Die Priesterin schüttelte fassungslos den Kopf, als Eretria von den anderen Verschwundenen erzählte. "Wer tut nur so etwas?" flüsterte sie gedankenverloren.
"Ich habe fest geschlafen. Beinahe hätte ich sogar den Anfang meines Tempeldienstes verpasst. Ich... ich habe doch so lange über ihn gewacht", erklärte sie, offenbar immer noch ängstlich, dass jemand sie für ihr Verhalten bestrafen würde. Dann runzelte sie die Stirn, als sie sich offenbar an etwas erinnerte. "Seine Gewänder. Sie lagen noch auf dem Stuhl, auf dem er sie den Abend zuvor platziert hatte. Keines seiner sonstigen Kleidungsstücke fehlte."
Verwirrt betrachtete sie zuerst Eretria, dann Milan. "Das macht doch keinen Sinn. Er würde doch nicht ohne Kleider aus dem Raum gehen, geschweige denn aus dem Tempel. Und auch sonst hat er nichts mitgenommen, jedenfalls nichts, das mir aufgefallen wäre."
Als Eretria nach Karenos' Tagesablauf fragte, überlegte die junge Priesterin wieder kurz. "Er steht jeden Morgen eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang auf, und leitet die Begrüßung der Sonne und Verabschiedung der Monde - nicht nur für uns, sondern für alle im Tempel, die daran teilnehmen wollen. Dann hilft er, das Frühstück zu bereiten, und teilt den Adepten unseres Glaubens ihre Aufgaben zu. Er lässt sie viel meditieren, aber auch die Erfüllung alltäglicher Aufgaben hält er für wichtig, ebenso wie die Unterstützung der Priester, die sich um die Hilfesuchenden kümmern. Im Laufe des Tages spricht er immer wieder mit den Adepten, hört sich ihre Sorgen und Zweifel an und erklärt alles, was sie wissen wollen."
Mit einem Mal blickte sie erschrocken auf. "Wenn... wenn er nicht zurückkommt, dann... wer übernimmt denn dann die Ausbildung? Keiner kennt die Adepten so gut. Wir brauchen ihn hier doch! Ich... ich brauche ihn..."
Einen Augenblick starrte sie in die Ferne, dann sprach sie weiter, als wäre nichts gewesen. "Ansonsten kümmert er sich um alle, die um Hilfe bitten. Auch, wenn sie nicht unserem Glauben anhängen. Sogar die Priester der anderen Glaubensrichtungen hier im Tempel kamen manchmal zu ihm. Er teilt seine Weisheit mit jedem, der ihn darum bittet. Und er war auch ein recht guter Heiler, obwohl seine Stärke vor allem darin lag, in die Herzen der Leute zu blicken."