Die recht hochmütige Art Nobiliors schluckte Aurelia nur, weil ihr der Inhalt des Briefes noch immer gegenwärtig war. Sein Rückzug aus dem Vorgeplänkel überraschte sie dann doch. Wenn es sich so verhielt, wie er darstellte, fragte sie sich, warum er da war. Sein Freund und dessen Leute hatten anscheinend mehrere Anwesende in der Hand, da brauchte es seine Autorität nicht. Sie schadete eher der Sache und dem Senator im speziellen, der sich für so etwa einspannen ließ. Doch bremste sie sich, da sie wusste, dass sie zu Überinterpretationen neigte. Nobiliors Lob nahm sie als Selbstverständlichkeit hin. Das Auftreten des Soldaten verhinderte das weitere Gespräch.
Wie es das Mindestmaß der Höflichkeit verlangte, neigte sie leicht den Kopf, als er an sie herantrat und seinen Atemzug tat. Ihre Augen verschmälerten sich jedoch zusehends zu funkelnden Schlitzen und ihr Mund wurde schmallippig. Der Inhalt des Gesprochenen barg schwere Beleidigungen. Stellte sich der Soldat doch als etwas Besseres dar und unterstellte den Anwesenden Dummheit, unvorbereitet und unverschleiert erschienen zu sein. Wieder setzte einer voraus, dass fast alle Briefe erhalten hätten, obwohl nur die Hälfte sich dazu bekannten, er sprach von 'Verschwörung' und er kannte sie persönlich, was, wie sie wusste, nicht selbstverständlich war. Also wusste er mehr. Ihr Brief hatte neben den gefährlichen Informationen nur Treffpunkt und -zeit beinhaltet und mit keinem Wort nahegelegt, dass auch andere in ihre Anwesenheit gepresst werden würden. Von daher machten die geringen Verschleierungen aller Sinn, zumal man so wie sie ihre Anwesenheit auf Zufall hätten schieben können. Seine Darstellung, sie wäre "gewieft", nahm sie nicht als Lob, denn es war nicht "klug" oder "verständig", es beinhaltete vornehmlich "Verschlagenheit".
Trotz all seiner Mühen hatte sie bereits ein wenig aufgeschnappt aus Worten und Handeln des Zuletztgekommenen. Verärgert, wie sie war, setzte sie gerade zu einer scharfzüngigen Erwiderung an, als Penelope (die die Untersuchung ohne Regung erduldet hatte und sich sogar standesgemäß verneigt hatte) sich zu ihr neigte und beschwichtigend die Hand auf den Arm legte. Sehr leise flüsterte sie irgendetwas fragendes zu ihrer Herrin, die daraufhin ebenso leise antwortete, dass das Opfer wohl aufgeschoben werden müsste.
Aurelia wendete sich wieder dem Wortwechsel zu. Etwas ruhiger begann sie auf dem vertrauten Terrain der Intrige zu kalkulieren. Trotz ihres Standes hatte sie als Frau nur begrenztes Sprachrecht durch die Anwesenheit der anderen. Nobilior, Varius und Guirmean gingen sogleich in die Gegenoffensive und bewiesen, vom Verhalten des Soldaten und möglichem Inhalt möglicher Briefe deutlich gereizt worden zu sein.
"Männer.", dachte sie innerlich kopfschüttelnd.
Nobiliors Worte konnte man mit seiner Darstellung seiner Position zusammenbringen, aber es gab auch Brüche. Warum kannte er ihn nicht und sprach von Vertrauen? Bei dem, was die Botschaften wohl enthalten hatten, war an so etwas nicht im mindesten zu denken. Im Gegensatz zu ihm hätte sie sich auf das Spiel eingelassen.
Das sogar Varius offensiv wurde, überraschte sie bei ihrer Einschätzung seiner Persönlichkeit und ihrer Vermutung über den Grund seiner Anwesenheit. War er womöglich doch durch einen eigenen Brief aufgeschreckt worden?
Gaius' Zurückhaltung fiel ihr auf. Sie sah hinüber und ihre Blicke trafen sich. Was dachte er wohl? Auch wenn seine Herkunft ihn ähnlich wie ihr Geschlecht dazu zwang, zu antworten statt zu fragen, hätte er sich mangelnde Etikette leisten können, zumal andere Anwesende auch nicht gerade damit um sich warfen.
Guirmean setzte schließlich noch einen drauf. So würden die Fronten nur verhärtet und Chancen vertan, auch wenn sie seine Reaktion nicht überraschte.
Gesetzt den Fall, er ist der Verafsser oder in dessen Diensten, dann ist er sowieso ein Feind und muss nicht noch weiter aufgebracht werden. Er könnte an einem von uns ein Exempel statuieren und den Briefinhalt offenlegen, so er ausreichend gereizt ist. Ist er es nicht und wie wir 'eingeladen', beweist er zusätzliche Kenntnisse und Verstand, was ihn zu einem wertvollen Verbündeten machen könnte. Stattdessen antworten sie mit Beleidigungen auf seine...Die stolze Domina sammelt sich und atmet hörbar aus.
"Meine Herren, ich bitte sie, auf diesem Niveau kommen wir doch nicht voran." Keine Geste ist notwendig, um ihre klare Stimme zu unterstützen. Ein warnender Blick fällt sowohl auf Guirmean als auch den Soldaten. Sie bricht zwar ein wenig die Etikette, aber zum Zwecke der Rückkehr dazu sollte es verträglich sein.
"Vielleicht solltet ihr euren Freund klarmachen, dass ihr euch bei den verwendeten Umgangsformen außerstande seht, ihm einen Gefallen im Tausch gegen seine vormals erbrachten zu erweisen." Mit fast freundlichem Blick schaut sie Nobilior an, bevor sie sich der Maske zuwendet:
"Dieser einfache Soldat hat seinen Unwillen, seine Person selbst zu identifizieren, bereits formuliert. Da werden höchstens sein Centurio oder Diúveí[1] etwas befehlen können. Auch wenn es sicherlich sinnvoll, ist, wenn Ihr uns einen Namen nennt, mit dem wir euch rufen können, um die Konversation zu erleichtern." Ihre Augen bleiben scheinbar auffordernd auf dem Gerüsteten hängen.
Nun, Bengel, was sagst du nun? Was darfst du jetzt befürchten, was ich sonst noch weiß? Sie gibt allen einige Augenblicke Zeit, zu reagieren, bevor sie fortfährt:
"Um zum bereits mehrfach Angesprochenen zu kommen: Unter der Annahme, dass keiner der Anwesenden die mehrfach erwähnten wohl anonymen Botschaften verfasst hat, bliebe den Betroffenen wohl nur herauszufinden, was sie verbindet, um die mögliche Agenda des Absenders zu entwickeln." Und hier kommt der interessante Punkt: Weiterhin haben Varius und ich nicht verlauten lassen, auch nur die Art des Inhalts der Briefe anders als über die eben gesprochenen Worte der anderen erfahren zu haben. Andere haben hier schon sehr viel mehr zu wissen vorgegeben.