Kaum durchs Tor, trieb Cesares Instinkt ihn dazu, mit raschen Schritten möglichst viel Abstand zwischen sich und die selbsternannten Gesetzes- und Hygienehüter zu bringen. Als sich ein wenig verspätet sein Verstand dazuschaltete, hielt Cesare abrupt an.
Was wäre hier in Tal das für seine Gesundheit abträglichste, was ihm passieren konnte? Als Apokalyptiker enttarnt zu werden. Wo vermutete man einen solchen am wenigsten? In der Begleitung eines Richters, Spitaliers und Hellvetikerin. Widerstrebend lenkte Cesare also seine Schritte zu diesen zurück und kam gerade rechtzeitig, um Mehlers Bemerkung zu den spielenden Kindern zu hören. Er warf diesem einen ausdruckslosen Blick zu. Das heißt, seine Miene war ausdruckslos, seine Augen aber taten, was seine Augen immer tun.
'Du guckst immer so intensiv, wenn du einen so direkt anschaust', hatte Jehan ihm einmal gesagt. 'Das Gesicht wird einem ganz heiß dabei! Früher hat es mir Angst gemacht. Wenn du so geguckt hast, wusste ich nie, ob du mich gleich schlägst oder tröstend in den Arm nimmst.'
In ihrem Fall mochte das gestimmt haben. In Bezug auf Richter Mehler aber überlegte Cesare noch immer, ob es tatsächlich schlau war, in dessen Nähe zu bleiben. Was wollte der Mann eigentlich hier in Tal? Cesare würde sich besser fühlen, wenn er das wüsste. Das entschied die Sache endlich: ja, er würde in derselben Herberge unterkommen wie die Reisegefährten. Sollte Mehler entscheiden, ob er der Empfehlung dieses Bronco trauen wollte. Ein Nicken in Mehlers Richtung sollte ihm dies bedeuten—vielleicht ein wenig zu verschlüsselt. Vielleicht aber verstand der Richter es auch.
"Als Jungen, wir auch immer haben gespielt das Spiel", sagte er. Milder Spott fand seinen Ausdruck in einem leichten Zucken des Mundwinkels.
"Wer zog beim Losen den kürzeren, musste sein ein Richter."Er sah sich um, musterte die Leute wie die Häuser in der Nähe und die Gasse selbst. Die Gasse: Gewunden oder gerade? Abzweige? Weitete sie sich in der Ferne vielleicht zu einem Platz? Die Leute: geschäftig oder gedrückt, ärmlich oder wohlgenährt, bewaffnet oder nicht, die Blicke misstrauisch, ängstlich oder neugierig? Die Häuser: ärmlich oder gut in Schuss? Fiel ihm eines der Häuser in den Blick, vielleicht weil es erst jüngst Renovationen oder Anbauten erfahren hatte? Vor allem aber achtete er auf die Schilder, die auf ein Handwerk hinwiesen: war darunter ein Schneider?
[1]Dann wandte Cesare sich an die nächstbeste Person, die nicht allzu beschäftigt aussah—Bronco, wenn es sein musste—und fragte:
"Entschuldigung. Suche eine Frau, die sich heißt Maria. Oder Marie. Oder Mari. Sie müsste haben zwischen fünfundvierzig und fünfundfünzig Jahre, vielleicht auch etwas mehr noch. Sie muss gewesen sein in Purgare, als sie war jünger. Kennen Sie so jemanden?"Den Namen Maria hatte Cesare auch Richter Mehler genannt, als der ihn vorgestern verhört hatte. 'Ein ehemaliges Kindermädchen', hatte er behauptet, 'die vielleicht weiß, wo sind meine Eltern.' Den Namen hatte er aber nicht nur deshalb gewählt, weil er sich tatsächlich an ein Kindermädchen dieses Namens erinnerte—
Verrückt, der eigene Name will mir nicht einfallen noch die der Geschwister oder Eltern, aber dass das Kindermädchen Maria hieß, das weiß ich noch!—sondern weil dies seines besten Wissens nach auch in Borca ein häufiger Name war. Man durfte also hoffen, dass es hier in Tal mehr Marias gab, als der von ihm Angesprochene kennen konnte, oder die er zumindest nicht alle gut genug kennen konnte, um sicher zu wissen, dass keine davon vor vielen Jahren einmal südlich der Alpen war.
Falls die Antwort so ausfiel wie erwartet—dass der Angesprochene etwa nachhakte, ob Cesare nichts genaueres über diese Maria wisse—würde er hinzufügen:
"Ich weiß, dass sie ist eine Bekannte—oder Verwandte?—von einem Mann mit Namen Vincent Dessailly. Wo ich kann finden ihn?"[2]