Steinheim
Ein Entschluss ist gefasst. Die gerechte Faust wird sich erneut zusammenfinden und in Brindinfurth vereinen.
Schweren Herzens beginnt Brottor damit, seine Ausrüstung zusammenzusuchen. Zu gern hätte er eine längere Zeit in Steinheim verbracht. Doch wenn das Schicksal ruft, war er der letzte, der seine Ohren mit Wachs versiegelte. Unablässig kreisten seine Gedanken um den Sohn Thoralds und die anderen Kinder. Egal wer oder was die Fäden bei diesem grausamen Spiel zog, man musste es aufhalten. Schon bald würde er seinem Gott die Fragen stellen, die sich bereits in seinem Kopf konkretierten und von deren Antworten er sich viel versprach.
Darauf bedacht, auch nichts Wichtiges zu vergessen, merkt Brottor erst spät, das Estri ihm beim Packen des Rucksackes zusieht. Falten der Sorge zeichen ihr Gesicht - wie jedesmal, wenn Brottor sich aufmacht, Steinheim und seine Geliebten hinter sich zu lassen. Verwundert hält Brottor kurz inne, als er sieht, dass sich zu den Sorgenfalten auch der ihm gut bekannte zornige Blick gesellt.
Ohne ein Wort zu sprechen, hilft Estri dem stämmigen Zwergen beim Schnüren des Rucksacks. Brottor, unsicher ob dieses Novums, legt seine schwielige Hand beruhigend auf Estris wuselnde Hände, die sich an den Lederbändern zu schaffen machen.
"Du musst mir nicht helfen, ich weiss wie schwer dir diese Abschiede fallen."
Estri seufzt laut, "Ach Brottor, niemals fiel es mir so leicht, dich ziehen zu sehen." Erneut schleicht sich der zornige Ausdruck in ihr markantes Gesicht. "Dieses Unrecht muss aufhören! Ich ertrage es kaum, das Kind Thoralds anzusehen, so schrecklich ist der Anblick dieses Lebensunlustigen Kindes. Und dabei ist es meist nicht einmal annähernd humanoid." setzt sie leise hinzu. "Ich werde mich während Eurer Abwesenheit gut um das Kleine kümmern und sehnsüchtig darauf warten, ein Glucksen oder ein zaghaftes Lachen aus der Steinwiege zu vernehmen - verkündet es mir doch Euren Erfolg und deine baldige Rückkehr."
Estri umarmt und küsst ihren Zwerg. "Bitte setze diesem Elend möglichst schnell ein Ende, versprich mir das! Deine Freude darüber, Thorald wiederzusehen, blieb mir nicht verborgen. Kann es sein, dass er noch verbitterter und unsicherer geworden ist? Versprich mir auch, ihn im Auge zu behalten. Ein Mann ohne Gottvertrauen bedeutet immer Ärger, das weisst du!"
Brottor lässt sich die Versprechen leicht entlocken und verabschiedet sich von seinen Liebsten. Möge es kein Abschied für immer sein jagt ihm ein finsterer Gedanke durch seinen Kopf.
Auf der Wiese vor Steinheim haben sich bereits Thorald, Magnus und Geran eingefunden. Thorald, wie gewohnt, mit seinem grossen Kupferkessel auf dem Rücken, die anderen beiden mit weitaus weniger sperrigem Reisegepäck.
"Dann kann es ja losgehen." bemerkt Magnus trocken. "Gebt Euch die Hände und ich beginne mit dem Teleport nach Brindinfurth."
Geschickt nimmt Magnus einen Platz ein, bei dem er Thorald nicht die Hand geben muss. Weniger Glück haben Geran und Brottor, die zufällig neben dem Farlanghpriester stehen. Zögernd und unwillig überwindet Geran schliesslich seine Scheu und reicht Thorald die Hand. Als er die glitschige Konsistenz der Hand Thoralds wahrnimmt, bereut er seinen Mut und ihm wird kurz übel und es ist ihm, als ob seine Hand vollständig in diesen Schleim eintaucht. Zeitgleich spührt er ein leichtes Kribbeln an den Stellen, wo seine Hand unbedeckt ist. War nicht die Rede von einer schwachen Säureausscheidung bei dem Neugeboren Thoralds gewesen? So beeile dich doch, Magnus! Berherzt ergreift Brottor die andere Hand Thoralds und verzieht dabei keine Mine.
Brindinfurth
Einen Wimpernschlag später befinden sich die vier Abenteurer im stockfinsteren und feuchten Brindinfurth, über dem gerade ein gewaltiges Gewitter tobt. Erleichtert entwindet Geran seine Hand der Umklammerung Thoralds, der, so kommt es Geran vor, nicht recht loslassen will. Nach einem kurzen Augeblick der Orientierungslosigkeit realisieren sie das Haus des Chefs der Stadtwache vor ihnen - Thorranagas Wohnsitz. Während der heftige Regen die Kleidung allmählich durchnässt, warten die soeben aus dem Nichts Erschienenden geduldig auf eine Antwort auf ihr Klopfen an der Tür. Eine bekannte Stimme ruft das ersehnte "Herein, wenns kein Ork ist!"
In einem Sessel am prasselnden Feuer sitzt Sylvester und wärmt seine Füsse. Eine rauchende Pfeife in der einen und ein grosses Stück Käse in der anderen Hand. Sein Reiseumhang hängt an einem Holzstift in der Wand hinter ihm und es hat sich eine kleine Pfütze unter ihm gebildet. Eine ähnliche Pfütze befindet sich unter den mit Schlamm verdreckten Elfenstiefeln, die zum Trocknen nah am Feuer stehen.
"Hallo meine Freunde!" Ein skeptischer Blick mustert Thorald kurz. "Ich bin schon eine kurze Weile hier. Leider hat sich der Teleportmagier die grösste Schlammpfütze in ganz Greyhawk ausgesucht, in die man sich gefahrlos teleportieren kann." Lachend zeigt Sylvester auf seine Stiefel. "Aber sucht euch doch ein Plätzchen aus. Dort hinten stehen noch einige Stühle."
Noch bevor alle eine Sitzgelegenheit zum wärmenden Feuer getragen haben, nuschelt Sylvester, der sich gerade ein grosses Stück Käse in den Mund schiebt: "Thorranaga und Bertsinda sind nicht mehr in Brindinfurth. Das hier ist jetzt das Häuschen von Friedhelm Donnerlanze, dem neuen Chef der Stadtwache. Ein wirklich netter, umgänglicher Mann, der uns seine Bleibe gern zur Verfügung stellte, als ich ihm erzählte wer wir sind. Er bedauert es, nicht hier sein zu können, aber sein Dienst bei der Wache wird ihn noch einige Stunden in Beschlag nehmen. Er sagte mir auch, dass Thorranaga nun sowas wie ein Statthalter sei und sein eigenes Stückchen Land habe, was er eigenständig verwalten dürfe. Sogar ein Denkmal haben sie zu Thorranagas Ehren im Marktviertel aufgestellt. Ich bin auf dem Weg hierher daran vorbei gekommen. Sehr imposant diese Statue!" Das letzte Stückchen Käse findet seinen ihm vorbestimmten Weg in den Magen des Halblings.