Autor Thema: No'ashtah (Gelesen 2113 mal)

Vier angespannte Gesichter blickten ihr von der anderen Seite des Tisches entgegen. Sähe man vom stetigen Gemurmel im kleinen, miefigen Schankraum der schäbigen Absteige ab, könnte man von unheilvoller Stille sprechen, die sich um die huttragende Kartenspielerin senkte.
Ohne eine Miene zu verziehen strich sie sich eine rabenschwarze, glänzende Haarsträhne aus dem Gesicht und legte die Karten in ihrer Linken langsam und vorsichtig auf den Tisch. Alles Asse.
Der schmächtige, unrasierte Mensch, welcher ihr direkt gegenüber saß, explodierte im Zorn. Er sprang auf und knallte mit einer knochigen Faust auf den Tisch, sodass sich ein paar Gestalten in seine Richtung umdrehten. „Zum vierten Mal gewonnen, du miese Betrügerin! Wo gibt’s das denn!“ Der Wüterich knirschte mit den Zähnen und zeigte mit einem Finger auf das unschuldig blinzelnde Tiefling-Mädchen, welches sich nun unauffällig nach Fluchtmöglichkeiten umsah.
Die restlichen drei Spieler, die bei weitem bedrohlicher aussahen, als der dürre schreiende Kerl, erhoben sich nun auch, in ihren Augen standen keine freundlichen Absichten geschrieben.
„Warum gleich so ’ne Aufregung? Meine Herren, ihr habt doch bloß eine kleine Pechsträhne…“ Die Spielerin stand nun ebenfalls auf, hob kurz den Hut zum Abschiedsgruß an und raffte mit einer unerwartet schnellen Bewegung die vor ihr aufgetürmten Münzen - zumindest den Großteil davon. „Ich empfehle mich, einen schönen Tag noch,“ sie grinste breit, riss die Augen dann weit auf und starrte auf einen Punkt hinter den allmählich vorrückenden Spießgesellen. „Was is’n da drüben?“ Nur der vor Wut errötete schmale Mensch drehte sich ob dieses lächerlichen Bluffs um, aber No’ashtah Raznaidh Dow’argham Grayn’n - so hieß die „ehrliche“ Glücksspielerin - hatte auch keinen großen Erfolg erwartet, sie hastete bereits quer durch den Raum, eine Wand hinauf, und aus dem Fenster fort.
Draußen nahm sich die Tiefling keine Sekunde Zeit, sich umzuschauen, sie rannte die äußere Wand hinunter und verschwand in den verwinkelten, verdreckten Gassen des Stocks. Für einen Augenblick wurde sie so schnell, dass die trägen, engen Straßen Sigils kaum mit dem Tempo mitzukommen schienen…
Bald darauf hielt die Fliehende vor einer abgebrannten Ruine an, huschte in eine schattige Ecke und ließ ihren Atem sich beruhigen. Ihre seltsamen geistigen Kräfte haben ihr den Tag gerettet - mal wieder. Sie hatte keine Ahnung, woher sie die Veranlagung dazu hatte - von den Teufeln geerbt, hatte eine Kindheitsfreundin gesagt, aber No’ashtah war sich nicht einmal sicher, ob sie von Teufeln abstammte - diese Dinger waren doch in höchstem Maße organisiert, was man von der tagein, tagaus lebenden wandernden jungen Glücksspielerin nicht wirklich sagen konnte.
Diese stand nun im Schatten eines verkohlten Gemäuers und klopfte sich den Staub vom nobel anmutenden, aber tausendfach geflickten Anzug. Es wäre vielleicht an der Zeit, sich einen neuen anfertigen zu lassen, zum Glück hatte sie wieder Klimper in der Tasche. Aber wer wusste schon, wie lange No’ashtah diesmal in der Stadt der Tore bleiben würde, ehe es sie in irgendwelche Ebenen verschlagen würde, wo sie nichts zu suchen hatte.
Die Wanderin seufzte und schlurfte nach „Mark und Bein“, eine unscheinbare Absteige, wo sie damit rechnen konnte, ihre Freunde - größtenteils Freie wie sie selbst - zu treffen. Auch wenn es sich kaum an ihre Eltern erinnern konnte, kannte das gehörnte Mädchen einige verläßliche Leute - vielleicht war dies der Grund, warum es überhaupt dreiundzwanzig geworden war und noch lebte. Und zwar so, wie es lebte.

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