und Liebe waren vergebens gewesen...
Ein herzzerreißendes Wimmern tritt über die blasen Lippen Taeglyns und Tränen rollen ihm frei über die schwarzen Wangen und die Lippen beginnen ihm zu beben und zittern. Der Gram in seiner Brust droht ihn zu übermannen und in die Knie zu zwingen, als er so zwischen den Verbleibenden steht.
Als der Kummer schier unerträglich wird und das Herz des Mondelfens in 1.000 Stücke zu zerbersten droht, fühlt er plötzlich, dass das Gewicht um seinen Hals nicht nur von der Düsternis und dem Elend stammt, sondern der
asymmetrische Stern, der ihn von seinen Kindestagen an begleitet hat nach Gehör verlangt. Mit bleiernen Fingern tastet er so nach dem Anhänger, dem Amulett Ileseres.
Plötzlich und so unerwartet tauchen sie auf die Bilder, Erinnerungen, Eindrücke seiner Kindheit, das Lachen seiner Freunde, die wohligen Schauer unter der Berührung einer Geliebten, die volle mundige Süße des Weins, der Wind über den Gipfeln, die Ausgelassenheit und Tollerei zu später Stund, die Freude über Kinderfinger die tapsig an seinen Haaren ziehen, das erste Mal das seidige Wasser eines Teiches am Leib nach einem langen Winter, das Lob eines Meisters über eine Tat gut vollbracht, die gehauchten Liebkosungen einer verwandten Seele, ...
Und so fällt Grimm und Leid von den Schultern des Elfens und hinterlässt einen aufrecht Stehenden. Einen dessen Augen gen Himmel gerichtet sind und der trotzig sein Schwert zum letzten Gruß hebt.
Er würde hier und heute sterben, doch sein Volk würde zurück kehren und seinen Tod sühnen. Vielleicht nicht morgen, den kommenden Jahren, oder hunderten Jahren. Doch so wie er hier und jetzt steht, so würde sich ein anderer finden, der dem Stern Erevans folgt und sein Werk fortsetzt.
Seinen Freunden mit einer nie gekannten inneren Ruhe in die Augen blickend, lächelt Taeglyn sanft und wispert:
"Ich liebe euch." Dann ist er bereit.