Sie schaute Alvanon zu, während dieser offensichtlich durch ihre Worte für einen Moment verwundert da stand. Sie bemerkte, dass sein Blick zum wiederholtem Male über ihre Augen schweifte und dort verharrte. Die junge Frau fragte sich zum ersten Male, ob ihre Augen wohl noch immer so aussahen wie vor ihrem Tod. Zumindest fühlten sie sich so an - entzündet und überreizt.
Alvanons Empörung riss sie augenblicklich aus ihren Gedanken. Im ersten Moment reagierte sie erschrocken darauf und wusste nicht so recht, was sie darauf erwidern sollte. Für sie war es selbstverständlich, dass sie kein Mensch mehr war. Menschen erhoben sich nicht nach über tausend Jahren aus dem Grab. Außerdem war es schon vor ihrem Tod der Wunsch der ehemaligen Königin gewesen, ihr Menschsein zu beenden und zu etwas besserem zu werden.
Beruhigt vernahm sie Alvanons Entschuldigung. Ihre Worte waren zwar unbedarft gewählt, aber dennoch aufrichtig gewesen. Sie war nicht der Meinung dass irgendeiner von den auferstandenen Königen noch ein Teil seines alten Volkes war. Alvanon hingegen wähnte sich dem Ideal seines Volkes durch den Untod sogar näher als zuvor. Eine merkwürdige Auffassung.
"Ob sein Volk das wohl auch so sieht?" fragte sie sich insgeheim, behielt den Gedanken aber vorerst für sich. In dieser Situation erschien es ihr verkehrt über solche Dinge zu disputieren. Sie erfuhr ja selbst immer noch, wie ihr eigener Geist mit ihrem neuem Schicksal umzugehen versuchte. Dabei hatte sie immer schon versucht den Untod zu erlangen und es war ihr ein willkommenes Schicksal gewesen. Aber der Geist eines Menschen war an bestimmten Stellen sehr zerbrechlich, das wusste Mephala aus eigener Erfahrung und sie ging davon aus, dass es bei einem Elben nicht anders sein würde, auch wenn sie sich inzwischen sehr sicher war, dass ihr Gegenüber das nicht so sehen würde.
Alvanon war es wichtig sich als Elb sehen zu können, dass hatte er auf nicht uneitle Weise klargemacht. Mephala kannte ihn noch nicht gut genug, um abzuschätzen was geschehen würde, wenn sie ihm seine Illusionen nehmen würde und im Augenblick schienen ihr Experimente unangebracht.
Nun widmete sich Alvanon jedoch ihrer Frage und sie ließ ihre Gedanken ruhen, um seinen zu lauschen. Als er schließlich wieder ihre Augen betrachtete wusste sie schon, was er von ihr wissen wollte, noch bevor er seine Frage stellen konnte. Gerade wollte sie ihm schon ins Wort fallen, als die anderen Könige aus der Gruft stürmten und ihre ehemalige Ruhestätte fast zeitgleich in die Luft flog.
Sie war sich zu Boden und schützte ihren Kopf mit den Händen, um den auf sie herab prasselnden Erd- und Steinbrocken zu entgehen. Als sie sich sicher wähnte erhob sie sich flink, erkannte aber an der relativen Gelassenheit der anderen, dass wohl nicht mit weiteren unmittelbaren Gefahren zu rechnen war.
Leicht verärgert strich sie den Schmutz der Explosion aus ihrem Haar und zupfte ein paar Strähnen wieder an den ihnen vorbestimmten Platz. Ohne auch nur an sich herunter zu schauen, strich sie sich einmal über ihr Gewand und lies ihre Magie den Stoff reinigen und wiederherstellen
[1].
Wieder deutlich zufriedener musterte sie die anderen Könige und blieb natürlich an dem magischen Buch des Zwergen hängen
"Wie wundervoll. Aber ist es klug sich an diesem Ort noch länger aufzuhalten?""Ich bin Mephala Egadir, Tochter des Theodorus, gestorben im Jahre 154 nach der Reichsgründung durch meinen Ahnen Egadir I.." Mephala sprach nicht ohne Stolz von ihren Vorfahren, war sich aber dennoch bewusst, dass sie deren Ruhm nicht für sich beanspruchen konnte.
"Ich bin mir nicht sicher ob es klug ist, noch lange hier zu verharren. Auch wenn ich mich ebenso wohler fühlen würde, könnte ich auf alle Facetten meiner Magie zurückgreifen. Gibt es denn noch andere unter uns, welche die Kunst beherrschen?"Sie wandte sich wieder Alvanon zu
"Habt Dank für Eure Offenheit und Euren Rat. Aber ich finde nicht, dass es einer zweiten Geburt gleich kommt. Ich bin wieder in diese Welt gekommen mit dem was ich vor tausend Jahren gelernt habe. Diese Welt ist nun soviele Jahre gealtert, es muss sich viel verändert haben. Seht, zu meiner Zeit hätte man niemals ein Glaubensbekenntnis zu Vecor eingefordert. Man hätte sich auch zu Ahava[2] oder Vidar[3] bekennen können. Und im Allgemeinen hatte ich den Eindruck, dass der Vecorkult sich sehr verändert hat..." Mephala schien darüber nicht unbedingt betrübt, aber dennoch war es offensichtlich, dass die ersten Unterschiede, die sie nun schon erfahren hatte, sie bewegten.
"Was ich mit meiner neuen Zeit anfangen will ist einfach. Zuerst möchte ich tatsächlich dem Wunsch des alten Priesters nachkommen, um so meine Schuld zu sühnen. Aber ich würde es bevorzugen zuerst einen Thronfolger zu finden oder die Möglichkeit auszulooten ob wir Thuras IV. nicht sogar zu einem guten Herrscher machen können. Und danach werde ich das machen, was ich eigentlich zu Lebzeiten hatte machen wollen. Lernen was bekannt ist und ergründen was unbekannt ist." Der Wissensdurst war deutlich in ihren Zügen zu erkennen und sie lächelte bei ihren letzten Worten auch ein wenig. Dann griff sie in ihr Täschchen mit den Materialkompenenten für ihre Zauber und kramte darin kurz herum.
"Und was meine Augen angeht..." sie holte einen kleinen Spiegel hervor und betrachtete sich kurz darin
"Früher hatte ich einmal hellblaue Augen. Man verglich sie gerne mit Edelsteinen. Aber zwei Jahre voller Trauer, kurzer Nächte und verzweifelter Forschung bei Kerzenlicht haben ihre ursprüngliche Schönheit verzerrt." Mephala schien sich nichts daraus zu machen oder wenn doch, dann verbarg sie es sehr gut.
"Wenn ich mich genauer betrachte, sehe ich keine Zeichen des Untodes an mir. Ich könnte gerade eben erst gestorben sein." Dieser Umstand schien sie dann allerdings doch zu erfreuen auch wenn dies den Anderen klar machte, das Mephala schon zu Lebzeiten ein wenig untot ausgesehen haben musste.