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« am: 06.01.2012, 20:56:11 »
Überrascht ist ein Ausdruck, der in Syras Wortschatz eigentlich nicht existiert. Sie hatte zu viel gesehen, was diesen Ausdruck null und nichtig machen würde. Magie, Kampf... Wunden oder einfach nur das Verhalten anderer, was den Begriff bedeutungslos machen würde. Sie war von sonderlichen Menschen -oder menschlichen Wesen- umgeben, und das hatte sie zu tolerieren gelernt. Jedoch auch nie hinterfragt. Sie kannte ihre Aufgabe, sie wusste, was sie zu tun hatte, wenn jemand angriff. Oder wenn jemand beim Wirken der Hohen Kunst jemanden brauchte, der Kräuter oder andere Dinge schnitt oder andere Dinge zubereitete. Sie war niemand, der Magie wirken konnte, doch jemand, der gut in dem war, was sie tat.
Und doch kann sie in dem Moment, da die Soldaten auf sie zugestürmt kommen, nicht anders, als den Mund offen stehen zu lassen.
Sie hätte es wissen müssen. Sie hätte das Verhalten der Priesterinnen, wie sie sie nannte, ernst nehmen sollen. Hätte die kalten Winde, die um ihr Haar gestriffen waren, ernst nehmen sollen. Die Königin hatte sie doch so warnen wollen, doch war sie zu blind? Sie wusste es nicht. Was sie jedoch in dem Moment des Angriffes weiss, ist, das Schwert zu ziehen.
Die Klinge schallt in die so junge Nacht hinaus. Das Sirren des kalten, verzauberten Stahls geht in dem Gebrüll und dem Geschepper der Männer unter; grausames Gelächter dringt an ihre Ohren, und sie ballt ihre freie Hand zur Faust. Sie sucht in den Bruchteilen der Zeit, die ihr noch bleiben, nach einem Raben. Hofft auf göttlichen Beistand, auf etwas, was die Königin ihr sagen kann, bevor sie die Klingen mit denen kreuzen muss, die sie zu ihren "Verbündeten" gezählt haben! Doch findet sie keinen dieser erhabenen Vögel, und so murmelt sie leise die Worte, in eine steife Kampfhaltung hineingleitend. Der Schreck sitzt ihr tief, und so fühlt sie sich wie in Trance, als sei ihr der Boden unter den Füßen weggerissen worden.
Herrin der Raben, steh mir bei, sei meine Königin und empfange die Seelen mit dem sanften Hauch der Kälte...", sind ihre Worte, die sie wählt. Eine Litanei, die sie oft schon gesprochen hat. Sie hatte keine Angst, zu sterben, nein. Sie hatte nur Angst, das andere vor ihr dieses Schicksal ereilen würden.
So begab sie sich in den Kampf, um keinen Fuß zu weichen. Ihr Schwert trinkt Blut, und auch sie bekommt Kratzer ab und leichte Wunden, ehe die Hölle auf dem Schlachtfeld der Nacht hereinbricht. Die Priesterin, zu dessen Schutz sie an das Zelt abkommandiert wurde, konnte sie nicht finden, und jetzt, da die Schattenmähnen gekommen waren und das Gelächter sich mit Sterbensschreien mischte, gab es nur wenig Hoffnung. Sie wehrt einen Hieb ab, so gut es ihr möglich ist, und murmelt dabei wieder ihre Litanei, während sich die Soldaten nach ihrer Auffassung nun der neuen Bedrohung zuwenden. Eine List der Großmeisterin? Diese Bestien würden die Feinde in Stücke reissen, wenn sie in die Weiten der Äther durch Blut und Stahl zurückgeschickt würden. Eine solche Energie aus ihrer sterblichen Gestalt zu reissen ist eine törichte und letale Angelegenheit - eine Sünde, die die Soldaten am eigenen Leib zu spüren bekommen würden..
Syra jedoch ist nicht dumm, und weniger töricht. Und sie kennt diese Monster mit den langen Krallen aus Geschichten und einigen Büchern. Sie würde einen Kampf nicht gewinnen, und so sehr sie auch für ihre Herrinnen kämpfen wollte - ein Rückzug, wo sie noch nicht im Kampf direkt verwickelt ist, würde später vielleicht nützlich sein. So versucht sie, möglichst ungesehen vom Trubel der Schattenmähnen und Verräter loszukommen, sich im Schatten der Zelte zu bewegen und das Heil in einem Rückzug zu suchen. Dorthin, wo es ein wenig abseits war und die Chance, lebende Priesterinnen anzutreffen, größer war als auf offenem Felde.