Elf Wochen sind vergangen. Elf Wochen, und noch immer schmerzt Turins Schulter, wenn er sie zu stark belastet.
Noch mehr jedoch ist sein Stolz verletzt. Oft verliert er sich in Erinnerungen an jenen schicksalshaften Tag, nur um Minuten später festzustellen dass er mit geballten Fäusten mitten in einer Gasse in Baldurs Gate steht, ohne zu wissen wohin ihn seine Füße getragen haben.
Worüber er wütender war - die Heimtücke seines Gegners oder Torbalds Rauswurf aus der Akademie - konnte er selbst nicht genau sagen. Er murmelte zwar oft Das wirst du mir büßen... vor sich hin, aber es war eine leere Drohung, und das wusste er, was ihn noch wütender werden ließ.
Turin war jetzt seit einer Woche in Baldurs Gate, aber er hatte quasi nichts von der Stadt gesehen. Er war bei seiner Ankunft in einer billigen Kaschemme untergekommen und seither ziellos umhergestreift, die Augen mehr nach Innen gerichtet als nach Außen. Den Rest der Zeit lag er auf dem feuchten, muffigen Stroh in seinem Zimmer und warf sich unruhig hin und her, von Träumen geplagt die er auswendig kannte und die ihn doch jede Nacht aufs Neue beunruhigten und ängstigten. Mittlerweile herrschte in seinem Inneren solch ein Aufruhr, dass es Turin nicht gewundert hätte, wenn er einfach explodieren würde, damit all die Wut und Angst und Enttäuschung ihren Weg nach draussen finden.
Im Moment war er wieder unterwegs, allein in den Gassen von Baldurs Gate ohne Ziel oder Plan. Er bemerkte weder die Bewohner der Stadt um ihn herum, noch die immer verfallenere Gegend, als ihn seine Füße unbewusst in eines der ärmlichen Viertel lenkten. Er stand gerade wieder wütend und hilflos in einer Gasse herum, als plötzlich doch ein Geräusch zu ihm durchdrang. Ein Geräusch, das er vor langer Zeit gehört hatte, das aber alles in seinem Leben veränderte.
Er hörte das Knistern und Prasseln eines großen Feuers. Jetzt - zu sich gekommen - konnte er auch den Geruch in der Luft wahrnehmen und auf einmal war es, als stürzte die ganze Welt da draussen auf ihn ein. Er hörte Schreie in einer Nebengasse, sah den roten Widerschein am Himmel und wie von selbst lief er los, um zu sehen was passiert war. Turin kam gerade noch rechtzeitig, um zu sehen wie eine mehrstöckige Bretterbude, die lichterloh in Flammen stand, zusammenbrach. Um das Haus herum standen viele Anwohner, aber Turins Blick fiel auf einen älteren Mann, der sich verzweifelt bemühte einen kleinen Jungen festzuhalten, der wieder in die brennende Ruine rennen wollte und wie von Sinnen nach seiner Mutter schrie.
Paralysiert stand Turin da, diese Szene begaffend und war in Gedanken doch bei einer ganz anderen - wenn auch erschreckend ähnlichen - Situation. Mit einem Mal straffte er sich, wendete auf dem Hacken und stürmte davon, zurück zu der billigen Kaschemme, in der er übernachtete. Er hatte schon einmal vor dem Nichts gestanden und es geschafft, sich einen Platz in einer Gladiatoren-Akademie zu erkämpfen. Er würde auch jetzt wieder aus dem Nichts anfangen, aber er würde es wieder schaffen. Er würde diese verdammten Träume loswerden, er würde sich für das ihm angetane Unheil rächen und er würde reich und mächtig werden. Das Feuer war ein Zeichen Kossuths, dessen war er sich sicher, und ihm zu Ehren würde Turin der beste Kämpfer dieses gottverdammten Landes werden und sich seinen Platz an der Spitze verdienen.
Eine halbe Stunde später stapfte er, sein Hab und Gut unter dem Arm, durch Baldurs Gate, bis er vor einer Taverne stehen blieb, die ihm seltsam bekannt vorkam. Erst vermutete er, dass er sie bei seinen Streifzügen durch die Stadt kennengelernt hatte, bis ihm klar wurde dass dies das Haus aus seinen Träumen war. Etwas unsicher, aber mit festem Schritt öffnete Turin die Eingangstür und trat ein.