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« am: 21.11.2011, 15:48:39 »
Warum ausgerechnet Seattle? Seit vier Tagen drückt sich Ethan in diesem Moloch herum. Vier Tage, die von Regen, Hunger und einem hartnäckigen Schwindelgefühl begleitet werden. Er fühlt sich schwach. Zu groß waren die Strapazen der letzten Monate, als dass sie spurlos an ihm vorübergezogen wären. Unter dem zerschlissenen, in albernem Rot leuchtenden Overall juckt seine Haut. Die zahlreichen kreisrunden Male an seinem Körper brennen wie Feuer, wo noch vor einer Woche eine Horde wildgewordener Apotheker ihn mit ihren Drogenpatches plakatiert hatten.
Vier Tage in diesem nassen Loch von einer Stadt und von Mills bisher keine Spur. Vielleicht hatten sie ihn doch noch erwischt. Dann wären seine Mühen und die Qualen der vergangenen Monate umsonst gewesen. Drek. In zwei Tagen würde er sich auf den Weg machen und sich in eine erholsamere Gegend zurückziehen. Er braucht etwas Zeit, vernünftiges Essen und ein warmes Bett, um überhaupt die Chance zu haben, wieder fit zu werden. Drek - es wird Zeit die Stadt wieder zu verlassen, ehe die Bluthunde von Evo ihm auf die Schliche kommen...
Mit dem Soykaff in den Händen hastet Ethan die Straße entlang. Wenn der modrig dampfende Becher in seiner Hand auch keinen Genuss verspricht, so spendet er doch etwas Wärme. Nur zwei Blocks weiter - sagt ihm das Headware Kommlink in seinem Schädel, befindet sich das nächste Sarghotel und er will es erreichen, bevor er erneut nass wird - was ihm in seinem Zustand vermutlich eine Lungenentzündung und damit den Rest geben würde.
So in Gedanken versunken, stolpert plötzlich dieser Norm in Ethans Weg und der Elf kann nicht mehr ausweichen. Mit einem schicksalsergebenen Keuchen muss er mit ansehen, wie sich die Pfütze seines Soykaff mit der sauren Brühe, die man hier Regen nennt, vermischt und den Rinnstein entlangfließt: "Drek, verdammter!" Ethans ansetzende Schimpftirade wird von einem Stechen in der Brust und einem angestrengten Husten unterbrochen. Mit ausgestrecktem Arm packt Ethan den Mann an der Schulter und schiebt ihn zur Seite. Es hat keinen Zweck, sich mit dem Großstadt-Chiphead rum zu ärgern und dabei nass zu werden - ein warmer Alkoven im Penner-Luxusressort wartet auf Ethan.
Er hat schon zwei Schritte zurückgelegt als sich der erschrockene Gesichtsausdruck des anderen durch die müden Hirnwindungen in Ethans Bewusstsein gebahnt haben. Er bleibt wie vom Schlag getroffen stehen, hadert einen Moment und dreht sich dann langsam um: "Mills..." Ungläubig macht er einen Schritt auf den Norm zu: "Sind Sie das?"