Jarané tut sich schwer, nicht aufzuschreien. Sagte sie gerade wirklich "Cannith Frau"? Das darf doch nicht wahr sein! Zudem hält sie gerade seine Hand, und er hofft, sie spürt nicht, dass einerseits seine Hand anfängt zu schwitzen ob ihrer intimen Berührung, andererseits sein Puls in die Höhe schnellte.
Er stammelt einige Sekunden mit offenem Mund, bevor er unbewusst ein paar Worte zusammenstottert. "Cannith? Ich...aber...ich...liebe...d..." ...doch nur dich!
Doch bevor er die Worte ausspricht, fasst er sich wieder und schüttelt ungläubig den Kopf. "...deinen Humor. Haha! Was sollte ich mit einer Cannith anfangen?" Er lässt ein verklemmtes Lachen los und schaut verlegen in durch den Raum. Dann geht er zu einer nahe gelegenen Sitzgelegenheit und setzt sich hin. Es gilt, schnell vom Thema abzulenken. Verliebt in eine Menschenfrau? Welch furchtbare Vorstellung! Oder gar ein Verhältnis zu haben? Wie kommt sie bloß darauf?"
Was Sehayne nicht weiß, ist, dass Jarané neben seinen bekannten Geschwistern einen Halbbruder hat, über den keiner in der Familie spricht. Denn er entstammt einer Affäre seiner Mutter, wahrscheinlich mit einem Elf aus einem der elfischen Drachenmalhäuser. Er hat ein anormales Drachenmal und hat sich tief in kriminelle Geschäfte verstrickt, woraufhin die Familie ihn endgültig verstoßen hat. Nie, wirklich nie würde es Jarané auch nur einfallen, eine Frau einer anderen Rasse anziehend zu finden.
Er räuspert sich. „Nun. Zurück zum Ernst der Lage. Natürlich wollte ich Havelock nicht unterstellen, dass er lügt. Es ging darum, dass er scheinbar fest davon überzeugt ist, dass keine Gefahr droht“, beginnt er, und atmet kurz durch. „Du kennst mich und meinen Hintergrund. Alle aus meiner Familie waren oder sind Leibwächter. Meine Eltern, deren Eltern, und alle meine Geschwister. Ich habe es einfach im Blut und nehme diesen Job ernst. Vielleicht sind andere der Meinung, dass ich ihn zu ernst nehme, aber das interessiert mich wenig. Ich weiß auch nicht, was ich dieser Expedition beitragen könnte, als das, was ich bin. Ein Leibwächter. Ich bin weder Berater noch Freund noch sonst etwas für den Baron. Mein Beruf und meine Berufung ist es, zu beobachten, zu beschützen und wenn nötig zu töten. Und genau das tat ich. Ich habe bemerkt, wie ihr sicher auch, dass Havelock die kürzlichen Erlebnisse tief schockiert haben. Er starrt apathisch aus dem Fenster, meidet Gesellschaft anderer, und reagiert auf einfache Fragen bereits gestresst. Das verstehe ich durchaus, wegen den schlimmen Erlebnissen, allerdings stellt sich mir als Leibwächter dabei auch die Frage, ob Havelock ein Sicherheitsrisiko sein könnte. Ich gebe zu, ich habe ihn getestet und herausgefordert. Aber wenn er sich bereits durch ein paar spitze Worte meinerseits so dermaßen außer Fassung bringen lässt, was sonst wäre alles denkbar? Was passiert beispielsweise, wenn wir in diesem Sanatorium auch nur die Leichen der Verbrecher zu sehen bekommen, geschweige denn, sie würden leben? Was, wenn er total ausrastet und durchdreht? Sollte er sich das antun, an diesen Ort zu gehen? Das waren die Fragen, die ich mir gestellt habe, und die Art, wie Havelock auf meine Bitte um ein einfaches Briefing reagiert hat, liefert zumindest für mich eine klare Antwort: Er ist ein Sicherheitsrisiko. Zugleich wollte ich herausfinden, ob die Ermittler etwas wissen, das für uns von Interesse ist, insbesondere weil der Baron uns so knapp an der Leine mit Informationen gehalten hat. Und was ich erfahren habe, ist, dass sie keine Ahnung haben. Sir Havelock sagte mir, die Verbrecher seien sicher tot. Lady Faena sagte etwas anderes, wie du hören konntest. Für mich ist dies eine wichtige Information! Für alle von uns!“
Nochmals atmet Jarané tief durch. Er kann seine Gedanken nur schwer in Worte fassen und ist sichtlich enttäuscht von der Reaktion seines Verwandten darauf, dass er seinen Job versucht hat zu machen.
„Wenn sich Sir Havelock d’Medani so sicher sein kann, dass der Baron perfekt im Bilde über die Zustände in Hells Hearth ist, warum geht er nicht unbewaffnet? Warum lassen wir nicht einfach alle unsere Rüstungen und Waffen und Schutzgegenstände hier? Wir sind doch sicher!“, fragt er auf ironische Weise und lässt ein verdrehtes Lachen los.
„Sehayne, meine Schwester ist gestorben, als sie in Cyre als Leibwächterin gearbeitet hat. Ich nehme meine Berufung sehr ernst. Ich habe Havelock keinen Grund geliefert, meinen Beruf, meine Familie und alles was ich bin auf diese Art und Weise herabzuwürdigen und zu verspotten! Mich dreckigen Verräter zu nennen, weil ich meiner Arbeit nachgehe? Mich! Mich, der regelmäßig sein Leben für das Haus riskiert, um hochrangige Mitglieder zu schützen, die Schutz benötigen! Ich frage mich, wer hat unser Haus schlecht dastehen lassen? Ich, der bemüht ist, jegliches Risiko zu beseitigen? Ich weiß, es ist schwierig für ihn momentan. Aber eine derartige unberechenbare Reaktion ist…ich habe keine Wort dafür!“
Jarané wartet mit schwerem Atem auf die Reaktion von Sehayne. Er ist sehr froh dass sie hier ist und seinem Ärger, den er eben zum Wohle aller Anwesenden mit all seiner Beherrschung herunterschlucken musste, nun etwas Luft machen kann. „Danke“, flüstert er.