Noab biss die Zähne zusammen, als Kylie sich die Mühe machte, ihm einen Verband anzulegen.
„Sie hat recht“, pflichtete er Kylie bei und schob Boru sanft von sich fort, um sich aus dessen Umarmung zu befreien.
„Du kannst nichts dafür. Aber der Schuldige wird dafür büßen.“ Wieder Herr seiner Sinne, entdeckte Noab die Axt, die noch neben ihm lag. Seine Finger schlossen sich um ihr Handstück.
Eshet zog ihren Sohn komplett beiseite, damit Noab in Ruhe behandelt werden konnte, nahm diesem dann aber mit besorgter Bestimmtheit die Axt ab.
„Du wirst nun nicht kämpfen“, befahl sie ihm streng.
Seine Miene verhärtete sich kurz, dann zeigte er allerdings Einsicht und nickte zustimmend. Er hatte viel Blut verloren.
Regis und Zonk sahen sich währenddessen in der Umgebung um. Der Trampelpfad führte etwas geschlängelt voran, weil er Baumstämmen auswich, und brachte die beiden zum friedlich dahinplätschernden Bach – dem gleichen Bach, der anderswo auch durch das Lager der Zirkusartisten floss.
Das steinige Bachbett hatte sich nicht sehr tief in den Waldboden gegraben, doch an einigen Stellen, wo das Wasser Bäume unterspült und Wurzelwerk freigelegt hatten, schien das Gewässer etwa einen Meter tief zu sein. An einer Bachkurve, wo die Bäume lichter waren, hatte sich ein kleiner Kiesstrand gebildet, der von Büschen und anderem Unterholz so umringt war, dass diese einen guten Sichtschutz bildeten. Hierhin führte der Trampelpfad.
Dort, erst als Regis und Zonk sehr nahe waren, konnten sie einen schwache Lichtschein ausmachen, der, da er unter einem Busch hervorkam und von dessen Blattwerk aufgehalten wurde, vom Weitem nicht zu sehen gewesen war.
Regis konnte als Erster einen Blick auf die Szenerie direkt am Bachlauf werfen und sich bequem einen Beobachtungsposten in einem Baum suchen. Aber auch Zonk, der etwas langsamer war, weil er zu Fuß unterwegs war und darauf achtgab, mögliche weitere Fallen nicht zu übersehen (dort waren keine), schlich sich schon bald darauf an und entdeckte zwei Kreaturen, deren Anblick ihn vermutlich überraschte.
Eigentlich waren sie Goblins optisch gar nicht mal so unähnlich, denn spitze, lange Ohren standen von ihren Köpfen ab, die allgemein zu groß für ihre kleinen Körper wirkten. Doch abgesehen davon war zu erkennen, dass es sich nicht um Goblins handeln konnte – denn sie besaßen Schwänze und flügelartige Häute, die sich zwischen ihren Armen und Körpern spannten wie bei einer Fledermaus.
Eins dieser Wesen hatte knallrote Haut und Flügel, die aus loderndem Feuer zu bestehen schienen und das Leuchten ausstrahlten, das Regis und Zonk (und auch vermutlich Boru vor ihnen) entdeckt hatten. Es war zwar schwächer als das Leuchten einer Fackel, aber dennoch genug, um die nähere Umgebung in einen orangen Schein zu tauchen.
Das andere Wesen besaß blau-grüne Haut, die schimmerte wie Schuppen eines Fischs und nicht nur nass war, sondern Wasser abzusondern schien. Die Beschaffenheit seiner Flügel erinnerte fast an Schwimmhäute eines Froschs.
Das feurige Wesen saß, offenbar gelangweilt, unter einem Busch, und pflückte mithilfe seiner krallenbewehrten, knochigen Finger ein Blatt nach dem nächsten von der Pflanze. Jedes einzelne wurde kurz betrachtet, bevor es wie von selbst lichterloh in Flammen aufging und in verkohlte Reste zerfiel, die zu Boden bröselten.
Das fischige Wesen kicherte leise vor sich hin, während es im flachen Wasser des Bachs herumwatete, sich jeweils einen schweren Flusskiesel aussuchte, den triefnassen Stein ans Ufer brachte und ihn dann mit schelmischer Sorgfalt in einen Rucksack stopfte, der dort lag und mit einem grünen Aufnäher in Form eines Blatts verziert war. Dann suchte das Wesen sich den nächsten Stein, mit dem es ebenso verfuhr.
„Du sein Trottel“, kommentierte der Rote dieses Vorgehen missmutig in holpriger Gemeinsprache. Seine Stimme war quäkend und gleichzeitig kratzig als hätte er eine durchzechte Nacht hinter sich – oder zu viel Rauch eingeatmet.
„Nix interessant hier und du so tun als wie haben Spaß. Warten nix spaßig. Du nix witzig. Besser Feuer als wie Wasser. Nass nix schlimm. Stein nix schlimm. Zeug nass, dann sie trocknen. Steine wieder in Fluss. Du brennen ihr Zeug, dann sie wütend. Dann nix mehr wieder warten lassen, weil Angst um Zeug. Dann nix mehr wieder warten müssen, wenn sie fort und haben Spaß mit Zirkus. Sie Sindaphax dann wieder mitnehmen. Sindaphax wieder Dinge schmelzen. Das viel spaßig!“ Der Blaue ließ sich zunächst durch diesen kleinen Monolog nicht davon abhalten, weiterhin nasse Steine in den Rucksack zu stecken. Doch an dieser Stelle war der Zeitpunkt gekommen, an dem er den Rucksack links liegen ließ und sich vor dem Roten aufbaute, um sich zu verteidigen:
„Du sein Trottel!“, erwiderte er und versuchte dabei, erbost zu klingen, was aber bei seiner hohen Fiepstimme lächerlich herüberkam. Er stemmte seine Hände herausfordernd in die Hüfte. Und mit einem Mal stieg von seiner Gestalt ein leichter Nebel auf, der ihn in einen mysteriösen Schleier hüllte, der wohl bedrohlich sein sollte.
„Fluvadinco nix sein Trottel! Steine viel spaßig. Feuer sofort sehen. Steine Überraschung. Zeug nix heben, weil plötzlich schwer. Feuer nix Überraschung!“ Der Rote lachte keckernd und erhob sich aus dem Busch, wobei er mit seinen Flügeln aus Versehen (er achtete gar nicht darauf) einige Blätter und Zweige ansengte.
„Du sein Trottel!“ Der Blaue machte ein blubberndes Geräusch:
„Du sein Trottel!“ „Du sein Trottel!“, konterte der Rote – und ehe er sich versah, stürzte der Blaue sich keifend auf ihn.
Die beiden seltsamen Wesen rollten sich quiekend und zeternd am Boden umher, während sie aufeinander einprügelten wie zwei zankende Kinder und der eine versuchte, Oberhand über den anderen zu gelangen. Dabei mischten auch die Elemente mit. Ihr Geschrei, das so laut war, dass es auch bis zu Noabs Fundort zu hören war, wurde von Zischen begleitet, weil das Wasser, vor dem der nasse Blaue nur so triefte, schlagartig verdampfte, sobald es mit dem Roten in Berührung kam – und nicht spurlos verschwand, sondern die feurigen Körperstellen des Roten für kurze Zeit zum Erlöschen brachten.