Gedankenverloren stand er vor den Bücherregalen, die er bisher vollkommen ignoriert hatte, nahm ein Buch nach dem anderen heraus, ohne es wirklich anzuschauen. Etwas hatte ihn wieder hier heruntergezogen; vielleicht einfach nur der Wunsch nach Stille, einem Moment der Ruhe, um seinem völlig überreizten Verstand zu helfen, wieder zu sich zu finden. Vielleicht auch nur das unbewusst an ihm nagende Schuldbewusstsein, denn das Wesen - die Raubkatze - die er in seiner letzten Vision gesehen hatte, war ihm alles andere als schrecklich erschienen. Sie war schön gewesen, und auch wenn er Kays Urteil in dieser Beziehung traute, hatte er doch das Gefühl, dass sie einen Fehler gemacht hatten, als sie ohne zu zögern den Dunklen Träumer getötet...erlegt...hatten. Den anderen konnte er keinen Vorwurf machen, sie waren Blinde, nicht in der Lage fundierte eigene Entscheidungen zu treffen, darauf angewiesen zu vertrauen.
Doch er hatte geschwiegen. Aus Furcht, vor dem, was aus einer Weigerung erwachsen konnte, Furcht davor, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, Furcht vor sich selbst.
Wie in Trance war er hinter den anderen wieder ans Tageslicht gestiegen, hatte eine neue Stimme gehört, genauso laut, genau so blind wie die anderen. Wie in Trance war er wieder hinuntergestiegen, von dem Lärm weg, zu den Büchern, diesen niemals widersprechenden, lautlosen Freunden, geduldig ausharrend, wenn sein Verstand mit dem darin enthaltenen Wissen nicht Schritt halten konnte, jederzeit bereit, ihn da zu empfangen, wo er bei der letzten Begegnung eine Pause eingelegt hat. Waren Bücher weniger gefährlich als die Erlebnisse des vergangenen Tages? Sicher nicht. Aber mit der von ihnen ausgehenden Gefahr war er vertraut, umarmte sie sogar, kämpfte mit dem Florett des Geistes gegen die in ihnen zu findenden Argumente, ohne dabei ein körperliches Wohl aufs Spiel zu setzen, ohne dabei in Gefahr zu geraten, den Verstand zu verlieren.
Er wusste nicht, was die Zukunft bringen würde. Aber er wusste, dass dies der zweite Tag in seinem Leben war, an dem sich die Realität um ihn herum vollkommen geändert hatte. Und so stand er gedankenverloren vor den Bücherregalen, strich behutsam mit dem Finger über den Einband des Buches, dass er gerade herausgenommen hatte, ohne auch nur einen Blick auf den Titel zu werfen.
Und nahm Abschied.