Das ungute Gefühl, hier womöglich in eine Falle gelockt zu werden, konnte zwar keiner aus der zusammengewürfelten Gruppe so ganz abschütteln, doch die Neugier, was diese Valerija ihnen zu sagen hatte, überwog letztlich die Vorsicht. So ging man zwar nicht direkt zum Treffpunkt los, doch begab sich rechtzeitig zum Treffpunkt auf dem Friedhof, um doch einiges vor der vereinbarten Zeit vor Ort zu sein - das würde es auch erlauben, die Umgebung sorgfältig zu sichern und nach möglichen Störenfrieden Ausschau zu halten.
Aus der Gruppe war Katharina die einzige, die den Friedhof zuvor schon einmal betreten hatte, doch Friedrich hatte einiges über ihn gehört - und nutzte den Weg dorthin, um die anderen zu informieren.
"Ihr wisst sicher, dass Freiburg auf Syrneth-Ruinen gebaut ist. Ein Artefakt, ein Kristall, ist es, der den unmöglich hohen Turm im Zentrum der Stadt aufrecht hält, in dem Niklas Träge residiert. Wenn ihr mich fragt: Ich bin nicht sicher, ob mir wohl dabei wäre, mein Leben einer unbekannten Art von Magie anzuvertrauen. Aber zurück zu den Ruinen: Unter dem Friedhof befinden sich Katakomben, die angeblich einen Zugang zu alten Ruinen der Syrneth bieten. Wären wir zu einer anderen Zeit und ohne wichtigere Ziele hier, würde ich liebend gerne eine Expedition in diese Katakomben unternehmen, doch heute ist dafür wohl tatsächlich nicht die richtige Zeit."
Der Friedhof befand sich im Osten der Stadt, am Rande des Greifenviertels und überschattet von der hohen Stadtmauer, die das Licht des tiefstehenden Mondes abhielt. Schon als sie sich dem Friedhof näherten, spürten sie die Aura des Mysteriösen, die den Ort umgab, und als sie ihn betraten, wurden sie sich dessen voll bewusst. Weißliche Gebilde, die sie von der Ferne nicht identifizieren konnten, stellten sich nun als riesige Knochen heraus - "Drachenknochen", wie Katharina und Friedrich knapp mitteilten.
Die meisten der Gräber waren uralt, die Grabsteine verwittert; nur im Norden des Friedhofs gab es einen Bereich, der gepflegter wirkte und offenbar auch aktuell genutzt wurde.
Sie hatten keine Ahnung, wo sich Valerija mit ihnen treffen wollte, und der Nachtblutfriedhof war nicht gerade klein, doch vermuteten sie, dass es sich eher um den alten, teilweise verwucherten Bereich handeln würde. Dort war es leichter, ein Treffen ungesehen und ungestört abzuhalten, doch bot der Ort auch mehr Möglichkeiten für Hinterhalte: Alte Krypten erhoben sich neben kaum noch auszumachenden Grabreihen vom Boden, und überall bedeckten Ranken, Büsche und Bäume den Friedhof.
Immerhin waren sie früh genug gekommen, und so streiften sie zunächst durch den Friedhof, um sich eine möglichst günstige Position zu sichern, in der sie nicht allzu leicht in eine Enge getrieben werden konnten, gleichzeitig Neuankömmlinge zumindest einigermaßen früh sehen konnten.
Nachdem sich die Gruppe einigermaßen gut eingerichtet hatte, blieb nur das Warten auf Valerija. Kaum einer sprach ein Wort, auch um niemanden durch allzu laute Geräusche auf sich aufmerksam zu machen. Als aus der Ferne der Glockenschlag zur dritten Stunde zu hören war, dauerte es nicht mehr lange, bis eine dunkel gekleidete Gestalt sich näherte. So wie sich diese bewegte, konnten sie davon ausgehen, dass sie sich auch deutlich unauffälliger hätte nähern können, dies aber absichtlich nicht tat. Und tatsächlich stellte sich die Person, nachdem Louis sich schließlich zu erkennen gegeben hatte, als Valerija heraus - diesmal jedoch in enges, schwarzes Leder gekleidet wie eine Diebin, und so gar nicht wie die Beraterin eines Ratsmitgliedes.
"Ihr seid also gekommen." befand sie knapp das Offensichtliche, und musterte Valdas und Allegra misstrauisch. "Und habt euch noch Verstärkung mitgebracht?"
Danach fixierte sie wieder Louis: "Den Namen Jelena habe ich seit Ewigkeiten nicht mehr gehört. Und ich weiß nicht, ob ich es als gute Nachricht empfinde, dass sie in Freiburg ist. Aber wie ich sehe, habt ihr sie nicht mitgebracht. Ihr meintet, es ginge ihr nicht gut. Also sprecht: Was ist mit ihr? In welcher Verbindung steht ihr zu ihr? Und was genau wollt ihr von mir? Antwortet, und ich entscheide, ob ich euch weiter zuhören werde."