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Autor Thema: Die Youling Gui  (Gelesen 8029 mal)

Beschreibung: Kapitel 04

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Li Yan

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Die Youling Gui
« Antwort #135 am: 16.02.2021, 13:54:08 »
Yan bleibt vor dem Feuer sitzen und starrt abwesend zu Boden. Zum Essen hat sie sich förmlich zwingen müssen. Ihr ganzer Oberkörper fühlt sich innen wie außen roh und feurig an und das Affenfleisch erinnert sie lebhaft an den zerfetzten Khoraner. Beinahe wäre auch sie so geendet. Dieser Kiran hat sie zwar am Leben gehalten und es sieht so aus, als wäre das Verhalten dieses Tiers nicht normal gewesen. Trotzdem kann ihr Gegenüber nur wenig Dankbarkeit erwarten. So nahe war sie dem Tod noch nie gewesen. Einfach nur zu überleben und die Wochen der Gefangenschaft hinter sich zu lassen hat ihr bereits einiges abverlangt. Und jetzt das...

Ihre Waffe ist ebenfalls weg. Ihr bleibt nichts anderes übrig, als sich ausliefern zu lassen. Kämpfen, wegrennen...Alles keine Möglichkeiten. Und sterben kann sie auch nicht. Ihre Ahnen leben in ihr weiter. Irgendwann blickt die Taikangerin auf. Sie ist immer noch blass und ihre Miene ist ebenso müde wie bitter.

"...Wenn ihr mit den Piraten verhandelt. Zwei Dinge. Airun hat jemanden an Deck getötet. Ich habe auf meiner Flucht nur einen von ihnen niedergeschlagen. Verkauft ihnen, dass sein Ableben grausam war. Und sagt ihnen, dass ich derart zugerichtet wurde, dass ich für lange Zeit gepflegt werden muss. Schlagt einen günstigen Handel für mich heraus. Es sollte nicht teuer werden. Sie haben mich nicht für mein gutes Aussehen gefangen genommen." Erklärt sie vor allem Kiran ihr Vorhaben auf bhangarisch. Mit diesen Argumenten sollte ihr Preis gering und Rache mit etwas Glück kein Thema werden. Es ist wohl das Mindeste dafür, dass sie ihren Schoßhund nicht im Griff halten konnten.   
« Letzte Änderung: 16.02.2021, 16:57:33 von Li Yan »

Kiran Arun

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Die Youling Gui
« Antwort #136 am: 16.02.2021, 14:37:23 »
Kiran erwidert die Ausführungen der Taikanganerin immer wieder mit einem stoischen Nicken. Noch immer ist der Bhangari auf einem emotionalen Tiefpunkt und dies wird sich am heutigen Abend wohl auch nicht mehr ändern. Er übersetzt Einar in knappen Sätzen Li Yans Worte und dreht sich dann schließlich wieder zu Ihr um.
"Sein Ableben war grausam, da muss ich wohl nichts hinzudichten, auch wenn mir das durchaus lieber wäre."
Kiran schnauft mit einem hörbaren Seufzen aus, bevor er fortfährt.
"Es tut mir ehrlich leid was passiert ist und ich kann mir das ganze nicht erklären. Wenn ich das ganze ungeschehen machen könnte, würde ich keine Sekunde zögern. Ich werde beim Verhandeln keine Kompromisse eingehen. Entweder Sie nehmen uns alle als Gäste auf Ihrer Dschunke mit oder Sie werden keines der Geheimnisse dieser Insel erfahren. Da würden Sie sich aber ein wahres Vermögen durch die Finger rieseln lassen."

Li Yan

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Die Youling Gui
« Antwort #137 am: 16.02.2021, 16:29:50 »
"...Ein wildes Tier ist kein Schoßhund. Frage dich selbst, ob es richtig ist, es aus seiner natürlichen Umgebung zu entreißen. " Erwidert die Taikangerin trocken auf Kirans Verwunderung und schnieft dann leise. Seine Absichten mögen zwar edel sein, aber ihr Gegenüber scheint trotz seines fortgeschrittenen Alters noch etwas gutgläubig zu sein. Yan verzieht kurz ihr Gesicht von einem vagen Schmerz und atmet leise durch.

"Das...kann gelingen, aber wir sollten nicht erwarten, wie vornehme Herren empfangen zu werden. Es sind immer noch ein Haufen Piraten und wir kommen mit einem offensichtlichen Anliegen zu ihnen, das sonst niemand erfüllen kann. Airun haben sie gefoltert, um das Geheimnis der Riffe zu erfahren. Bedenke, was sie tun könnten wenn sie von irgendwelchen großartigen Schätzen hören. "

Viel mehr kann sie den beiden Fremden nicht mit auf den Weg geben. Sie selbst wird bei etwaigen Verhandlungen nicht übermäßig nützlich sein. Mit ganz viel Pech wird einer jener Männer anwesend sein, denen sie immer noch ihre fauligen Zähne in den Rachen schieben will. Nur gut, dass sie ohnehin zu schwach ist, um etwas Unüberlegtes zu tun... 

Kiran Arun

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Die Youling Gui
« Antwort #138 am: 16.02.2021, 16:54:00 »
Kiran verengt die Augen und setzt bereits dazu an auf Li Yans Anschuldigungen zu reagieren. Doch dann besinnt er sich schließlich eines besseren und ignoriert die Worte, die die Tai ihm als Anschuldigung entgegenwirft, einfach. Sie kennt Anisha nicht und wer will Ihr Ihre Meinung schon verübeln, nachdem was vor wenigen Stunden noch passiert ist? Sie weiß nicht was er und Anisha schon zusammen durchgestanden haben. Was hier geschehen war, konnte man seiner Gefährtin nicht ankreiden. Es konnte sich nur um die Nachwirkungen des Djaka Giftes oder um irgend eine andere Hexerei auf dieser verdammten Insel gehandelt haben. Da war sich Kiran mittlerweile sicher. Doch mit einer Fremden darüber zu diskutieren, würde zu absolut nichts führen.

Anstatt dessen bleibt er einfach für eine ganze Weile schweigend neben Anisha sitzen und blickt ins Leere, bevor er Ihr schließlich antwortet.
"Es gibt tausende von tödlichen Gefahren auf dem Weg zu diesen Schätzen. Und wenn Sie uns foltern, können Sie nie sicher sein, dass wir Sie von allen davon in Kenntnis setzen. Einen anderen Ausweg sehe ich jedenfalls nicht. Die Alternative zu den Piraten sieht weit weniger rosig aus. In einem Lager, umgeben von zwei kriegerischen Stämmen auf Rettung warten, ist mit Sicherheit tödlicher, da sollten wir uns nichts vormachen."


Cerebro

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Die Youling Gui
« Antwort #139 am: 16.02.2021, 17:57:06 »
Der Abend schreitet weiter voran und die letzten Gespräche klingen langsam ab. Anisha verweilt diesmal im Lager - Kiran schläft dicht an sie geschmiegt, während Yan in einigem Abstand liegt und trotz Unbehagen wegen des Warges die Augen irgendwann nicht mehr aufbehalten kann. Einar hält die Nachtwache und achtet auf das Feuer. Hin und wieder hört er etwas im Unterholz rascheln - knapp jenseits der Grenze zwischen Feuerschein und undurchdringlicher Dunkelheit - doch nichts wagt sich in den Lichtkreis hinein... bis es etwas dennoch tut. Der Barbar hört Geräusche, als würde jemand über trockenes Laub schreiten, dann kommt ein Schemen in sein Blickfeld, ungerührt, furchtlos. Das kleine Feuer schlägt für eine Sekunde hoch aus und erstrahlt eine Gestalt, deren Mähne zu lodern scheint. Giftgrüne Augen blitzen ihm nebst einem kecken Schmunzeln entgegen, dann verkommt die Flamme wieder zu ihrer Nichtigkeit und Yalena wird zurück in Schatten gehüllt.

"Na, hast du mich vermisst?"

Einar blickt sich um. Dies ist nicht die geträumte Feuerstelle mit dem gebratenen Tier. Dies hier ist echt! Kiran, Anisha und Yan sind noch dort wo sie liegen - tief in Schlaf versunken...
« Letzte Änderung: 17.02.2021, 01:08:30 von Cerebro »

Einar

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Die Youling Gui
« Antwort #140 am: 16.02.2021, 20:07:37 »
Einar springt auf und hebt instinktiv den bereitgehaltenen Speer. „Yalena? Nein - das ist unmöglich!“ Es scheint aber alles so real... Trotzdem kann dies einfach nicht Yalena sein! Er hat gesehen wie sie im Fluss verschwunden ist - und der Gesichtslose hat ihm bestätigt, dass sie tot ist. Das ist entweder doch nur ein sehr realer Traum, oder eine andere Hexerei ebendiesens. „Du bist es... Was machst du hier?“ fragt er also, nun deutlich ruhiger.

Cerebro

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Die Youling Gui
« Antwort #141 am: 16.02.2021, 21:30:36 »
"In Fleisch und Blut," antwortet Yalena gut gelaunt und kommt näher. Dicht vor Einar bleibt sie schließlich stehen - mehr als einen Kopf kleiner, aber doch so viel größer - und lächelt ihn an. Dann hebt sie die Hand und legt sie dem Nordmann auf die Wange; sein Griff um den Speer wird ungewollt lockerer, doch der gesamte Rest seines Körpers scheint sich ruckartig zu verkrampfen, so als könne er sich nicht mehr rühren. Yalenas Augen funkeln wie Smaragde und er verliert sich kurz in der unendlichen Tiefe. Dann spürt er ihre Hand, warm... dann jedoch wird sie eiskalt. Ihr Zeigefinger krümmt sich und Einar spürt einen scharfen Fingernagel. Mit schiefgelegtem Kopf sieht die Frau ihn halb verträumt an, während sie langsam den Finger in sein Fleisch drückt und dabei nach unten zieht. Ein tiefer Kratzer entsteht und einige Tropfen Blut quillen aus der Wunde. Yalena löst die Berührung schließlich und die Steifheit verlässt Einars Glieder im gleichen Atemzug. Die Rothaarige führt den Finger zum Mund und lutscht das Bisschen Blut ab, das sich unter dem dreckigen Nagel gesammelt hat. Kurz fällt ihr Blick auf die schlafende Yan, dann wieder zurück auf Einar.

"Ich muss dich beglückwünschen! Das Schicksal meint es gut mit dir, mein Freund! Diese unvorhergesehene Beute wird dir nützlich sein. Und so verbohrt wie sie sein kann, ihr Zustand wird verhindern, dass sie dir entwischt oder allzu aufsässig wird. Außerdem muss ich mein Unrecht eingestehen. Es war gut, den alten Mann nicht zurückzulassen, denn schließlich spricht er die Sprache all dieser Fremden. Du hast also klug gehandelt und ich bin hier, um dich zu belohnen: Das letzte Puzzlestück und der Schlüssel zu deiner Flucht! Wenn alle Worte und Versprechungen auf Reichtümer scheitern - eines wollen diese Leute, die du suchst: Sie wollen fort! Auf einem sicheren Weg durch die hiesigen Gewässer, ohne dabei ihr kostbares Schiff aufs Spiel zu setzen! Die Riffe hier sind sehr tückisch, wie du weißt..."

Sie stolziert ein wenig umher und kommt zu der Stelle, an der Airun sein Ende fand. Einar und Kiran hatten dem Khoraner nach Yans Behandlung etwas abseits ein einfaches Grab bereitet - zum einen um ihm etwas Würde zuzugestehen, zum anderen um nicht unnötig Raubtiere anzulocken, die das Blut und verwesende Fleisch wittern könnten. "Diese beiden Flüchtlinge," fährt Yalena fort. "... die Frau ist nur ein Spielzeug und auch wenn sie mit ihrem verunstalteten Fleisch nun an Wert eingebüßt hat, wird man ihre Rückgabe als Geste des guten Willens sicher begrüßen. Der Mann dagegen... Wenn sie kommen, kommen sie wegen ihm, denn er kannte die geheimen Passagen durch die Riffe..."

Die Erinnerung durchzuckt Einar wie ein Blitz. Yan hatte Kiran etwas erzählt und dieser hatte es ihm übersetzt: Die Piraten hatten Airun gefoltert, um das Geheimnis der Riffe zu erfahren! Yalenas Worte holen ihn aus seinen Gedanken zurück. "Nun..." Sie zuckt mit den Achseln. "Jetzt ist er tot. Aber diesen bedeutsamen Trumpf hätte er dir, dem Alten oder der Frau ohnehin nicht überlassen." Sie grinst. "Ich dagegen kann sehr überzeugend sein..."
« Letzte Änderung: 16.02.2021, 23:07:05 von Cerebro »

Einar

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Die Youling Gui
« Antwort #142 am: 16.02.2021, 21:57:37 »
Ist es die Neumondnacht die eine solche Hexerei ermöglicht? Es scheint tatsächlich kein Traum zu sein, doch mit rechten Dingen geht es hier trotzdem nicht zu. Unfähig sich zu wehren lässt Einar das Abbild seiner Gefährtin reden. Komplimente hätte er nicht erwartet, aber sie - er, oder es? - ist ja sicher auch nicht hier um ihm zu schaden. Im Gegenteil scheint es so als würde er gerade die Lösung ihres Problemes serviert bekommen. Und doch... „Hast du ihn getötet?“ So langsam glaubt er da ein Bild zu erkennen.

Cerebro

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Die Youling Gui
« Antwort #143 am: 16.02.2021, 22:30:06 »
Yalena schnaubt halb lachend. "Würdest du mir zürnen, wenn dem so wäre?" Sie geht ein paar Schritte und grinst dabei unentwegt. Ihr Frohmut nimmt sogar solche Züge an, dass sie den Mund leicht öffnet und mit der Zunge ihre Lippen und Zähne umspielt. Dann erkennt Einar die Veränderung in ihren Augen. Das Smaragdgrün von Yalena wird zum Bernsteinorange von Anisha. "Natürlich habe ich ihn getötet! Oder glaubst du etwa das verhätschelte kleine Haustier des Bändigers sei plötzlich einfach durchgedreht?! ... Allerdings muss ich sagen, dass es mich überrascht hat, dieses Biest. Ich hatte die Seele eines Tieres erwartet, nicht die eines Menschen. Und er hat sich gewehrt. Ein starker Geist... einstmals..." Sie macht eine wegwischende Handbewegung. "Wie dem auch sei - dieser... Airun hätte sein Wissen nur für sich selbst genutzt. Also habe ich es mir genommen. Er war ohnehin dem Tode geweiht. Das Blut vergiftet und das Fleisch verfault... Sein Innerstes jedoch brannte noch voller Stolz und Hoffnung. Es ist ein köstlicher Geschmack. Und ich gewähre dir die Gunst, ihn mit mir zu teilen!"
« Letzte Änderung: 17.02.2021, 07:00:28 von Cerebro »

Einar

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Die Youling Gui
« Antwort #144 am: 17.02.2021, 08:32:06 »
Hat er also recht gehabt - dass er dies nicht viel früher in Erwägung gezogen hat? Im Nachhinein scheint es ja logisch, doch der Gedanke dass der Gesichtslose immer und überall seine Finger im Spiel hat ist nicht sehr... erfreulich. Vielleicht wollte er diese Möglichkeit deshalb gar nicht in Erwägung ziehen.

Dass in Anisha mehr als nur ein Tier stecken soll verwundert Einar zwar, doch bevor er dazu Fragen stellen kann offenbart ihm die falsche Yalena auch schon ihr weiteres Vorhaben. Ein kalter Schauer durchzieht ihn. „Ihn... teilen?!“ Er kann sich ja in etwa vorstellen was damit gemeint ist - und genau deshalb ist er alles andere als begeistert. Von wegen ‚die Gunst‘...

Cerebro

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Die Youling Gui
« Antwort #145 am: 17.02.2021, 09:34:15 »
Yalena schmunzelt ihn an. "Nun, es würde nicht viel helfen, wenn ich dir die Passagen durch die Riffe einfach beschreibe oder?! Du musst es... sehen, spüren..." Sie kommt wieder dicht heran und blickt zu dem Hünen hinauf. "Hab keine Furcht," meint sie liebevoll und ergreift zärtlich seine großen, rauen Hände. "Komm her..." Ohne Gewalt zieht sie ihn leicht nach unten, auf ihre Höhe.[1]
 1. Mache bitte kurz kenntlich, ob Einar mitspielt oder sich wehrt.
« Letzte Änderung: 17.02.2021, 09:53:34 von Cerebro »

Einar

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Die Youling Gui
« Antwort #146 am: 17.02.2021, 10:18:50 »
In ihm sträubt sich noch kurz alles dagegen, doch dann resigniert sein Kopf. Einerseits ist er ihr doch sowieso ausgeliefert, wenn sie nur will. Und andererseits ist es vermutlich auch der einzige Weg endlich von dieser Insel zu kommen. Sowohl in den Verhandlungen mit den Piraten, wie auch effektiv um überhaupt offenes Gewässer zu erreichen.

Er erkennt zum ersten Mal wie sehr er diesem Wesen ausgeliefert ist. Es gibt immer eine Wahl... zwischen einem schrecklichen Ende für ihn und alles was ihm lieb ist - oder was auch immer der Gesichtslose plant. Und dieser nimmt bei seinen Plänen keine Rücksicht auf andere. Ob es Anisha ist, oder zwei gestrandete Gefangene - sie werden nach Belieben verwendet oder beseitigt. Selbst wenn er es schafft in jeder Vollmondnacht ein unbedeutendes Opfer erbringen zu können, bedeutet seine Nähe immernoch Gefahr.

Er folgt Yalenas Anweisungen wort- und wiederstandslos...

Cerebro

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Die Youling Gui
« Antwort #147 am: 17.02.2021, 10:53:46 »
Yalena geht auf die Zehenspitzen und zieht Einar hinunter auf Augenhöhe. Mit beiden Händen umschließt sie sanft sein Gesicht - dann passiert, was sich der Nordmann bereits denken konnte: Sie küsst ihn. Ihre heißen Lippen pressen auf die seinen, dann öffnet sich leicht ihr Mund und der Barbar spürt ihre neugierige Zunge - und noch etwas anderes. Ein unnatürlicher Atem fährt von Yalena in ihn hinein, überwältigt ihn. Einar schmeckt plötzlich das Salz der See und fühlt eine erfrischende Briese im Gesicht. Als er sich umsieht, erblickt er nicht den in Dunkelheit getauchten Urwald, sondern das blaue Meer und die Silberinseln am Horizont.

Er fliegt, körper- und schwerelos, wie ein unsichtbares Auge. Er kennt diese Gewässer - hat sie bereits viele Male befahren. Als der Gesichtslose Teile von Airuns Seele mit ihm teilt, geht ein Stück des Piraten auf ihn über. Erinnerungen - in zusammenhanglosen Fetzen - Ängste, Hoffnungen... Gesichter von Fremden blitzen auf, die er als Freunde erkennt; er meuchelt Feinde, denen er nie gegenübergestanden hat. Das Freud, Leid und Wissen einer anderen Person vermischen sich mit seinem eigenen Ich. Das Gefühl ist... unbeschreiblich. Ohne bewusst darüber nachzudenken giert er wie im Rausch nach mehr, verschlingt alles was er bekommt. Die See, die Riffe, die Silberinseln und Gestirne - alles im Kontext zueinander ergibt plötzlich Sinn und er weiß, wie ein Schiff auf sicheren Passagen hinein- und hinausgelangen kann. Ohne Mühe könnte er es selbst steuern oder einem Steuermann präzise Order erteilen. Doch er will mehr - mehr Leid, mehr Liebe, mehr Zorn! Dann löst Yalena den Kontakt, weicht ein Stück zurück und begutachtet den Hünen - ihre Hände noch immer sanft auf seinen Wangen ruhend.

"Und?" fragt sie ihn, die Augen nun wieder grün funkelnd und das Abbild somit bis auf die letzte Hautpore perfekt. Ein zweideutiges Schmunzeln umspielt ihre Mundwinkel. "Hat es dir... gefallen?"
« Letzte Änderung: 17.02.2021, 11:18:02 von Cerebro »

Einar

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Die Youling Gui
« Antwort #148 am: 17.02.2021, 12:41:58 »
Einar braucht einen kurzen Moment, um das Erlebte zu verdauen. Während sich in seinem Inneren wieder etwas regt, sich sträubt - umspielt äusserlich ein schiefes Grinsen sein Gesicht.
 „... ja.“
Er weiss selbst schon, dass er nicht mehr bekommen wird - nicht jetzt. Aber er vermutet, dass ihn bei Vollmond jeweils etwas ähnliches erwarten wird. Das ist es, nach was es den Gesichtlosen dürstet. Nicht das Blut das er vergiessen soll, nein - das Leben. Und auch seine Kehle fühlt sich plötzlich so... trocken an.
„Ich glaube mir ist jetzt einiges klar geworden. Ich sollte dir danken.“

Cerebro

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Die Youling Gui
« Antwort #149 am: 17.02.2021, 13:02:24 »
Yalenas Schmunzeln lässt nun Zähne durchblitzen. "Oh, liebster Einar - du weißt gar nichts! Ich will dir noch viele Dinge zeigen, wenn die Zeit dafür reif ist. Dinge, an denen dein Verstand jetzt zerbrechen würde, denn du bist noch nicht bereit." Schließlich löst sie den Griff um sein Gesicht und macht zwei Schritte zurück. Einar ertappt sich kurz dabei, ihre Nähe diesmal genossen zu haben.

"Doch bist du bereit für deine aktuelle Aufgabe. Du hast nun alles was du brauchst. Wenn wir uns das nächste Mal sehen, wird der Vollmond nahen und ich werde dich in das Ritual einweisen. Bis dahin bist du deines eigenen Schicksals Schmied. Erfülle uns beide mit Stolz, mein Krieger." Und dann, kurz nach diesen Worten, ist sie fort - verschluckt von den Schatten, aus denen sie so plötzlich getreten war. Yan, Kiran und Anisha schlafen noch immer und haben von all dem nichts mitbekommen.[1]
 1. Ich überlasse es dir, ob du noch etwas dazu beifügen willst oder nicht. Du kannst in jedem Fall die Nacht beenden und den neuen Tag anstoßen. Die anderen erwachen normal gegen Morgen und haben - als 'Yalena' in ihrer Nähe war - evtl. schlecht geträumt.
« Letzte Änderung: 17.02.2021, 14:57:01 von Cerebro »

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