Wildhügel, am 26. Eleint 1372 DR, dem Jahr der wilden Magie
Gedankenverloren saß Joaquim Aulbes hinter seinem Schreibtisch und kaute auf seiner Schreibfeder herum, während seine Hauswirtschafterin Marela geschäftig die offenen Fenster putzte, durch die helles Sonnenlicht in den Raum fiel. Die Neuigkeiten, die er heute morgen erhalten hatte, waren alles andere als beruhigend. Wie es schien, hatte sein Freund Aubreck in Tiefwasser ein etwas zu risikoreiches Geschäft abgeschlossen, und dabei fast alles verloren, was er an weltlichen Gütern besessen hatte. Nun hatte er sich mit einem Hilfegesuch an ihn gewandt, und ihn um eine Geldspritze gebeten, mit denen er wenigstens in kleinem Masstab Handel treiben und so seine Schulden wieder bezahlen konnte. Und natürlich würde er Aubreck helfen, schliesslich war dieser nicht ganz unbeteiligt daran gewesen, dass er in der Wildnis hier seine Baronie hatte aufbauen können.
Ein plötzlicher Luftzug ließ ihn erschaudern. Er hob den Kopf, und sah zu seiner Überraschung eine Adlerfeder, die sich vor seinem Gesicht langsam auf die Tischoberfläche senkte. Dann erklang die Stimme in seinem Kopf....
Herr, was ist mit euch? Ihr seid ja leichenblass? Die Stimme Marelas riss ihn in die Wirklichkeit zurück. Tränen liefen seine Wangen hinab. Meine Familie, tot. Ausgelöscht vom...vom Kreis! stieß er hervor. Aber Herr, wovon redet Ihr? Habt ihr einen Tagtraum gehabt? Und wer ist der Kreis?
Habt Ihr die Stimme des Hin nicht gehört? Die von den furchtbaren Ereignissen in Nimpeth berichtete? Hier, mit dieser Feder hat er sie mir geschickt. Ich...Ich muss ihm antworten. Geht Marela, lasst mich alleine, ich bitte euch.
Marela schaute immer noch etwas ungläubig drein, verliess aber gehorsam den Raum. Wenige Sekunden später erscholl aus der Küche das Scheppern von Geschirr, als die Wirtschafterin begann, das Mittagessen vorzubereiten.
Der Baron aber nahm die Feder und sagte „Nachtschwinge“. Die Feder erhob sich in die Luft und segelte wieder um Fenster hinaus, begleitet von seinen Gedanken an die Person namens Naoko, die ihm die Nachrichten zukommen hatte lassen.
Noch Stunden später saß Baron Joaquin an seinem Tisch und starrte an die Decke. Ein harter Zug kerbte seine Lippen ein. Was er nicht bemerkte, war der ebenso harte, ja bösartige Blick, der ihn aus dem Dunkeln des Ganges heraus beobachtete.
Auf der See der fallenden Sterne, am 28. Eleint 1372DR, im Jahr der wilden Magie
Seit vier Tagen war Naoko nun auf See, und langsam gewöhnte sich sein Magen an das Schaukeln der Wellen. Die Geschichten, die Kapitän Soloni über die Macht der Herbststürme, die bald einzusetzen drohten, zum besten gab, hatten daran aber nur einen geringen Anteil gehabt, soviel war sicher.
Naoko hob den Kopf, den er soeben noch weit über die Reeling gebeugt hatte, als etwas in der Luft seinen Blick gefangen nahm. Er wischte sich das am Schiffsrumpf hochgespritzte Wasser aus den Augen und schaute genauer hin. Seine Feder! Sie kehrte zurück.
Naoko öffnete seine Hand, mit der er alsbald die Feder sanft umschloss, und lauschte der unvermittelt in seinem Geist erklingenden Stimme.
Naoko. Ich danke Euch für eure Nachricht, auch wenn diese bei mir unermessliche Trauer ausgelöst hat. Kommt zu mir sobald Ihr könnt, denn es gibt einiges, was ich euch sagen möchte, was ich dieser Feder aber nicht anzuvertrauen wage. Ihr werdet mich in Wildhügel finden, einem kleinen Dorf an der Mündung des Einhornlaufs. Die Händler des Nordens werden Euch den Weg weisen können, denn in ihren Kreisen ist mein Name wohlbekannt. Kommt schnell. Denn Ihr irrt, wenn ihr glaubt, der Kreis sei auf dem Weg nach Norden. Dort ist er schon seit Jahren.
Wildhügel, 8. Eleint 1373 DR, im Jahr der Schurkendrachen
Fasst ein Jahr war er nun unterwegs gewesen, die meiste Zeit davon auf dem Bock eines Handelskarren. Er war froh, nun endlich das Ziel seiner Reise erreicht zu haben. Vor ihm erhob sich das Schloss, dass ihm die Einwohner Wildhügels als Domizil Baron Joaquim Aulbes bezeichnet hatten.