Archiv > Kagematsu: Was zurück bleibt

[Szene 12] Es ist besser, etwas zu erwerben, als es geschenkt zu bekommen.

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Tsuyoshi:
"Ah, ich verstehe" nickt der Ronin. Zunächst amüsieren ihn die Verlegenheit und das Stottern des Mädchens so, dass er grinst: "Nun, sie sind nicht weg, aber es gibt Tage, an denen die Regenwolken weniger schwarz erscheinen als an anderen, neh?" Je länger sie sich windet und immer mehr verhaspelt, desto weniger breit wird das Grinsen jedoch, bis er sich schließlich räuspert und mit einer Hand im Nacken kratzt, um den Mangel an rechten Worten zu überspielen, den er gerade verspürt. "Ach was," meint er mit gespieltem Unwillen, "es ist ja gar nichts passiert, das unehrenhaft gewesen wäre!" Sein Blick gleitet über das rot glühende Gesicht, die Augen, die ihm ausweichen, die nervösen Hände, und er räuspert sich nochmals. Vage Zweifel steigen in Tsuyoshi auf. "Hör mal..." fängt er an und verstummt gleich wieder. Indem er in den Himmel hinaufstarrt, sucht er sich eine gute Formulierung zurechtzulegen. "... ich weiß nicht, ob dir dein Dienst strengere Regeln zur Sittsamkeit auferlegt als andere, mh... Jungfrauen sie befolgen müssen. Wenn wir etwas getan haben sollten, das die Ahnen beleidigt, werde ich mich in aller Form entschuldigen." Hierbei weist er auf den Schrein, der sozusagen Augen und Ohren der Ehrwürdigen sichtbar repräsentiert. Dann hebt er die Hand, als wollte er ihr über das Haar streicheln, lässt sie aber wieder sinken und kaut auf der Unterlippe. "Dich trifft jedenfalls keine Schuld, Mädchen, falls sie wirklich beleidigt wurden."

Miko Yumi:
Offensichtlich braucht die junge Miko, bis die Worte des Kriegers bei ihr ankommen - rauschenden Ohren und im Kreis rennenden Gedanken sei Dank. Zunächst erhellt sich ihr Gesicht weiter, als er davon spricht, dass er nciht mehr so niedergeschmettert ist. Selbst die Aufregung legt sich ein wenig, als er meint, es wäre nichts unehrenhaftes geschehen. Es versetzt ihr einen kleinen Stich, den sie aber mangels Verständnis ignoriert.

Als er seine Sorge kundtut, ob sie etwas getan hätten, was ihren Pflichten widersprach, protestiert sie sofort: "N-nein, das haben wir, also, das hst du-ihr nicht, ich meine, einen Ahn beleidigt! Dazu wären wir, dank ihrer Leitung, garnicht fähig!", verkündet sie mit der Inbrunst der Überzeugung. Als ihr Blick jedoch zwischen dem jungen Krieger und der Rüstung hin- und herwandert - und ihre Gedanken um ihre priesterliche Rolle, ihre Gefühle und den Ahn des Schreines kreisen - bricht sich plötzlich eine Ahnung, eine Erkenntnis Bahn. Er ähnelt dem Ahnen und steht, wie man es von ihm erwarten würde, dem ihm empfohlenen Dorf in seiner Not zur Seite. Hatte der Ahn ein geeignetes Gefäß hergeführt? Es würde auf jeden Fall ihre Gefühle erklären. Kurz fragt sie sich, wie sie das prüfen konnte, dann wurde ihr klar, dass sie es garnicht durfte - Zweifel haben. Der Glaube ist das Wichtigste.

Mit diesen Gedanken kehrt die Ruhe wieder im Herzen Yumis ein und sie strahlt Tsuyoshi an: "Womit können die Geister und Ahnen - oder ich als bescheidene Dienerin - helfen? Habt ihr Fragen oder Sorgen oder wollt erneut üben? Vielleicht warten und sehen, wieweit die Dorfbewohnerinnen mit ihren Übungen gekommen sind?" Schließlich blitzt - nach einem weiteren Blick zur Rüstung im Schrein - so etwas wie Frechheit in ihren Augenwinkeln: "Falls man fragen darf: Darf man euch einmal in voller Rüstung sehen?"

Tsuyoshi:
Der Ronin blickt forschend in die jugendlichen Züge der Miko. Er wirkt zwar nicht ganz überzeugt, scheint sich aber angesichts ihrer nachlassenden Aufregung ebenfalls wieder etwas zu entspannen. Offenbar ist ihm die Sache mit den Ahnen durchaus sehr ernst. "Eine Anleitung durch die Ehrwürdigen selbst ist mehr, als ein einfacher Krieger erhoffen darf" murmelt er mit einem langen Blick auf den Schrein. Dann wendet er sich Yumi wieder zu und hebt erstaunt, fragend die Augenbrauen. Ihr plötzlicher Überschwang ist ihm nun auch wieder nicht erklärlich – bis er so recht begreift, was sie da gesagt hat. "Mich..?!" echot er ganz perplex und macht dazu wohl nicht gerade das klügste Gesicht, das man je von ihm sah.

Als die Erkenntnis so langsam in sein Bewusstsein sickert, macht er unwillkürlich einen Schritt zurück. Sein Blick wandert zwischen der herrlichen Rüstung und dem Mädchen hin und her. "Das... das ist die Rüstung eines hohen Herrn. Ein Stück, das ein Taishō tragen könnte!" Trotzdem man ihm den Respekt vor dem Höherrangigen anmerkt, der dem Samurai von Kindesbeinen anerzogen ist, bleiben seine Augen aber regelrecht an dem metallverstärkten Dō hängen, dem größten und neben demKabuto prachtvollsten Stück der Panzerung. "Was sollte der rechtmäßige Besitzer denken, wenn..?" Er beendet den Satz nicht. Das Vertrauen, das die Worte der Miko ausstrahlen, macht ihn offenbar in seinen Bedenken wankend.

Miko Yumi:
Der sonst nicht unbedingt schnellen Yumi wird bei Tsuyoshis Antwort klar, dass er tatsächlich über keine eigene Rüstung verfügt und schon ihren Hintergedanken erkannt hat. Dies nur als weiteres Indiz für ihre Ahnung bewertend widerspricht sie mit Feuereifer: "Nein, nein, der Träger war kein hoher Herr, ganz im Gegenteil - ein einfacher Samurai, der im Dienst seines Herren bei der Verteidigung der einfachen Leute fiel. Die erdrückende Übermacht der Soldaten, die das Volk und ihn angriffen, überwanden ihn jedoch erst, als alle in Sicherheit waren."

Ohne darüber nachzudenken ergreift sie das Handgelenk des jungen Kriegers und will um den Schrein zur Rückseite ziehen. Ungebremst redet die Miko auf ihn ein: "Seine Rüstung ist repariert und zur Reliquie erklärt worden, um diesen noblen Geist zu erhalten. Sie ist hier, um dieses Dorf zu schützen, so wie ihr auch. Wie könnte es richtiger sein, als beides zusammen zu bringen?" Mit glühenden Augen sieht sie ihn auffordernd an.

Tsuyoshi:
"Ein einfacher Bushi?" fragt der Ronin ungläubig. Wieder starrt er die herrliche Rüstung an, fährt mit einer Hand nachdenklich über sein Kinn. Nochmals schnellt sein Blick zu der Miko, als für die Dauer eines Herzschlags ein Verdacht in ihm aufkeimt. Diese Geschichte, die sie da erzählt, passt allzu gut zu der Situation, in der sie gerade sind... Doch dann schüttelt er den Gedanken ab. Zu jung, zu unschuldig und zu enthusiastisch wirkt das Mädchen, als dass man ernstlich vermuten könnte, sie würde im Angesicht der Ahnen eine Lüge wagen, und sei es auch zu ihrem eigenen Nutzen! Dann jedoch muss wahr sein, was sie erzählt. Ein Zeichen..? Tsuyoshis Augen wandern in die Höhe, zu dem großen Helm, als sei zwischen den Flügeln noch das Gesicht des ehemaligen Trägers zu sehen – eine Miene, der man Zustimmung oder Ablehnung entnehmen könnte.

Yumis Griff nach seinem Handgelenk kommt, als er mitten in seinen selbstzweiflerischen Gedanken begriffen ist. Daher leistet er auch keinen Widerstand, sondern folgt ihr wie in einem Traum, während er noch immer mit sich ringt: Erwarten die Ahnen Ehrfurcht und Zurückhaltung von ihm oder Wagemut und Selbstvertrauen..? "Es scheint... eine Bedeutung zu haben" gibt er unsicher zu, kann sich aber nicht recht zwischen seinen widerstreitenden Werten entscheiden. Schließlich, nachdem er eine Weile vor sich hingestarrt hat, nimmt er Yumis Hände und sieht ihr in die Augen. "Verrate mir, Mädchen," fordert er sie eindringlich auf, "ist es dein Herz, das in alledem ein Zeichen sieht, oder... ist es der Wille der Ahnen?" Erwartungsvoll wirkt sein Blick. Nicht dass sie mit ihrem Alter über die große Lebenserfahrung verfügen könnten, die allein die Weisheit bringt. Aber immerhin hat man sie zur Dienerin höher Mächte bestimmt, während er nur ein einfacher Krieger ist, zu dem keine Geister sprechen.

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