Danke für Deine Eingebung, Pharasma. Wieder ein Wendepunkt des Schicksals Mestrard nahm noch einen großen Schluck und stellte geräuschvoll den Humpen ab. Mit ruhiger Stimme wandte er sich an Ancrym. „Den ersten Teil Deiner Frage kann ich Dir leicht beantworten. Der zweite scheint mir der zu sein, auf den es ankommt – und der beantwortet eigentlich auch den ersten. Tatsächlich habe ich auf diese Frage gewartet und wollte heute ohnehin mit Dir darüber sprechen, Bruder.“ Mit dieser Anrede versuchte auch Mestrard, die Spannung aus dem Gespräch zu nehmen.
Mit einem kurzen Blick schätzte er die Wirkung auf Ancrym ab. Da dieser ihn nicht unterbrach, sprach er weiter. „Ich bin hier geboren und aufgewachsen, aber das ist nicht der Grund für mein Leben hier. Du weißt, dass ich meine Eltern und Geschwister nicht in der Weise ehre, wie es der Tradition entspricht.“ Bewusst vermied Mestrard den Begriff Familie oder gar Clan. Beides, um nicht zu lügen und zweiteres auch, um Ancrym nicht vor den Kopf zu stoßen. Das Verhältnis von Mestrard zu seiner Familie konnte dem Deputy nicht entgangen sein und tatsächlich bedeutete es Mestrard tief im Inneren viel, zum Clan der Skoan-Qua zu gehören und seine Verbindung zum Totemgeist des Schädelclans war stark.
„Der Tradition in der sie mich aufgezogen haben. Das Schicksal, oder Pharasma hat es anders gewollt.“ Bei den folgenden Worten zeigte Mestrard sein seltenes aber aus den Tiefen seiner Seele kommendes Lächeln und er sprach bar jeder Bitterkeit und ohne Zynismus.
„Meine Eltern haben mich verkauft als ich 11 Sommer zählte. Das war eine entscheidende Wende in meinem Leben. Ich habe erkannt, dass das Leben, das Schicksal zugleich vorherbestimmt und veränderbar sind. Eine Glaubenslehre Pharasmas, die mir Targuan, der für 8 lange und erfüllte Jahre mein Lehrer war, beigebracht hat. Die ich damals erlebt habe. Auch die merkwürdigsten Wendungen in unserem Leben müssen akzeptiert und doch gelebt werden.“ Er blickt dem jungen Krieger tief in die Augen. „Auch Dein Schicksal, Ancrym, was immer vorgefallen ist und Dich in die Wildnis und dann hierher nach Sandspitze verschlagen hat. Im Moment sieht es so aus, als würdest Du das Beste daraus machen.“ Wieder klang kein Spott in Mestrards Worten.
„Zurück zu mir. Ich glaube und diene Pharasma, der Göttin des ewigen Kreislaufs von Geburt und Tod, der Göttin des Schicksals und der Weissagung. Heute durfte ich den ewigen Kreislauf in besonderer Weise erleben. Ein Leben ist vergangen und ein neues entstanden. Deshalb bin ich so müde.“ Jurins entspanntes Gesicht erschien vor seinem inneren Auge – wie friedlich der alte Mann im Tode ausgesehen hatte. Ganz anders als im Leben. Es verschwamm zu dem des hilflosen Säuglings, der nach einer Ewigkeit von einem Augenblick erst angefangen hatte zu schreien und das Leben in sich aufzusaugen.
Er weiß, von wem ich spreche. Schließlich hat er den Toten abgeholt und weiß, wo ich danach hingegangen bin.
Mestrard nahm wieder einen Schluck, sammelte sich und beschloss, ehrlich zu bleiben und nicht zu versuchen, Ancrym zu bekehren, sondern sich zu erklären.
Entweder redet er hinterher nicht mehr mit mir oder wir haben die Chance, ein Stück unseres Schicksals zu teilen.
„Ich will Dich jetzt nicht mit den Glaubenslehren belästigen. Du hast nach den Geistern gefragt. Ich diene ihnen nicht und ich glaube nicht in der Weise an sie, wie Du es tust oder wie meine Eltern es tun. Ich weiß, dass es sie gibt und dass sie Kraft haben. Aber es sind keine Götter. Ein Teil von Pharasmas Lehren, ein Teil ihrer Macht betrifft den Tod, ein anderer die Geburt und das Leben. Die Geister gehören zu beidem und irgendwie auch nicht.“ Mestrard merkte, dass es langsam zu religiös und kompliziert wurde und versuchte, sich zu fangen und schwieg für 2,3 Sekunden. „Ich weiß, dass vieles von dem, was ich sage und was ich bin, nicht dem entspricht, was die Traditionen sagen, an denen Du festhältst. Mehr als ich jetzt gesagt habe und mehr als an einem Abend zu sagen wäre. Dennoch bin ich ein Shoanti. Du hast es im dem Moment, als Du zum ersten Mal den Weg zur Kathedrale hinaufgekommen bist, gesehen und gespürt. Ich auch. Wir beide haben uns seitdem verändert. Dein Schicksal und Weg vermutlich mehr als meiner.“
Es gäbe so viel mehr zu sagen, aber das reicht. Gib ihm etwas zu kauen und zu reagieren. Von meiner inneren Unruhe kann ich ihm anschließend noch erzählen.
Mestrard sprach die letzten Worte langsam und mit fester Stimme, sie schienen einen Moment in der Luft zu hängen, bevor sie verklangen. Der groß gewachsene, fast hagere Mann mit dem ernsten Gesicht wirkte mit einem Mal sehr müde, was er auch war, und deutlich älter als er war. Nachdem er den Becher vollends geleert hatte, nahm er ein paar Nüsse aus seiner Gürteltasche, warf sie auf den Tisch, so dass beide davon nehmen konnten und begann systematisch eine nach der anderen zu knacken und zu essen. Er wartete und schien gleichzeitig völlig in sich zu ruhen.