Und während sich die Luft der Halle mit den Gerüchen, Geräuschen und aufgeladenen Schwingungen des orkischen Tanzes füllte, saß Veleri auf dem Thron an der Stirnseite. Zwar musterte sie Ugnors Erscheinung und offensichtliche Weisheit interessiert, jedoch hatte die in nüchternem Schmerz und unerbittlicher Leere aufgewachsene Kriegerin den Sinn solcher Rituale nie ganz verstanden. Wortlos hatte sie sich stattdessen niedergelassen, mit langsamen, konzentrierten Bewegungen; teils mit entrückter Selbstverständlichkeit und teils mit schaudernder Furcht. Doch nun thronte die abtrünnige Heerführerin aufrecht und regungslos auf dem Sitz, der zuvor für den Illithiden bestimmt war. Und dessen abgetrennten Kopf sie nun in der Linken hielt.
Unverwand blickte Veleri in die toten, milchigen Augen des Schinders, während seine klebrigen Gesichtstentakel träge an ihrem Unterarm herabbaumelten. Ein lange verborgener, tiefer Impuls hatte sie wie elektrisiert zusammenzucken lassen, als sie Sae'Taz' Haupt erblickt hatte; und was für andere Betrachter ein ekelerregender und fremdartig-verdrehter Anblick gewesen wäre; Veleri kannte ihn seit langem. Und in ihr glomm der Abglanz eines Gefühs, dass wohl niemand hätte nachvollziehen können: Eine pulsierende, untrennbare Mischung aus Liebe, Schmerz, Abhängigkeit, Hass und Geborgenheit. Mit sanft bebenden Fingern strich sie über die gummiartige Haut. Sae'Taz war nicht ER, jedoch war er ihm ähnlich - und nie zuvor hatte sie so direkt und schonungslos in ein Gesicht wie das seine blicken können. Sie drehte den abgerissenen Kopf in der von Trommelschläge wummernden Luft. Würde ER auch so sein können? So leblos, kraftlos, sterblich? So menschlich?
Der beißende Stich drang nur langsam zu Veleris aufgewültem, tief versunkenem Geist vor und nur mit Mühe konnte sie ihren Blick nach unten Zwingen, fort von diesem Gesicht, dass sie wie ein kostbares, verbotenes Relikt in einer von Unwissenden eroberten Stadt aufgelesen hatte. Ein dünner Faden Blut rann zwischen den Tentakeln ihren Arm hinab, aus dem glühenden Zentrum des wohltuenden, lieblichen Schmerzes des Schlummerlieds aus Kindheitstagen entspringend. Die Kriegerin legte das Illitidenhaupt eigentümlich sanft in den Schoß und zog die Nadel aus ihrem linken Handgelenk, wohin sie aus ihrem zugewiesenen Ort in der ledernen Armschiene hin - als ob sie eine alte Gewohnheit in Erinnerung rufen wollte - entschwunden war. Veleris Blick glitt lächelnd über die alte, von Rost und Blut dunkel verkrustete Freundin und ihren eigenen, mit rötlichen Einstichnarben übersäten Arm - und verhärtete sich in einem Zorn, der sie selbst überraschte. Doch aus irgeneinem Grund sah Veleri nun, was dies alles wirklich waR: Die Bilanz ihres Lebens, soweit sie denken konnte. Den Rest; sonnige und wolkige Tage, Lachen und Liebe, Weinen und Trösten, Spielen, Schlafen, ein Leben; hatte ER ihr genommen.
Doch ER hatte ihr auch etwas gegeben: Den Hass, die Blutlust, die Kraft - den Chor. Mit tödlich sicherer Hand zog sie den goldenen Ritualdolch, den sie im Tempel des Kreises selbst erbeutet hatte. Ein passendes Werkzeug. Ihr Meister, ihr Erschaffer, ihr Vater hatte sie zu dem gemacht was sie war, und sie würde sein bleiben, so lange sie auf den Pfaden ging, die ER für sie bereitet hatte. Mit jedem ausgelöschten Leben und jedem niedergestreckten Körper erfüllte sie nur seinen Plan, dass wurde ihr in diesem Moment klar, als das orkische Ritual dem Höhepunkt entgegenstrebte. Das, was sie seit ihrer Flucht erlebt hatte war es, was es ihr nun gestattete, ihren eigenen Weg zu sehen. Sie hatte nur eine einzige Chance, den Fäden zu entkommen, die ER noch immer so kunstvoll um sie gesponnen hatte.
Langsam aber unerbittlich glitt die scharfe Klinge durch das zähe Fleisch Sae'Taz' als sie die knochenlosen Tentakel von seinem toten Antlitz schnitt. Die zur grausigen Trophäe gewordenen Insignien eines toten Herrschers ohne die seine Macht endgültig gebrochen war und seien Sterblickeit offen zu Tage trat. So würde es ihm auch ergehen müssen.
ER hatte sie viel gelehrt und dies würde zu seinem Untergang werden. Denn sie hatte die wahre Welt hinter den Mauern seiner Worte gesehen und nun konnte, musste nun zu einer Waffe werden, die sich gegen ihren eigenen Schöpfer richtete. Alles nutzen dass in ihrem Geist eingebrannt war und dabei ihre eigenen Entscheidungen fällen und lernen was es bedeutet, warhlich zu leben und ihr Leben würde sein Tod werden.
Dann würde sie endlich, wirklich frei sein können.