Aeryn sucht die nähere Umgebung also noch einmal gründlich ab, ob sie einen weiteren Fußabdruck entdecken kann. Lîf hilft ihr dabei, als einzige der Gefährten, mit großem Eifer, aber wenig Glück. Wulfgar – selbstsicher, bei seiner vorigen Suche alles gefunden zu haben, was sich finden lässt – hat sich mit Brakus und seinem Maultier einen Rastplatz gesucht, wo er nun lang ausgestreckt ruht. Rogar, Abdo und Arnvidh bleiben im Gespräch zurück.
Bei Arnvidhs Beschreibung der Kolkar und dem abschließenden Rat "Respektiert ihre Stärke und sie respektieren dich" hat sich Verachtung auf Rogars Miene ausgebreitet (sicherlich mehr auf die Kolkar gerichtet als den Sprecher), die nur langsam wieder wich. Er grummelt etwas in der Sprache seines Volkes vor sich hin, doch beruhigt sich schließlich.
Nach einer Weile müssen Aeryn und Lîf ihre Suche aufgeben. Da scheint einer doch ziemlich gründlich vorgegangen zu sein! Wohl konnte Aeryn einen zweiten Fußabdruck finden, und zwar ganz grob in Richtung Ansdag, doch daraus allein lässt sich nicht schließen, ob der Unbekannte tatsächlich auch von dort kam oder dorthin unterwegs war. Vielleicht wollte er auch zu einem der Höfe oder er hat nur einen Haken geschlagen oder ein wenig die Gegend erkundet oder...
Also kehren Lîf und Aeryn zu den anderen zurück. Bevor sie berichten können, ergreift Rogar das Wort.
"Gut, dass ihr zurück seid. Ich habe noch etwas herausgefunden, das alle angeht. Gestern abend nämlich habe ich, mit Uthers Erlaubnis, die weitere Korrespondenz seines Vaters durchgesichtet, ob sich dort nicht doch noch Hinweise zu beiden Karawanen aus Kromdag finden ließen. Soren hatte Fürst Ayrin ja belogen und behauptet, beide Karawanen hätten Ansdag nie erreicht. Nun, dieser Überfall hier, dabei handelt es sich offenbar um die zweite, welche Anfang Brachmond verschwand. Die erste dagegen scheint sogar Sydhavn noch erreicht zu haben und dort auf ein Schiff verladen worden zu sein, welches ordnungsgemäß Richtung Frankia in See stach, einen Monat, bevor die zweite verschwand. Am fünften Tag des Weidemonds, um genau zu sein. Nur angekommen ist sie in Frankia nie. Die Überfahrt hätte auch bei widriger Wetterlage nicht mehr als ein paar Tage dauern sollen. Aber da fragt man sich doch: Warum hat Soren das nicht einfach zugegeben? Es wäre ja nicht mehr seine Zuständigkeit gewesen? Nun, aber der Fürst von Sydhavn, wie Uther mir bereitwillig erklärte, ist Sorens Vetter...[1]
Ihr seht, was das bedeutet? Also, zunächst natürlich, dass wir uns die Mühe sparen können, einen zweiten Überfallsort zu suchen. Aber das ist Nebensache. Nein, es zeigt, dass unsere Annahme mit der Räuberbande von vorneherein nicht ganz stimmt! Denn entweder, es waren zwei verschiedene Banden am Werk: eine Räuberbande und eine Seeräuberbande, sprich: Rûngarder Piraten – schade, dass wir Tristan dazu nicht befragen können – oder aber, wir haben es mit einer Bande zu tun, die über weitaus mehr Können und Ressourcen verfügt als eine gewöhnliche Räuberbande, die also an Land als auch zur See operieren kann. Ach ja, und die Ladung war offenbar hauptsächlich Waffen und Rüstung und sonstige soldatische Ausrüstung. Also zumindest die erste. So das Manifest, welches im Hafen hinterlegt wurde."Bei Rogars Bericht wird Lîf ganz heiß und dazu ein wenig schlecht. Weidemond! Das war doch genau die Zeit, als Hóp überfallen wurde! Als der ganz Ort niedergemacht wurde... Tristans Hof – niedergebrannt! Die alte Esja – erschlagen! Die anderen Alten – gnadenlos niedergemacht! Die jungen Weiber aber, ob Magd oder freies... so viele verschleppt! Inga, Helga, Elske! Anuk mitsamt der kleinen Siri! Auch viele der jungen Knechte... Alle, die sich nicht in den Wald flüchten konnten...
Ist es Zufall? Oder war da dieselbe Bande am Werk, die Fürst Ayrins Schiff überfiel? Die Rûngarder jedenfalls waren in der Sache mit dem Schiff ausnahmsweise mal nicht die Schuldigen. Lîf wusste von Tristan, dass das Ziel jener Fahrt – an der Lîf ihren Gatten so sehr gebeten hatte, nicht teilzunehmen – ein reiches Kloster im Norden Ferslands war, Sundheim, fast schon in Bächland, gar nicht so weit von der Gegend, in der sie selbst aufgewachsen ist. Also genau die entgegengesetzte Richtung! Und die Beute, mit der die Drachen heimkehrten, bestand auch eindeutig aus Klosterschätzen, nicht aus Waffen und Rüstzeug. Nein, die Rûngarder waren es diesmal nicht.