Die drudkvinde bewegt sich wie durch ein Märchenreich, in dem die Zeit stillsteht. Sie befühlt die vielen Pflanzen, von denen sie nur den geringeren Teil kennt, riecht an ihnen, saugt Farben, Formen und Düfte in sich auf, während sie mit den Bachschwestern im kühlen, grünen Dämmer um den Nymphenteich wandert, sich mit den dreien unterhält, ja, unbeschwert lacht, ihren Kummer und die Sorge um Tristan für eine Weile in gnädigem Vergessen versunken. Die vielen Taschen ihrer Schürze füllen sich mit Proben all der Kräuter, Blüten und Wurzeln, die sie ihr zeigen, ehe sie alles sorgsam einpackt. Besonders gut wickelt sie die Abart gewöhnlicher Filzkletten ein, die ihr die Schwestern bezeichnet haben und die sie zu einem Trank zu verarbeiten gedenkt, um den kleinen Kessel Merles einer Probe zu unterziehen. Da sie jedoch, einmal dem rauschartigen Taumel durch die Natur wieder entglitten, erneut an ihren Tristan denken muss, verabschiedet sie sich mit aufrichtigem Dank und herzlichen Küssen von den Nymphen, um sich mit Kjartan auf den Weg zu machen.
Glücklich in der Bibliothek angelangt sieht sie sich mit langem, zweifelndem Blick um. So viele Worte, stumm auf die Haut toter Tiere gebannt: Wie viel lebendiger ist doch da die mündliche Tradition der Weisen Frauen! Andererseits muss sie, die mit dem Schreiben auf dem Kriegsfuß steht, immerhin zugeben, dass die Vielzahl an Pergamenten sicherlich sehr, sehr viele Worte birgt. Mehr wohl, als man an vielen langen Winterabenden hersagen könnte... Und die Begeisterung Freydis' lässt sie ahnen, dass man womöglich auch an diesen leblosen Dingen Freude haben kann – irgendwie. "Wirst du denn nicht furchtbar einsam sein, wenn du so lange mutterseelenallein zwischen all diesen Folianten bleibst?" erkundigt sie sich erstaunt und mit ein bisschen Sorge in der Stimme. Doch die Worte der Berührten scheinen deutlich zu zeigen, dass die solch ein Problem nicht sieht. Regelrecht berauscht wirkt sie. Lîf erinnert sich an ihre traumartige Wanderung mit den Bachschwestern und beschließt, Freydis zuzugestehen, dass sie wohl einfach eine andere Auffassung davon hat, was schön und faszinierend ist. Wichtig ist für sie einzig und allein, was die Berührte herausfinden kann, weniger wie.
Einer allerdings scheint nicht gewillt, sich noch länger hier aufzuhalten. Der Rotschopf blickt Kjartan nach, mit dem leisen Verdacht, dass dem Freydis' begeisterte Rede einfach langweilig wurde, und muss mit einem leisen Lächeln den Kopf schütteln. Er hat etwas von einem großen Jungen, das es ihr unmöglich macht, ihm böse zu sein. Abgesehen davon sprudelt Freydis gleich darauf mit ihren Heiratsplänen heraus. Lîf zieht zunächst die Stirn kraus, erinnert sich aber dann an die Fetzen des Gesprächs mit Uther, die sie mitbekommen hat, und nickt langsam. "Oh, ich verstehe. Sicherlich wäre es... von Vorteil, ihn zu heiraten" gibt sie zu, hakt aber dann nach: "Aber liebst du ihn denn wirklich? Oder denkst zumindest, dass du ihn lieben lernen wirst? Der Nutzen für euch beide ist gut und schön," gibt sie zu bedenken, "doch musst du dir im Klaren darüber sein, dass eine solche Verbindung auf Dauer zu einer schlimmen Last für eure Seelen werden könnte, wenn ihr nicht echte Zuneigung zueinander empfindet." Göttin, wie eine alte Kupplerin hört sie sich an! Aber sowohl Freydis als auch Uther scheinen ihr einen sehr starken Willen zu haben, und wenn zwei von dieser Sorte aufeinander treffen, zumal der eine ein mächtiger Mann in der Welt, die andere Gebieterin über Kräfte, die sie selbst wohl nur halb versteht...
Da braucht es schon eine starke Fessel, die beide aneinander bindet, um schlimmen Hader zu vermeiden, und welche wäre da stärker als die Liebe? Dass Freydis wenig auf die Standesfrage gibt, kommt der Bauerntochter hingegen nicht so wichtig vor. "Ja, ist das so?" fragt sie mit einem Lächeln, als die Berührte davon spricht, wie sie Uther nunmehr sieht. "Oh, bei mir war das anders, aber die Umstände waren auch ganz andere." Lîf erinnert sich mit zurückgelegtem Kopf, die Augen halb geschlossen. Eine Hand liegt unbewusst auf ihrem Bauch. "Als Tristan und ich uns zum ersten Mal begegneten, da hätte ich ihm am liebsten die Augen ausgekratzt. Oh, und Angst hatte ich..!" Sie muss grinsen, als sie Freydis' verdatterte Miene sieht. "Niemand hatte beschlossen, dass wir Mann und Weib werden sollten" erklärt sie fröhlich. "Geraubt hatten sie mich, Tristan und seine Leute. Beute war ich für ihn, eine Magd, die sie ihm als Anteil zugeteilt hatten. Es war eine schlimme Zeit, und ich habe viel geweint..." Sie schüttelt den Kopf ungläubig, so lange scheint das schon zurückzuliegen. "Aber er hat mich gut behandelt. Ich weiß nicht, wann er es merkte, dass ihm mehr an mir lag. Ich jedenfalls, ich hatte mich verliebt, ohne dass ich es wusste. Und irgendwann, da... da war nichts mehr von meiner Wut und meiner Angst übrig. 'Ja' sagte ich da aus vollem Herzen. Und ich habe es nie bereut – ich liebe ihn, wie ich ihn wohl insgeheim liebte, seit er mich zu sich nahm."
Mit ernster Miene nimmt sie Freydis' Hand. "Ich kann dir nur sagen, dass für mich nichts wichtiger ist als er. Er und unser Kind! Das Schicksal hat mich nun gelehrt, dass Liebe verletzlich macht, denn ich habe große Angst um Tristan. Aber trotzdem: Nie, niemals würde ich ohne sie leben wollen! Wenn du ähnlich empfindest, dann kann es nicht falsch sein, Uthers Weib zu werden, denn dann wird euer Bund Bestand und den Segen der Mutter haben, ganz gewiss."