Bard war überrascht über das, was Phoebe bei ihrer Untersuchung der Scherben erkannte. Ein Drachenei! Bard hatte noch nie eins zu Gesicht bekommen, doch es war vermutlich ein Anzeichen dafür, dass es nicht nur das Auftauchen des Monolithen gewesen war, das den Drachen in die Nähe von Iqaliat getrieben hatte. Die Frage, die dabei aufkam, war: Was war mit dem Inhalt des Eis geschehen? Hätte Tunuak das Ei einfach nur stehlen und zerstören wollen, um den Drachen (vermutlich eine Drachendame und Mutter des ungeschlüpften Babies) zu verärgern, hätte er es nicht zum Altar bringen müssen. Bard hatte gespürt, dass der Inhalt des Eis für Tunuak von Bedeutung gewesen war. Naheliegend war, dass der Schamane das Ei geopfert und für irgendeine dunkle Magie eingesetzt hatte. Vielleicht hatte er den erwachsenen Drachen damit sogar unter seine Kontrolle gebracht. Bard bezweifelte, dass das Drachenjunge lebte. Selbst, wenn das Kleine bereits weit genug entwickelt gewesen war, um das Zerbrechen des Eis überleben, hatte Tunuak sicher nicht Gutes mit dem armen Geschöpf angestellt. In der Eishöhle war (außer den Eierscherben) keine Spur eines Drachen zu finden gewesen. So oder so… Diese Grausamkeit gegen ein unschuldiges Lebewesen machte Bard wütend und traurig. Schmerzlicherweise erinnerte ihn das an die Umstände, wie Astrid und er zueinander gefunden hatten.
Während Naquun gegen die Besessenheit ankämpfte und sich schließlich ein Quasit von ihm löste, musste Bard sich bemühen, nicht die Nerven zu verlieren. Gleichzeitig war es grauenhaft, aber auch gut, dass Bard mit seinem Verdacht, dass Naquun Tunuak nicht freiwillig half, rechtgehabt hatte – denn auch wenn dieser Mann Schreckliches durchlitten haben musste, wusste er wahrscheinlich besser als jeder der anderen Anwesenden, was Tunuak verbrochen hatte, und war nun befreit… und sicherlich bereit, dabei zu helfen, Tunuak das Handwerk zu legen. Bard konnte vermutlich nicht komplett nachvollziehen, was Naquun durchlitten hatte, aber viel hatte nicht gefehlt, damit sie dieses Schicksal geteilt hatten.
„Ich denke, Teleportation klingt nicht schlecht“, fand Bard, als über die weitere Vorgehensweise geredet wurde. „Wenn Tunuak euch sieht, wird er sicher misstrauisch sein und zumindest versuchen, euch aufzuhalten. Aber Naquun oder mich darf er auf keinen Fall zu früh sehen, sonst wird ihm klar sein, dass ihr sein Geheimnis kennt. Mit magischer Kommunikation kann ich nicht helfen, aber vielleicht reicht es ja, laut zu rufen. Soweit ich mich erinnere, ist Iqaliat nicht so groß, dass man Rufe nicht hören würde. Phoebe könnte über den Häusern fliegen und die Nachricht weiterleiten, sollte Sovanuts Haus doch zu weit weg sein.“
Bard fühlte sich im Zwiespalt, doch während ein Teil der Gruppe die Dorfältesten suchte, konnte er hier nicht ausharren und nichts tun.
„Ich weiß, es ist nicht ideal, dennoch kann ich hier nicht warten“, fuhr erfort. „Ich muss meine Astrid finden und sichergehen, dass sie wohlauf ist. Sie war zwar nicht bei mir, sondern auf der Jagd, als Tunuak mich überwältigte, aber sicherlich macht sie sich schon große Sorgen um mich. Ich kann nicht ausschließen, dass sie zur Siedlung gekommen ist, um mich zu suchen. Sie ist zutraulich, das könnte sie in Gefahr gebracht haben. Falls sie verletzt ist, zählt jeder Moment“, wusste er und war überaus besorgt, dass Tunuak, Naquun oder sonst wer sich an ihr vergriffen haben konnte. Bard war sich bewusst, dass dazu aber nicht unbedingt dämonische Besessenheit von Nöten war. Eine Rieseneule könnte auch von rechtschaffenen Bewohnern Iqaliats als Bedrohung eingestuft worden sein. Erst jetzt wurde Bard bewusst, dass seine Worte vielleicht etwas wirr klangen, weil man Astrid als Person und nicht als Tier einstufen könnte.
„Sagt, ihr habt nicht zufällig eine große Schneeeule gesehen?“, erkundigte er sich. Das hätte er schon viel früher machen sollen! „Was ist mit dir, Naquun?“
Bard schickte sich an, seinem Leidensgenossen aufzuhelfen, und versuchte, diesen auf die Beine zu ziehen. Er war zwar nur halb so groß wie der Mensch, aber das traute er sich trotzdem zu.