Victor lauschte den Ausführungen der Bardin aufmerksam. Als er den Auftrag angenommen hatte, hatte er keine großen Fragen gestellt, und es war nicht verkehrt, zumindest etwas über das Land zu wissen, in das man reiste. Wo er darüber nachdachte, war ihm nicht einmal wirklich klar, was sie dort nun tun sollten.
"Wo wir gerade dabei sind: Was genau ist eigentlich unser Auftrag? Wir sollen ein paar Räuber jagen, soviel habe ich mitbekommen. Aber dann? Wo gehen wir dann hin und holen uns unsere Belohnung ab? Und was ist eigentlich unsere Belohnung?"
Kaum waren sie mit dem Essen fertig, begannen die Ersten, sich für ihr Nachtlager vorzubereiten. Victor, der nicht gerade ein Frühaufsteher war, sofern es sich vermeiden ließ, wusste allerdings gar nicht, wie er so früh schon schlafen sollte. Außerdem waren sie das erste Mal auf der Reise ein wenig miteinander ins Gespräch gekommen, und wenn er ehrlich war, genoss er es, seit langem einmal wieder so eine lockere Runde zu erleben. Unvermittelt begann Victor daher zu reden:
"Möchtet ihr eine Geschichte hören?"
Noch bevor jemand antworten konnte, sprach er jedoch schon weiter.
"Vor langer Zeit verehrten die Bewohner der Region, die heute Taldor heißt, einen fürchterlich rachsüchtigen Gott namens Oh-Stah. Sie glaubten, dass ihr Gott das gesamt Jahr über Buch darüber führte, ob sie seine Gesetze befolgt und in seinem Sinne gehandelt hatten oder nicht. Einmal im Jahr, zu Beginn des Frühjahrs, zog Oh-Stah dann durch die Lande, um seine Anhänger zu richten. Er tat dies in Gestalt eines riesigen Hasen, der einen Sack voll mit farbigen Eiern auf dem Rücken trug.
Fand er ein Haus vor, dessen Bewohner sich fromm in seinem Sinne verhalten hatten, so bewarf er es mit roten Eiern. Die Menschen in diesen Häusern hatten nichts zu fürchten. War er jedoch unzufrieden, so waren die Eier blau, und das hieß, dass die Bewohner im Laufe des Jahres ihre gerechte Strafe ereilen würde.
Interessanterweise ist nicht überliefert, dass Oh-Stah jemals selbst eine solche Strafe vollstreckt hätte - doch die Nachbarn waren dafür umso eifriger zugange. Und so ist es auch wenig verwunderlich, dass findige 'Gläubige' bald auf die Idee kamen, selbst ein paar Eier blau zu färben, um besonders 'geliebten' Freunden eins auszuwischen.
Noch heute sagt man in Taldor: 'Da hat dir wohl jemand ein blaues Ei ins Nest gelegt', wenn jemand zu Unrecht einer Straftat beschuldigt wurde.
Das ist die jugendfreie Variante der Geschichte. Die andere, etwas derbere, möchte ich lieber nicht in Gänze zum Besten geben. Doch soviel kann ich sagen: Es geht dabei um eine andere Art von Eiern, wie sie in der männlichen Anatomie vertreten sind, und die Farben, die diese nach einem kräftigen Tritt von einer Hasenpfote annehmen können.
Und die Moral von der Geschichte? Wenn du einen Hasen siehst, erlege ihn bevor er dich mit Eiern bewirft - oder Schlimmeres!"