Geschehen zur dreizehnten Stunde des Far, dem 13. Dravago 999 YK
Nach wie vor etwas verwundert betrachtet Daharath die vielfältigen Farben und Formen des kleinen Meditationsgarten, den er gerade durchwandert. Fast muss er sich zwingen, sich daran zu erinnern, dass er sich in Diamantsee befindet, einer Stadt, in der Schönheit schneller der Zerstörung durch Vandalen anheimfällt als man es sich selbst in den verkommensten Vierteln der Stadt der Türme vorstellen könnte. Niemals hätte so etwas in früheren Tagen hier existieren können, und was noch erstaunlicher ist, der Kalashtar ist sich sicher, dass gerade der schwarzbärtige Mann, der leicht belustigt lächelnd neben ihm geht, zusammen mit seinem verkommenen Bruder als erster zur Stelle gewesen wäre, um das Werk der Zerstörung zu tun, das genau so sicher dann ihm angelastet worden wäre.
"Die Zeiten ändern sich, und manchmal auch die Menschen mit ihnen, werter Daharath," unterbricht ihn die Stimme seines Begleiters. "Ich weiß, Du hättest allen Grund, mich zu hassen für das, was Llanod und ich dir in unserer Jugend alles angetan haben. Und ich kann dich nur um Verzeihung bitten, wohl wissend, dass es keine Entschuldigung für unser Benehmen gibt.“
Allustans Augen sind offen und verbergen nichts. Daharath spürt den tiefen Ernst, mit dem der Magier diese Bitte um Verzeihung vorgebracht hat. Seine Gedanken schweifen zurück in ein früheres Leben, als seine Altersgenossen spürten, dass er anders war, obwohl sein Vater ihn dazu erzogen hatte, sich so menschlich wie irgend möglich zu verhalten.
Fremde waren in Diamantsee nicht gerne gesehen, das war früher schon genauso wie heute gewesen. Sein Anderssein hatte Daharath zu einem Außenseiter gemacht, und speziell der Tunichgut Llanod und sein jüngerer Bruder Allustan waren es gewesen, die ihm das Leben so gut wie möglich zur Hölle gemacht hatten. Er hatte irgendwann aufgehört zu zählen, für wieviele Missetaten er bestraft worden war, die in Wirklichkeit von diesen beiden begangen worden waren. Aber als Einheimische, und mehr noch, als Söhne des Oberbürgermeisters von Diamantsee, waren sie natürlich viel glaubwürdiger gewesen als ein "Halbblut", wie er oft verächtlich genannt worden war. Wie oft hatte er deswegen seinen Vater angefleht, doch woanders hinzuziehen, doch dieser hatte nur traurig den Kopf geschüttelt und gesagt, er dürfen hier nicht weggehen. Daharath verstand bis heute nicht, was an diesem Ort so wichtig sein sollte, dass sein Vater ihn nicht hatte verlassen können. Und doch schien sein gewaltsamer Tod ein Hinweis darauf zu sein, das es sich bei diesem Satz nicht nur um eine inhaltsleere Behauptung gegangen sei.
38 Jahre später hat sich nichts an der Gewalttätigkeit und der Blutrünstigkeit geändert zu haben, die Diamantsee durchdringt. Mit der Ausnahme dieser kleinen Oase, angelegt von einem Menschen, den er sich bis heute eher als Anführer einer Verbrecherbande hätte vorstellen können, und der in seiner Fantasie so gar nichts mit dem wohlsituierten Menschen mit guten Manieren hat, dessen ruhige, gelassene Ausstrahlung verrät, dass er sowohl äußere als auch innere Kämpfe durchstanden hat und daran gewachsen ist.
Gedankenversunken betrachtet Daharath die konzentrischen Steinmuster, in deren Mitte kleine, mit Lotusblüten bewachsene Tümpel den sonnenbeschienenen Himmel wiederspiegeln. Eine leichte Brise setzt die Oberfläche der Tümpel in Bewegung und für einen kurzen Moment scheinen die Blumen durch das vielfach reflektierte und gebrochene Licht in Flammen zu stehen. Es ist dieser Augenblick, in dem die vier Elemente zu einer gemeinsamen wunderbaren Harmonie verschmelzen, in dem Daharath klar wird, dass an dem jungen Allustan ein Wunder geschehen sein muss, dass ihn zu einer solchen Kunst befähigt.