Nubithas quiekte auf tatsächlich auf, als Schneeflocke das erste Mal versuchte, ihm hinterherzuspringen. So ganz überzeugt wirkte das kleine Wesen nicht davon, dass das pelzige „Ungeheuer“ nichts Böses im Sinn hatte. So war der Mephit darauf bedacht, Abstand zum zum zu halten – auf dem Weg zur Farm der Lindells, aber auch, als sie dort angekommen waren.
Tatsächlich war das vermeintlich einzige Hindernis, das noch zwischen der Gruppe neu-ernannter Investigatoren und dem Aufklären des Verschwindens der Müllersfamilie und des Sheriffs lag, ein bisschen Abstand zur Scheune und das Scheunentor selbst.
Lavenia hatte richtig erkannt, dass es wohl nicht leicht wäre, einen Blick ins Innere zu erhaschen, doch sie als Fee hatte durch ihre Winzigkeit und ihre Fähigkeit zu fliegen, die besten Voraussetzungen, um voranzuspähen. Die Idee, die Mephiten einzuschüchtern, waren wohl am Ende nur eine Option, die zu einer gewaltfreien Lösung beitragen könnten. Obwohl Vincent nicht lang fackelte und sich dafür aussprach, den Mephiten lieber als Befreier als Bedrohung gegenüberzutreten, antwortete Nubithas, etwas überfordert, ob er nun Lavenia oder Nadeshja beim Sprechen ansehen sollte:
„Mephits viele fürchten Zorn und Strafe von Meister mächtig.“ Das niedere Elementarwesen kratzte sich nachdenklich an einem seiner langen, spitzen Ohren, als seine Expertise erneut gefragt war. Wovor fürchteten sich Mephiten wohl am meisten?
„Mephits hassen Element anders als Heimat. Nubithas hassen Erde. Dreckig und krümlig und rauben Freiheit. Bäh!“ Er verzog sein Gesicht, das dabei runzlige Falten warf.
„Sterblichwelt schlecht, weil Erde zu viel und Wind zu wenig. Wind und Himmel endlos sein in Luftheimat.“ Nubithas schnarrte missbilligend, während er den vertrockneten Boden des Hofs mit einem bösen Blick strafte.
„Feuermephits hassen Wasser. Wassermephits hassen Feuer. Immer anders. Aber immer gleich für Mephits alle sein Angst vor Strafe garstig.“Für Vincent klang die Ausführung des Luftmephiten zwar plausibel und diese Informationen wären vielleicht nützlich, um die durch die Druidin beschworenen Wesen im Zweifelsfall in Schach zu halten, jedoch war der Gedanke, sie davon zu überzeugen, dass man ihnen nichts Böses wollte, auch nicht aus der Luft gegriffen. Vermutlich war Nubithas ehrlich damit, dass er zurück in seine Heimat wollte, und demnach war es naheliegend, dass es den anderen Mephiten auch so ging. Ohne ihre Meisterin, die sie aus den Diensten entlassen konnte, waren die lästigen Wesen wohl auf externe Hilfe angewiesen, wenn sie nicht auf der materiellen Ebene versauern wollten. Soviel konnte Vincent aus den Beobachtungen und Erzählungen, aber auch aus seinem Wissen über Beschwörungsrituale, schließen: die Druidin musste die Mephiten an einen Beschwörungskreis gebunden haben. Und solange dieser Bestand hatte, würden die Mephiten gefangen sein, unabhängig davon, wie das finale Schicksal der Druidin am Ende vielleicht aussehen würde. Solche Beschwörungskreise wurden mit Magie und Runen gewoben, die man auf den Boden, auf eine Wand oder auf einen Gegenstand schrieb oder ritzte. War das Ritual vollendet, hatte der Zauber solange Bestand, wie die Runen intakt blieben. Wie gefährlich es war, den Beschwörungskreis zu brechen, hing im Einzelfall vermutlich von dessen genauer Machart ab, doch die magiegeladenen Runen zu vernichten, die als Anker der beschworenen Wesen an diese Welt dienten, indem man sie physikalisch oder auch magisch unkenntlich machte, war der einzige Weg, den man hier gehen konnte.
Wolf sah die Sache offenbar ähnlich wie Vincent – zumindest schien er wenig Lust zu haben, weiterhin Zeit zu vertrödeln.
„Wir sollten das nun nicht totdiskutieren“, meinte Wolf er und folgte Vincent auf dem Fuß.
„Schlagen wir hier keine Wurzeln! Die Leute da drin brauchen unsere Hilfe! Versuchen wir einfach, einen Kampf mit diesen Dingern vermeiden...“ Vermutlich schreckte nicht nur einer der Anwesenden zusammen, als sich mit einem Mal jemand auf dem Pfad hinter ihnen auftauchte. Es waren jedoch nicht die Lindells…
Ein Rückblick (Anzeigen)
Noch nicht lang war es her gewesen, dass Femi am Horizont die ersten Giebel der entlegenen Stadt Abberton hatte ausmachen können. So weitab von jeglichen anderen Zivilisationsherden, hatte sie bei diesem Anblick ein verschlafenes Nest erwartet. Säuberlich gepflegte Gärten vor säuberlich gepflegten Fachwerkhäusern und eine Kirche, die sogar aus der Ferne leicht Abadar zuzuordnen war, hatten eher nach Spießigkeit geschrien als einen interessanten Zwischenstopp in Aussicht gestellt.
Doch der erste Eindruck hätte trügerischer nicht sein können.
Ausgerechnet hier, wo sie nicht mit so etwas gerechnet hätte, hatte Femi am Ortseingang ein Zirkuszelt entdeckt. Welch willkommener Zufall! Eine Rast, bevor die Reise noch weiter in den Nordwesten ging, war ohnehin geboten gewesen – warum also den gesamten Rest des sich zuende neigenden Tages in der Dorfkneipe vertrödeln, wenn man stattdessen auch ein Unterhaltungsprogramm bekommen konnte?
Und wäre so eine Zirkuspremiere allein noch nicht ungewöhnlich für einen Ort wie Abberton gewesen: der nächste Morgen hatte noch einmal eine Schippe obendraufgelegt! Als Femi sich nach der weiteren Reiseroute zu den Ruinen hatte erkundigen wollen, war das Dorf schon in heller Aufregung gewesen. Gerede von einem Mord im Zirkus und einer verschwundenen Sheriffsdame ging herum. Von einer verrückten Druidin, die Ratten kommandierte, und geflohenen Müllern. Davon hatte Femi am Abend ihrer Ankunft gar nichts mitgekriegt! Nach der Vorstellung war sie, zusammen mit den Bewohnern Abbertons, in die Siedlung zurückgekehrt, um dort die Nacht zu verbringen. Vollkommen ahnungslos! Kein Wunder, dass die Abbertoner darüber sprachen und spekulierten... aber auch die Artisten, die nun dem Bürgermeister und den übriggebliebenen Wachmännern helfen wollten, all den unwirklichen Seltsamkeiten auf den Grund zu gehen, waren in aller Munde. Und wie es der Zufall so wollte, hatte Femi diese seltsame Ermittlertruppe auf einen Feldweg abbiegen und die Stadt verlassen gesehen.
Neugierig geworden, hatte sie gar nicht anders können, als ihnen nachzugehen. Der Weg hatte an einer Obstplantage vorbeigeführt, bergab und zwischen Bäumen entlang, und hatte schießlich an einem Bauernhof geendet – einem abgelegenen, etwas verwahrlost wirkendem Gelände, auf dem eine Wohngebäude und eine Scheune errichtet worden waren.
Die bunte Zirkustruppe stand noch am Eingang des Geländes und redete. Ein bärtiger Zwerg, ein bunt gekleideter Goblin, die Weiße Hexe und ihre Fee, eine blonde Elfe mit einem fröhlichen Husky, ein junger, blasser Mann mit einem noch blasseren, älteren Begleiter – sie alle hatte Femi in der gestrigen Vorstellung gesehen! Das einzig relativ unbekannte Gesicht gehörte zu einem halbstarken Burschen mit blauem Überwurf, der wohl eine Art improvisierte Stadtwachenuniform darstellen sollte. Auch die beiden teufelartigen Wesen, eins blau und mit ledrigen Flügeln, eins rot mit Flügeln, die aus purem Feuer zu bestehen schienen, waren mit Sicherheit ein Anblick, den man nicht alle Tage bekam!