Dravago, im Jahr 1000 nach Gründung des Königreichs der vierte Zor des Monats
Es ist früher Abend in der rustikalen Taverne mit dem wenig schmeichelnden, dafür aber umso passenderen Namen „Zum gefallenen Stern“, manche würde auch verfallen zu ihr sagen. Dieser kleiner Rückzugspunkte der Freude für die geschunden Recken des untergegangen Cyres ist wie immer brechend voll durch die unzähligen Flüchtlinge des Distriktes Hochmauer.
Der Geruch von altem, morschen Holz, der normalerweise vorherrscht, wird verdrängt von schalem Bier, dampfender Suppe und den Körperausdunstungen der Gäste. Die Schankmaiden pressen sich mühsam durch den vollen Raum und balancieren mit großen Geschick die unzähligen Krüge und Schüsseln durch den Raum, während keifende Kunde immer wieder versuchen ihren Hintern zu greifen.
Der Wirt, wie immer gut gelaunt durch die Kundschaft, steht hinter dem Tresen und putzt ,die Leute aufmerksam durch sein Auge beobachtend, ein Glas. Auf seiner Glatze spiegeln sich die Lichter der Laternen, welche den Raum in ein dämmriges Licht tauchen. Seine braune Schürze hingegen spannt sich unangenehm über den dicken Bauch, während sein weißes Hemd ein Flickenteppichen aus den unmöglichsten Brauntönen ergibt. Mit einem Mal spuckt er einen dicken Fladen aus und reibt mit seiner fettigen Hand die leere Augenhöhle, da die Augenklappe wieder einmal verrutscht ist. Jeder der Gäste kennt den dreckigen Fettsack als Herold, ein alter Kriegsveteran aus dem Krieg und Besitzer der Taverne „Zum gefallenen Stern“.
Wie immer erblickt man an fast jedem Tisch das Wappen Cyres und die Leute sitzen gut gelaunt über ihren Bieren. Fast jeder Tisch redet angeregt über die guten Seite ihres Lebens, wie glücklich sie sind überlebt zu haben und ihre Hoffnungen ein neues Cyre zu schaffen. Überall hallt lachen durch den Raum, wird geschwätzt, schwadroniert und geredet. Eine ausgelassene Stimmung herrscht in der Taverne und wenn man es darauf anlegt, kann man wahrscheinlich an jedem Tisch mindesten drei verschiedene Theorien, warum der Tage der Klage sich ereignet hat, hören.
Doch jede Person, welche längere Zeit in Hochmauer verbracht hat, weiß wie fadenscheinige diese Fröhlichkeit ist. Der Schock sitzt für die meisten Flüchtlinge tief und die Verzweiflung ist allgegenwärtig. Wenn wieder ein Kind verhungert, ein Cyrer durch Krankheit verstirbt oder der Rest Sharns sie wie Aussätzige behandelt, dann wird es ganz besonders offensichtlich. Doch in dieser Taverne versucht man sich von diesem schrecklichen Leben zu erholen, den verzweifelten Gedanken und der unsichereren Zukunft. Doch wie weit diese Verzweiflung geht, wissen nur wenige, sehr wenige. Denn unzählige der Flüchtlingen suchen ihr Heil bei den gefallenen Engeln, dem Drachen der Tiefe oder im Selbstmord. Das ist auch der Grund, warum an dieser autarken Gemeinschaft der Tag zu Ehren Aureosn fast spurlos vorbei geht.
Eine dieser Personen, welche sich dieser Tatsache durchaus bewusst ist, ist Deidre. Kaum einer weiß, dass dieses Geschöpf des Khybers ebenso ein Überlebender Cyre ist, wie die restlichen Gäste. Aber jeder muss ihre hervorragenden musikalischen Fertigkeiten anerkennen und diese eröffnen ihr gerade in diesem Pfuhl aus Verzweiflung eine Arbeit zu finden.
Doch an diesem Abend sitzt sie bisher still in einer dunklen Ecke der Taverne. Aber ihr Instinkt flüstert ihr, dass bald etwas passieren wird. Etwas großes...