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« am: 31.07.2016, 22:41:57 »
Lulu ist ebenso wie Spinner zunächst von Wulfs Nachricht überrumpelt. Ihr fällt ein, dass sie am gestrigen Tag gar nicht mehr in der Morgenkammer vorbeigeschaut hat, nachdem sie sich von den Zonenrückkehrern verabschiedet hatte. Ob die Bosse tatsächlich auf die Meinung der beiden Wert legen werden, weiß sie nicht, aber sie beschließt dennoch, die Gelegenheit beim Schopf zu packen. Vielleicht zeigt sich ja einer vernünftig - auch wenn sie bei Stonzlach und Grimm nicht damit rechnet.
In der Halle des 'Gerichts' fühlt sich die Chronistin allerdings erst ziemlich fehl am Platz. Es wirkt für sie so merkwürdig, ja unnatürlich, dass alle Bosse sich ohne einen Rattenschwanz aus Handlangern zusammengefunden haben. Mit verschränkten Armen bleibt sie zu Beginn der Verhandlung mehr im Hintergrund; ihre Augen wandern zwischen den anderen Anwesenden umher, aber Stonzlach vermeidet sie direkt anzusehen. Mehr aus dem Augenwinkel nimmt sie die viel zu helle Silhouette wahr, bis ihr vor allem eins auffällt: Der gefürchtete, brutale Despot ist auch nicht größer oder mächtiger als all die anderen Mutanten. Ohne seine Schlägerbande nimmt er auch nicht mehr Platz im Raum ein als sie oder Spinner. Nicht einmal seine Mutation erhebt ihn irgendwie über den Rest der Archenbewohner. Alles, was ihn auszeichnet, ist die Angst, die er in anderen schürt.
Dann aber trifft die dunkelhäutige Mutantin eine noch viel wichtigere Erkenntnis. Nämlich, dass im Umkehrschluss Spinner und sie gar nicht machtlos und unbedeutend sind. Nur weil die Bosse es sich von Kindesbeinen an zur Gewohnheit gemacht haben, Leute herumzukommandieren, heißt es noch lange nicht, dass sie automatisch recht haben oder der Rest sich nicht eimischen darf oder soll. Diese eigentlich naheliegende Tatsache gibt der Chronistin auf einmal ganz viel Mut. Anscheinend ist Spinner etwas Ähnliches klar geworden, zumindest ist Lulu ehrlich beeindruckt von dem Selbstbewusstsein, den der sonst schüchterne Tüftler auf einmal an den Tag legt. Sie fürchtet nur, dass er sich gerade etwas verheddert und dass es so wirken könnte, als wäre es selbstverständlich, dass die beiden einer Meinung sein müssen. Aber ihrem Freund ein Messer in den Rücken rammen will sie natürlich nicht. "Ähh, fast," gibt die Frau leise von sich, als sie Spinners Blick begegnet. Dann stemmt sie die Hände in die Hüften, um einen kleinen Schritt vorzutreten und so die Aufmerksamkeit von dem Bastler abzulenken. Bei Stonzlach hat sie immer noch Schwierigkeiten, Blickkontakt zu ihm herzustellen, aber sie versucht sich immer wieder daran zu erinnern, dass er ja nur durch seine Arroganz und Einschüchterung Macht über andere ausübt.
"Damit eins klar ist. Wenn wir anfangen, uns gegenseitig abzuschlachten, sind wir nicht besser als Ghule oder Köter, die da draußen Fäulnis fressen," schaltet sich die Chronistin mit einer Zuversicht, die sich nicht einmal selbst von sich erwartet hat, in das Gespräch ein. Sie zeigt mit gespreizten Fingern auf Danube und Rubki. "Die zwei sind so tief gefallen, und wir müssen allen klar machen, dass wir das in der Arche nicht dulden werden. Das heißt aber nicht, dass wir sie jetzt abfertigen, nach Hause gehen und weiter machen dürfen wie bisher. Was glaubt ihr, was jetzt wäre, wenn die Chronisten sich nicht um die Verletzten kümmern würden? Dann wär Riley jetzt auch tot und vielleicht noch 'n paar mehr. Die beiden hier sind nur geblieben, um sicherzugehen, dass von Stanleys Schädel kaum was übrig bleibt. Sie haben das letzte Bisschen Gewissen verloren, und sollen dafür auch büßen, aber wer auch immer meint, Leute terrorisieren und verprügeln zu müssen, ist auch nicht besser!"
Nun schafft die Mutantin es doch, Stonzlach unmittelbar in die Augen zu schauen, wenn auch nicht lange. Um sie herum beginnt die Luft leicht zu wabern. Je länger sie spricht, desto sicherer wird sie dabei.
"Wir sind eine Gemeinschaft, kein Rudel Zonenköter! Wir müssen jetzt nicht nur entscheiden, wie wir mit den zweien verfahren, sondern auch wie wir verhindern, dass es noch mehr Tote gibt!"