Victor blickte Katharina ein paar Sekunden nachdenklich an, bevor er antwortete. "Ich kämpfe nicht?" Er grübelte eine Weile, in der er die Gespräche der vergangenen Wochen noch einmal vor seinem geistigen Auge Revue passieren ließ. "Nun, vielleicht ist das so. Ich würde sagen, ich habe meinen Standpunkt mehrfach deutlich vertreten. Aber wenn fünf andere laut widersprechen und meine Ideen ins Lächerliche ziehen, dann bin ich klug genug, um die Konfrontation nicht zu suchen. Wie sollte ich mich da durchsetzen? Wenn ich mir die anderen zum Feind mache, werden sie mir in Zukunft überhaupt nicht mehr zuhören."
Victor dachte einmal mehr an Yevgenij. Ja, letzten Endes waren die beiden Leibeigene gewesen, die die dreckige Arbeit für ihren Herren erledigen mussten. Doch wie sie das taten, dabei hatten die beiden meist freie Hand - und sie verstanden und ergänzten sich blind. Nie musste er fürchten, dass seine Gedanken einfach zur Seite gewischt wurden. Yevgenij hatte ihm immer zugehört, und auch wenn er anderer Meinung gewesen war, so hatte Victor sich immer ernstgenommen und wertgeschätzt gefühlt. Hier war das anders, und offenbar konnte er mit dieser Ablehnung weniger gut umgehen als er das vermutet hätte.
"Ich fühle mich bei den anderen manchmal so, als würde ich versuchen, einem Fliegenschwarm das Marschieren in Reih und Glied beizubringen. Es scheint von vornherein zum Scheitern verurteilt zu sein, ihnen einen Plan vorzulegen und zu hoffen, dass sie Gefallen daran finden würden. Im Gegenteil, sobald sie das Wort Plan hören, scheinen sie allergische Reaktionen zu bekommen. Also bin ich vielleicht dazu übergegangen, es gar nicht mehr zu versuchen. Eine neue Strategie habe ich leider noch nicht, aber sie muss eher darin bestehen, den Schwarm Fliegen zum Honig zu locken. Dabei können sie so wild durcheinander fliegen wie sie möchten, solange der Schwarm sich dahin bewegt, wo ich ihn haben möchte.
Nur was mein Honig ist, das muss ich noch herausfinden."
Er überlegte kurz, was Katharinas erste Frage gewesen war, dann sprach er weiter: "Was unseren Ausflug betrifft: Es war genau wie beschrieben. Kaum waren wir am Waldrand, schienen sie völlig vergessen zu haben, was wir dort eigentlich wollten. Nach dem Zusammentreffen mit den Kobolden wollten sie direkt wieder umkehren. Mit Mühe konnte ich sie überreden, wenigstens bis zu der Stelle zu gehen, wo die Banditen aus dem Wald gekommen waren. Doch weiter wollten sie nicht; ich vermute, sie hatten immer noch gehofft, dass die Banditen in kleinen Gruppen zum Handelsposten kommen würden, damit wir sie leicht erledigen können. Meine Erfahrung ist allerdings, dass meine Gegner nicht dümmer sein müssen als ich selbst; es rächt sich, sie zu unterschätzen. Man muss dem Feind deshalb immer einen Schritt voraus sein - jetzt sind wir einen Schritt hinterher und machen genau das, was ich von Anfang an befürchtet hatte: Wir laufen blind in das Heimatgebiet des Feindes, der jetzt, im Gegensatz zu damals, auf der Hut sein wird."
Katharina konnte Victor seinen Frust deutlich anmerken. Sein Enthusiasmus, in den Wald zu gehen und dort das Lager der Räuber auszuforschen, schien komplett erloschen zu sein.
"Vielleicht müssten wir es ganz anders anstellen. Vielleicht müssten wir jetzt einen Köder auswerfen, dem die Banditen nicht widerstehen können. Eine Geisel, reich genug, damit ein mögliches Lösegeld verhindert, dass sie sie direkt abstechen. Doch es bräuchte Zeit, um einen solchen Plan auszuhecken, und die Gefahr wäre groß. Zeit, die wir ohnehin nicht haben.
Es soll wohl so sein." seufzte er.