Noch auf der gesamten Rückreise zum Handelsposten beschäftigte Milo die Frage, was mit den Kobolden wohl geschehen würde, falls oder vielmehr wenn die Gegend hier tatsächlich von Brevoy aus besiedelt würde. Drohte Ausbeutung, Vertreibung oder gar der Tod? Besiegelte die Silbermine oder einfach nur das Land, auf dem sie lebten, ihr trauriges Schicksal? Und wenn man schon bei diesen Überlegungen war: wie sah es aus mit Perlivash und seiner Freundin? Drohte auch ihnen Vertreibung? Oder wäre es möglich, mit einander auszukommen... Ha, ja, wann hat das schon mal irgendwo geklappt? Und blieb noch ganz allgemein die Frage offen, wie es denn nun stand um die Befugnisse der Abenteurer. Würde die Schwertjunker oder nachfolgenden Siedler sich auch nur im Mindesten scheren um die Bündnisse und Verträge, die Freundschaften und Versprechen, welche die Gruppe hier schloss und zusammentrug?
Mehrmals versuchte er des abends, ein entsprechendes Schreiben zu formulieren, das er an die Schwertjunker senden wollte mit der Bitte um die Klärung ihrer Befugnisse... mit dem Versuch ihnen zu erläutern, dass man hier bereits mehr tat als bloß Räuber jagen, dass man allgemein die Gegend befrieden und für zivilisierte Verhältnisse sorgen wollte, was aber nur Erfolg versprach, wenn diese hinterher dann auch beachtet würden...
Nebenbei begann er tatsächlich, ein Grundbuch der Gegend anzulegen, welches er so offiziell wirkend wie nur möglich gestaltete.
Erschwert wurden ihm beiderlei Tätigkeiten dadurch, dass Nubnefer ihn jeden Abend zu sich bestellte zwecks weiterer Lektionen... Zwei neue Zauber galt es zu meistern, einen zur Abwehr, welcher ihm schon recht gut gelang, aber noch nicht zuverlässig genug, dass er sich im Kampf darauf verlassen wollte, der zweite dagegen eine äußerst knifflige Illusion... Außerdem solle Milo doch bitteschön noch ein wenig an seinen Umgangsformen arbeiten, insbesondere das Schmeicheln und Komplimentieren üben, und das gerne mit besonderem Blick, aber nicht ausschließlich, auf die Damen... (Dazu steuerte Nubnefer sogar Testobjekte herbei, wobei Milo nach nicht allzu langer Zeit erkannte, dass es sich bei jeder dieser Damen letztlich um Nubnefer selbst handelte, von einer Illusion umhüllt...)
Aus Sicht der restlichen Gruppenmitglieder verschwand Milo also jeden Abend kurz nach dem Mahl und ein wenig Geschreibsel unauffällig (oder so hätte er es wohl gerne) in den Büschen und verschwand für den Rest der Nacht, nur um morgens reichlich müde und wenig gesprächsbereit wieder aufzutauchen.
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Dem seltsamen Fremden, den Varis vor dem Handelsposten ansprach, beäugte Milo etwas misstrauischer als Varis und Clarabella. Diese Spezies war ihm noch nie begegnet. In Osirion gab es sie, wenn Milo sich nicht gänzlich täuschte, jedenfalls nicht. Hatte er auf seiner Reise in den Norden schon einmal von ihnen gehört und wenn ja, was waren das für Gesellen?
[1]Als der Rest der Gruppe (oder jedenfalls Clarabella) quasi sofort nach Süden losstürmen wollte, um den blutenden Wald zu erkunden, von dem der Fremde sprach, räusperte Milo sich.
"Ähem. Wie weit im Süden soll das denn sein?" Er holte seine Karte heraus.
"Bis hierher haben wir schon gekundschaftet. Ist es weiter südlich? Dann sollten wir uns lieber langsam und systematisch dorthin vorarbeiten. Mir wäre nicht wohl dabei, einfach loszuziehen, an möglichen Gefahrensgebieten vorbei, die uns dann einen etwaigen Rückzug verstellten und am Ende gar das Leben kosten."Verspätet wandte er sich an Schumm.
"Milo mein Name, Archäologe aus dem sonnig-heißen Osirion. Das liegt sehr, sehr, sehr weit im Süden."Und tatsächlich sah man es ihm an, dass er nicht aus der Gegend (oder aus den näheren Nachbarnländern) stammte – zumindest an seiner Kleidung. Das bärtige Gesicht wirkte durchaus nordisch und nur ein wenig gebräunter als hierzulande üblich, doch gänzlich unüblich war das leuchtend blaue Tuch, das seinen Kopf und Hals dick umwickelte, die Stirn bis fast zu den Augenbrauen verdeckte, Ohren und Schläfen verschwinden ließ.
(Seit einiger Zeit zog Milo immerhin seinen Schesch nicht mehr bis zur Nase hoch – was die Leute hier immer ein wenig irritiert hatte. Zudem blies einem hier auch nicht ständig Sand ins Gesicht, sodass einer der beiden Hauptgründe für die Sitte wegfiel. Wie hieß der Spruch so schön: Wenn in Osirion, wie die Osirer. Das galt dann wohl auch umgekehrt.)
Auch der Rest seines Körpers schien in zu viel Stoff regelrecht zu ertrinken. Ein schlankes, alles andere als kräfitg wirkendes Kerlchen war er, doch die Beine seiner sandfarbene Hose täten einem Orkkrieger passen, ohne den Stoff zu spannen, die schwarze Tunika darüber schlotterte ihm ebenso lose am Leib und reichte hinunter bis über die Knie – eine Länge, die hierzulande fast schon schicklich genug für die Damen wäre. Darüber trug er noch, offen, eine braune Jacke, die wenigstens so halbwegs für seine Größe gemacht zu sein schien. Sein Gang und seine Bewegungen waren, trotz der Kleidermasse, erstaunlich agil.
"Insbesondere möchte ich auch nicht", griff er seinen vorherigen Faden nahtlos wieder auf,
"den Hirschkönig plötzlich irgendwo im Rücken haben."