Milo, der auf langwierige Erklärungen und Verhandlungen mit den Kobolden eingestimmt war, kam bei den sich überschlagenden Ereignissen gar nicht mehr mit. Da hatten sich die Kobolde wer weiß wie lange von diesem Schamanen und seinem angeblich verfluchten Götzenbild hilflos terrorisieren lassen – fast bis zur Ausrottung ihres Stammes! – und nun plötzlich brach die Tatkraft nur so aus ihnen heraus.
Schnaufend hetzte er den lärmend Voranstürmenden hinterher. (Er kam nicht einmal dazu, Clarabella darauf hinzuweisen, dass es Leviten heißen musste und Levitation etwas ganz anderes war...)
Der Kampf gegen Tartuk war vorüber, noch ehe er begann. Zumindest für Milo. Obwohl eher im hinteren Drittel das Ansturms unterwegs, wurde ihm, kaum dass er um die letzte Ecke bog, begleitet von Knistern und Zischeln und einem Gleißen tausend erbarmungsloser Mittagssonnen gleich, ein fürchterlicher Schlag erteilt, der seinen ganzen Körper erfasste und zusammenzucken ließ. Den Geruch von verschmortem Haut und Haar nahm er noch wahr, dann sackte er zu Boden und alles wurde schwarz.
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Leute waren in der Nähe. Jemand kümmerte sich um ihn. Licht einer Fackel oder Öllampe drang durch seine Lider. Stimmen drangen an sein Ohr und Geräusche – ein Klopfen und Scharren, als würde in der Nähe noch weitergegraben. Jeder Knochen in seinem Leib tat ihm weh.
"Anisyah?" murmelte Milo, doch erhielt keine Antwort. Er nahm all seine Kraft zusammen.
"Anisyah, meine Frau, lebt sie?"Seine Retter schwiegen. Finger pieksten ihm in die Seite, kleine Finger, Kinderfinger. Milo zwang seine Lider auseinander. Schemen verdichteten sich zu Konturen, wurden zu... einem Kobold. Und doch: ein bekanntes Gesicht. Mikmek war es, der ihn hier anstubste, wie um zu testen, ob Milo bei Sinnen sei.
Nicht am Ufer des Sphinx befand er sich, nicht auf der größten Ausgrabungsstätte seines Lebens, nicht auf den Spuren Sultan Saladins und der prächtigsten aller Städte, Samarkesh, sondern in einem Koboldbau, irgendwo im hohen, kalten Norden.
Er murmelte Mikmek einen Dank zu und setzte sich auf. Nach ein paar Schlücken Wasser ging es ihm allmählich wieder besser. Er erhob sich und sah sich um. Der Schamane lag tot am Boden und Victor war bereits dabei, die Leiche zu fleddern.
"Schade", meinte Milo halb zu sich, halb zu Mikmek.
"Ein Verhör hätte uns Interessantes verraten können. Wo kam er her, wer hat ihn geschickt, zu welchem Zweck?" Er zuckte mit den Achseln.
"Wir werden's wohl nie erfahren..."Langsam näherte er sich dem Holzzaun und studierte die Zeichen und Symbole, die dort auf Decken und Tierhäuten aufgezeichnet hingen. Waren es arkane Symbole? Religiöse? Erkannte er einige davon? Gab es Muster? Eine Reihenfolge? Zusammenhänge? Irgend etwas, das auf die Herkunft des Schamanen deutete oder welcher Gottheit (oder Dämon) er gedient hatte?
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