Die Maske der höflichen Demut, die der Kirchenmann vor dem Gesicht trägt, verdeckt nicht seine offenkundige Genugtuung über die Ehrbezeugungen Leonius und Hortensius sowie die nur schwer unterdrückte Kränkung durch die Respektlosigkeit Edwards und Valèijs.
"Erhebt euch." meint er gönnerhaft nach einer kurzen Pause zu dem knienden Schweizer, ehe er sein Wort an alle Anwesenden richtet. "Die einzig seeligmachende Kirche Christi weiß eure Treue und Opferbereitschaft zu schätzen, dass ihr euch alle auf den weiten und gefährlichen Weg gemacht habt - und dass sogar ein Heide ihrem Ruf gefolgt ist." Die letzen Worte galten mit einem messerdünnen Lächeln dem wortkargen Roma.
Der Monsignore erhebt sich nun von seinem Sitz und entrollt ein Pergament, worauf er allerdings nur einen kurzen Blick werfen muss. Mit fester Stimme und wie einstudiert erläutert der Kirchenmann nun endlich den Grund dieser Zusammenkunft: "Die Sachlage ist folgende: Elisabeth von Padova, die Herrin des 'Hauses der Sphinx', dessen Gast wir zur Zeit sind, ist verschwunden." San Dimas macht eine kleine Pause um die Schwere dieser Worte wirken zu lassen und tatsächlich wirkt er selbst ebenfalls nicht besonders entspannt. "Gegen meinen Rat reiste sie geschäftlich vor einigen Monaten nach Norden, in die Walachei - ein ständiger Kriegsschauplatz! Die Nachrichten, die wir in regelmäßigen Abständen von ihr erhielten, sind, nun, ein Grund zur Besorgnis: Sie schreibt, sie habe Vlad Tepes, den 'Pfähler', Fürsten dieses Landes getroffen und würde ihren Aufenthalt auf noch unbestimmte Zeit ausdehnen...das ist sehr ungewöhnlich, normalerweise hält sie sich nie länger als nötig bei einem Geschäftsabschluss auf! Und zudem hatte bisher keine Frau, die sich mit Vlad Dracula eingelassen ein angenehmes Schicksal..." erklärt der Monsignore stockend, ehe er etwas leiser forfährt.
"Wir haben also einen Informanten nach Targoviste, der Hauptstadt der Walachei, geschickt, Bruder Charles, einen Franziskanermönch aus England, doch seitdem er die Donau überquert hat, haben wir keinerlei Meldung mehr von ihm erhalten!" steigert sich San Dimas mit dringlicher Stimme und geht unruhig ein paar Schritte im Halbdunkeln des Zimmers auf und ab. "Und als ob das noch nicht genug wäre, habe ich hier einige sehr beunruhigende Berichte, welche ich nicht so einfach ignorieren kann..."
Er entrollt einige weitere Pergamente, gibt sie den Anwesenden jedoch nicht zu lesen, sondern scheint selbst aus ihnen zu Zitieren, wohl um tatsächlich keinen Wortlaut zu verändern. "Sie stammen von Johannes von Capistran, einem meiner engsten Kollegen. Er starb kurz nach der erfolgreichen Verteidigung Belgrads gegen die Osmanen am Fieber. Doch war er bis zuletzt ein heiliger Mann und verlässlicher Berichterstatter, und gerade diese Tatsache macht seine letzten Einträge so...beunruhigend."
Unangehm räuspert der Monsignore sich, ehe er rezitiert. "Er schreibt, dass 'unheilige Monstren' auf dem Schlachtfeld umgehen würden, gottlose Kreaturen die 'von den Toten und Sterbenden beider Seiten fressen' würden - und Vlad Dracula sei unter ihnen und ihr Anführer. Capistran nennt ihr gar 'die Inkarnation des Leibhaftigen'..."
Nachdenklich und sehr ernst legt San Dimas die Papiere nieder und blickt in die Runde. Die Stadt hinter den verhangenen Fenstern scheint während seiner Worte verstummt zu sein.
"Im Namen unseres Herrn, seiner Heiligkeit Papst Pius II. und aller Christen des Abendlandes werdet ihr also folgenden Auftrag erfüllen:" verkündet der Spionagemeister nun wieder in fester und beinahe salbungsvoller Stimme: "Ihr werdet in die Walachei reisen und dort im Palast von Targoviste Capistrans Behauptungen nachprüfen. Uns ist bekannt, dass Vlad Tepes ein hartherziger und grausamer Mann ist, der sich zudem noch weigert, zum römisch-katholischen Glauben zu konvertieren, doch kann es sein, dass er tatsächlich ein Geschöpf der Hölle und kein Mensch ist?" Der Kirchenmann gibt einen kurzen Augenblick, damit alle Anwesenden den Befehl aufnehmen können, fügt dann aber noch hinzu:
"Wie die Anwort auch ausfallen mag, unbedingt ist Elisabeth von Padova aus seiner Gewalt zu befreien und in Sicherheit zu bringen. Zudem sollte, wenn möglich, der Verbleib von Bruder Charles geklärt und seine Erkenntnisse für die Kirche geborgen werden. Seht ihr euch der Aufgabe gewachsen...?"