Angewidert betrachtet Elrynor die Schüssel Eintopf und entschließt sich aus Erfahrungswerten der letzten drei Wochen dazu, diesen Fraß nicht anzurühren. Brot und Eintopf. Er kann immer noch nicht fassen, dass sein eigenes Volk ihn so schlecht behandelt und ihm diese matschige, nach Nichts schmeckende Brühe anbietet. Wenn der Koch - wenn man ihn denn so betiteln darf - wenigstens etwas von seinem Handwerk verstünde, wäre auch ein Eintopf kein Problem aber das Zeug bekommt er einfach nicht runter.
Doch in diesem Moment, meldet sich knurrend Elrynors Magen zu Wort. Also muss er doch zu altbekannten Mitteln greifen, wie er es die letzten Tage bereits getan hat. Mit einigen einstudierten Worten und einer langsamen, schwungvollen Handbewegung in seine Richtung, lässt Elrynor die Schüssel samt Brot zu sich schweben. Schließlich zerreibt er die Luft über dem Eintopf und ein angenehm würziger Geruch nach frischen Kräutern entsteht in seiner Zelle und verfeinert dabei das Essen.
[1]War diese Aktion unterbewusst als Provokation gedacht, so erfüllte sie bewusst ganz einfach den Zweck, diesen Fraß essbar zu machen. Was sollten die Wachen schon tun? Ihn köpfen? Das werden sie nicht wagen und dieser Tatsache ist er sich bewusst. Zumindest im Moment ist er sicher - bis Fürst Adair plötzlich der Annahme ist, dass Elrynor auch in Gefangenschaft noch eine Gefahr für die Stadt ist. So wie er seinen Herrscher einschätzt, wird das früher oder später geschehen aber bis dahin, ist er sicher.
So lässt sich der Zauberer die Suppe schmecken, während er dabei zusieht, wie der Kargi gefüttert wird. Er erinnert sowohl von seinem Aussehen, als auch von seinem bisherigen Verhalten eher an ein Tier, denn an eine wirkliche Person. Für einen Mann dieses Volkes nichts Ungewöhnliches. Natürlich war Elrynor diesem Kargi-Krieger körperlich völlig unterlegen aber jedes kleine Kind weiß, dass einem bloße Körperkraft in vielen Situationen nicht weiterbringt. Wieder etwas, dass er mit Tieren gemein hat. Natürlich ist die grobe Behandlung des Kargi vollkommen angemessen und dieses Thema ist vielleicht das Einzige, in dem er momentan mit den Wächtern - vor allem dem Blutumhang - übereinstimmt. Elrynor macht sich nicht die Mühe, den Kargi weiter zu beobachten und lenkt seinen Blick lieber auf die Fürstenwache.
Auch wenn Fürst Adair vollkommen paranoid und seine Leibwache nur hier ist, um die eigentlichen Wachen im Blick zu behalten, begrüßt Elrynor die Anwesenheit des Blutumhangs. Er weiß wenigstens, wie man dieses Tier richtig behandelt. Wenn es nach Shanahan geht, würde der Kargi vielleicht sogar genau den gleichen Eintopf kriegen wie er selbst. Sogar diese Brühe ist zu gut für einen Kargi. Es wäre ein Ding der Unmöglichkeit und eine dreiste Beleidigung ihm gegenüber, wenn der Kargi so behandelt werden würde.
Auch wenn diese Zelle noch recht angenehm ist, kann sich Elrynor nicht damit abfinden, hier zu sein. Die Anschuldigungen waren und sind immer noch vollkommen absurd. Geradezu lächerlich, dumm und ganz einfach falsch. Hätte es der Fürst nicht ernst gemeint, dann würde Elrynor noch jetzt darüber lachen. Stattdessen muss er hier in dieser Zelle sitzen - für etwas verurteilt, dass er nicht getan hat. "Unvorsichtiger Umgang mit der Magie kann zu Pandemie und Siechtum in der Gemeinde führen" hieß es. Das Einzige, was wirklich zu Siechtum führt, ist die Führung der Stadt durch Adair. In diesem Moment verwünscht Elrynor die lange Lebenserwartung der Elfen. So würde sich das Problem erst einmal nicht von selbst lösen.
Doch Elrynor hat schon seit längerem einen Entschluss gefasst. Jaylin hat den Begriff Heimat nicht mehr verdient. Mit Spott, Hass, Neid und dem Misstrauen hätte er ja noch leben können aber die aktuellen Ereignisse zeigen leider deutlich, dass er in dieser Stadt nicht mehr bleiben kann. Selbst wenn er irgendwann seine Freiheit zurückbekommt - woran er sowieso nicht glaubt - würde er hier nur versauern. Er muss seine Fähigkeiten entwickeln und studieren. Jaylin ist der falsche Ort dafür - ganz davon abgesehen, dass es hier gefährlich für ihn geworden ist. Er hat von Hexenmeistern in den Bergen von Cosdol gehört, die zwar abgeschieden leben aber dafür Magie akzeptierten und fördern. Nach 124 Jahren ist die Zeit sowieso reif, einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen und gerade jetzt, scheint der richtige Augenblick zu sein. Jetzt muss er nur noch einen Weg finden, diese Zelle und schließlich den Wald zu verlassen. Er wird nichts und niemandem hinterhertrauern.
Alleine wird er dieses Ziel allerdings nicht erreichen können. Selbst wenn er irgendwie die Gitterstäbe zerstören könnte - was er nicht kann - dann würden ihn die Wachen aufhalten. Er braucht Hilfe. Vielleicht ist der Kargi ja doch noch zu etwas Nutze? Tiere kann man schließlich auch dressieren und für eigene Zwecke nutzen. Doch dazu muss er erst einmal unbemerkt Kontakt aufnehmen.
Trotz allem sind da immer noch einige andere Probleme. Elrynor besitzt nichts, mit dem er arbeiten oder überleben kann. Selbst wenn er sich dazu herablassen würde, zu jagen, braucht er seinen Bogen. Außerdem fehlt ihm seine treue Begleiterin. Das einzige Wesen, das ihn nicht aufgrund der Magie verachtet und die letzten Jahre stets bei ihm war. Wenn er doch nur wüsste, wo Tháron ist.
Elrynor seufzt. Die Situation scheint aussichtslos zu sein. Der Appetit ist ihm vergangen und so lässt er die halbvolle Schüssel gemächlich zum Gitter schweben, während er darauf wartet, dass irgendetwas passiert.