Als Arjen die Augen aufschlug, schaute er durch das Rund des Theaters in den Himmel. Der Wolkenteppich war fadenscheinig geworden. Hier und da war die Röte der aufgehenden Sonne zu erkennen, aber immer noch zogen Rauchschwaden der brennenden Stadt um ihn herum gen oben. Es war also kein Alptraum gewesen - der freie Himmel über ihm anstelle des Mauerwerks der Zellendecke und der Rauch der brennenden Gebäude bezeugten es.
Das realisierend blickte er hinüber zu den beiden Leichen, die er und sein neuer Begleiter - Will, wie er sich vorgestellt hatte - gestern mit Müh und Not... ja was? - getötet hatten.
"Ob "getötet" das richtige Wort ist für diese Kreaturen? Ich wage, es zu bezweifeln." Jedenfalls rührten sich die beiden nicht mehr, und das würden sie auch nicht mehr tun. Bei beiden hatten seine und Wills Klingen tiefe Risse im Schädel hinterlassen und sie damit zu boden gebracht.
Als diese Kreaturen den Gefängnisblock gestürmt hatten, hatte er sich schlagartig an all die Jahre im Heer und sein Training erinnert. Parieren, auf die Deckung des Gegners achten. Falls dieser die Deckung öffnet, sofort eine der vitalen Stellen attackieren. Sobald der erste Tote in den Raum torkelte, hatte er geahnt, dass all diese Taktik völlig sinnlos und überflüssig war gegen diese Kreaturen. Und als sein Schwert der Kreatur in den Magenrube gerammt hatte, diese sich aber an dem Schwert hochzog, um nach ihm zu greifen, und es so noch tiefer in sich hineintrieb, war aus der Ahnung Gewissheit geworden. Irgendwann hatten sie durch Zufall erkannt, dass die Toten erst fielen, wenn man ihr Gehirn traf, und hatten sich nur noch auf Angriffe auf den Kopf konzentriert.
Aber es war zu spät gewesen. Arjen hatte sein Wort gehalten, aber er konnte Rennock nicht retten. Und als dieser gefallen war und er der Übermacht allein gegenüberstand, hatte er sich davon gemacht. Er dachte noch einmal an den Soldaten, dem er nun sein Leben - oder noch besser: sein nicht Untot-Sein - verdankte.
Plötzlich schrie sein Begleiter auf - nannte verschiedene Namen; wahrscheinlich geliebte Menschen. Arjen sah zu ihm hinüber, sagte aber nichts, stellte keine Fragen. Er wusste nicht mehr, wie oft er so aus dem Schlaf hochgefahren war - früher mit dem Mädchen mit den braunen Strähnen vor Augen, und in den letzten Wochen mit dem Bild seiner ermordeten Familie. Er wusste, dass eine Nachfrage zu diesem Zeitpunkt nichts bringen würde.
Und offenbar wollte Will auch nicht darüber reden. Er sprang auf und begann das weitere Vorgehen zu besprechen, als wolle er den Ausbruch überspielen. Arjen erhob sich ebenfalls und musterte die Kleidung und das Auftreten des Mannes. Anscheinend war Will ein - wenn auch im Kampf geübter - Schauspieler.
"Ich sollte heute hingerichtet werden. Stattdessen scheint die ganze Welt unterzugehen, während ich noch immer lebe. Und ich bin hier in einem Theater, stehe auf einer Bühne mit eine Gefährten, der Schauspieler zu sein scheint. Das Schicksal entbehrt sicherlich nicht einer gewissen Ironie."Während Will weitersprach, gurtete Arjen sein Schwert an. Wll erkannte, dass Arjen eine leichte Lederrüstung über einem einfachen Leinenhemd und einer ebensolchen Hose trug. Beides war wohl seinerzeit ungefärbtes Baige gewesen, aber inzwischen mit Braun und Grau des gestrigen Tages, sowie mit roten Spritzern von Blut und Schlimmerem übersät. An den Füßen trug Arjen Lederstiefel, ähnlich den Wachen der Stadt. Über seinem Rücken hing ein ebensolcher Holzschild. Sowohl beim gestrigen Kampf, als auch an seinen Bewegungsabläufen jetzt, war zu erkennen, dass der Mann Kampferfahrung hatte.
Als der Schauspieler mit seinen Ausführungen endete, nickte Arjen zur Zustimmung.
"Ja - sehe ich genauso. Wir müssen uns ein Bild von der Umgebung machen. Ich glaube zwar nicht, dass die Lage sich geändert hat - diese Toten wandeln inzwischen seit fast zwei Tagen herum, so einfach hören sie nicht damit auf - aber vielleicht gibt es noch andere Menschen, die sich in der Nacht zu diesem Ort oder einem in der Nähe durchgeschlagen haben. Falls ja - sollten wir ihnen helfen. Außerdem hat jemand vielleicht weitere Neuigkeiten darüber, woher diese Kreaturen kommen."Mit diesen Worten schaut sich Arjen im Rund des theaters um und sucht nach einer Treppe an der Innenseite der Mauer, oder einem anderen Weg nach oben. Unbewusst hofft er, dass sein Blick auch nicht auf eine weitere von diesen Kreaturen oder etwas ähnliches stößt, was sich in der Nacht hineingeschlichen haben mag.
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