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Kapitel 4 - Das Schicksal der Seeschlange

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17. Ches des Jahres 1374 DR, im Jahr der Blitzstürme
geschehen zur 10. Stunde

...das Gebäude, in dem sie wieder aufgetaucht waren, war vollkommen leer gewesen, ein Relikt aus einer Zeit, als diese Ebenen des Unterbergs noch stärker bewohnt gewesen waren. Nicht dass sie sofort gewusst hatten, wo sie hingeraten waren, zunächst hatten sie nur erkennen können, dass sie sich in einem lichtlosen Komplex aufhielten, der ihnen keine Hinweise darauf gab, wo sie die Reise durchs Portal hinverschlagen hatte.

Ciarán war es schlussendlich gewesen, der die Antwort hatte geben können. Er war schon mal hier gewesen, kurz bevor seine Häscher ihn in die Troglodytenhöhle verschleppt hatten, hergelockt durch die Spur, die Chek'rai unfreiwillig für ihn gelegt hatte.

Doch bevor sie die Antwort erhielten, mussten sie warten, warten bis Ciarán, der direkt nach seiner Materialisation schreiend zusammengebrochen war, wieder aus der gnädigen Ohnmacht erwacht war, in die er Sekunden später gefallen war. Es hatte keine Erklärung für die Ohnmacht gegeben, und auch Mirrasshi, die ihn sofort untersucht hatte, konnte keinen Grund für diese Ohnmacht feststellen. Und auch der Elf selbst hatte keine Antwort, als er schlussendlich wieder erwacht gewesen war.

Immerhin schien er keinen Schaden genommen zu haben, und dank seines Erinnerungsvermögens vermochten sie bald festzustellen, wo sie hingeraten waren. Besser noch, Ciarán gelang es, sie heil wieder aus dem Unterberg hinauszuführen, zurück in die Herberge "Zum Gähnenden Portal", wo sie zum ersten Mal seit langem wieder in zivilisierte Regionen zurückkehrten. Nach Tiefwasser, der Perle Faeruns, der Stadt des Glanzes.

In der Annahme, auch Largo habe diesen Weg genommen, begannen sie sofort mit Erkundigungen. Zu ihrem großen Entsetzen mussten sie erkennen, dass die Reise durch das Portal sie nicht nur durch den Raum, sondern auch durch die Zeit geführt hatte. Es war schon mitten im Winter und natürlich konnte sich niemand mehr daran erinnern, ob in den letzten beiden Monaten eine Person, auf die die dürftige Beschreibung der Helden gepasst hätte, ebenfalls hier verweilt hätte.

Stattdessen hatten sie eine andere Überraschung erlebt. Ein Brief Chek'rais hatte auf Ciarán gewartet. Wie es schien, war es Felyn gelungen, mit den Troglodyten zu einer Übereinkunft zu kommen. Nachdem Chek'rai etwa eine Woche nach ihrem Verschwinden erwacht war, hatten die beiden Dunkelelfen mit Hilfe der Höhlenbewohner die unterirdische Anlage komplett zerstört, um sich dann ihrerseits auf die Suche nach ihren Gefährten zu machen. Es war Chek'rais Idee gewesen, hier eine Nachricht zu hinterlassen, da die Herberge schon früher zur Nachrichtenübermittlung zwischen den beiden gedient hatte. Die beiden hatten allerdings nicht warten können, denn wo ein Drow vielleicht noch als einigermaßen harmlos durchgehen konnte, erregten zwei viel zu viel Aufsehen, dass sich auf Dauer als zu gefährlich hätte herausstellen können. Chek'rai und Feyln hatten versprochen, in regelmässigen Abständen wieder hierherzukommen, doch hatten sie sich seitdem nicht wieder gemeldet.

Ciarán hatte seinerseits eine Nachricht für seinen Freund hinterlassen, dann war man dem Rat Naokos gefolgt und hatte den Handelsherrn Aubreck Dallion besucht, der dem Hin vor gefühlten Ewigkeiten von Dediana Extaminos empfohlen worden war. Dieser hatte sie auch herzlich aufgenommen, und das um so mehr, als er von Baron Aulbes in einem langen Brief über die bisherigen Geschehnisse aufgeklärt worden war und somit auch von den Taten seiner Besucher gehört hatte. Wie Aulbes auch hatte er keine Ahnung gehabt, wie sein Konterfei in die Hände des "Kreises" hatte gelangen können. Tatsächlich hatte ihn diese Nachricht mehr als beunruhigt, denn, wie er befürchtete, konnte dieses nur bedeuten, dass der Kreis ihn im Auge behielt, möglicherweise sogar mehr über ihn wusste, als ihm recht sein konnte. Sofort ließ er die Sicherheitsmassnahmen um seine Villa verstärken und stellte sogar seinerseits eine Gruppe von Abenteurern als persönliche Leibwache ein. Seine Gäste lud er ein, sich in seinem Haus willkommen zu fühlen und sich von den Strapazen der letzten Zeit (denn für sie war der Zeitsprung nicht mit entsprechender Erholung verbunden gewesen) auszuruhen. Er selbst ließ unverzüglich seine Kontakte spielen, um herauszufinden, ob etwas über den Mann namens Largo herauszufinden sei, doch blieb alle Mühe vergebens. Largo schien sich in Luft aufgelöst zu haben.

Und dann waren die Winterstürme gekommen, so dass es angeraten schien, erst den beginn des Frühjahres abzuwarten, bis man weitere Schritte unternahm, die anscheinend nur ins Blaue hineinverlaufen konnten.

Inzwischen hatte der Winter an Kraft verloren. Warm konnte man es noch nicht nennen, aber immerhin hatte die Sonne inzwischen immer wieder den Weg durch die dicken Schneewolken gefunden und es sogar geschafft, das Eis im Hafen von Tiefwinter aufzutauen und damit den Handelsschiffen wieder freie Ein- und Ausfahrt zu gewähren. Und diese kamen nun wieder häufiger, denn nachdem sich die Nachricht vom Ende der Drachenflüge, die Teile Faeruns in Schutt und Asche gelegt hatten verbreitet hatte, begann nun überall der Wiederaufbau, so dass das Treiben in Tiefwasser eine für die Jahreszeit untypisch hohe Frequenz erreicht hatte.

Dazu kam noch, dass das "Erwachen der Flotte" kurz bevorstand, das jährlich zum Frühlingsbeginn gefeierte zehntägige Fest der Seefahrer, dass gerade die Bezirke zum Wasser hin in einen geschäftigen Bienenschwarm versammelte.

...

Scheinbar unberührt davon saßen 7 Personen, die unterschiedlicher kaum sein konnten, gemeinsam um einen reichhaltig gedeckten Frühstückstisch und ließen es sich schmecken. Aubreck Dallion hatte sie bereits verlassen, da der Bote eines befreundeten Geschäftspartners um eine Unterredung gebeten hatte, hatte aber versprochen, sich später wieder zu seinen Gästen zu gesellen.

Ciarán:
Schweigsam betrachtete Ciarán die vor ihm liegenden Speisen. Er sollte hungrig sein, doch seit ihrer Ankunft im Unterberg hatte ihn eine seltsame Unruhe erfasst, und dazu kamen die Alpträume...

Abrupt stand der Elf auf und ging zum Fenster. Lange blickte er hinaus in den Schnee, aber natürlich konnte er auch dort keine Antworten finden. Betrachte den Schwarm...

In diesem Moment wusste er, was zu tun war. "Ich bin bald zurück", erklärte er seinen Gefährten, und verließ den Raum, bevor einer von ihnen auch nur die Gelegenheit hatte, zu reagieren. Er erwartete ohnehin nicht, dass sie ihn aufhielten, denn natürlich war ihnen seine innere Unruhe und das häufige Verlangen nach Zurückgezogenheit nicht entgangen.

Zielstrebig suchte er eine möglichst unangetastete, gerade Schneefläche, um seine Gedanken mit den Geistern des Winters zu teilen...

Naoko:
Tiefwasser. Naoko hatte keine Vorstellung davon gehabt, was ihn hier erwarten würde und hätte man es ihm gesagt, hätte er es wohl nicht geglaubt.

Einerseits faszinierte ihn die Stadt. Mit ihren unendlichen Häuserschluchten, den Unmengen an fremden Völkern, Sprachen, Geräuschen und Gerüchen übte sie einen geheimnisvollen Reiz auf Naoko aus, dem er sich nur schwer entziehen konnte.

Doch spürte er auch - mehr als wohl jeder andere - wie sich die Geister aus diesem Ort der Zivilisation und des technischen Fortschritts zurückgezogen hatten. Es war das gleiche Gefühl, das ihn damals beim Besuch in Westtor befallen hatte. Weniger bedrohlich diesmal, doch ungleich intensiver.

Der plötzliche harte Wintereinbruch war ebenfalls eine neue Erfahrung für den Hin aus dem Chondalwald. In seiner Heimat war Schnee praktisch unbekannt und die Kälte machte Naoko anfangs schwer zu schaffen, da seine Kleidung natürlich völlig unpassend gewesen war.

Erst nachdem er sich einen Wintermantel und andere wärmende Kleidung zugelegt hatte, stieg auch seine Laune wieder etwas an und er versuchte sich so gut es ging mit der Situation zu arrangieren.

Mit der Zeit gelang es ihm, sich auch äußerlich der neuen Umgebung anzupassen. Die wilde harzgefestigte Frisur und die aschefarbene Gesichtsbemalung verschwanden fürs Erste und zum Vorschein gekommen war ein ansehnlicher junger Halbling mit etwas blasser Haut, und klugen aber nachdenklichen grünen Augen.
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Naoko ließ sich das Essen schmecken. Er war guter Laune und lächelte in letzter Zeit viel. Nur ab und an wenn ihn Gedanken an seine Heimat und an das Haus des Kreises einholten, wurde er nachdenklich und spürte, dass der Drang, loszuziehen und weiterzukämpfen noch nicht erloschen war - und niemals erlöschen durfte!

Schweigend blickte er Ciarán hinterher. Der Elf schien seit ihrer Ankunft in Tiefwasser einen inneren Kampf auszufechten, den sich Naoko nicht recht erklären konnte, und er sah ziemlich miserabel aus als hätte er in letzter Zeit kaum Ruhe gefunden.

Mittlerweile hatte Naoko großes Vertrauen zu den drei neuen Mitstreitern gefasst. Doch Ciarán war für ihn immer noch ein großes Rätsel. Naoko vermutete, dass die Gedanken des Elfen zu oft um irgendwelche arkanen Formel kreisten und da er selbst davon keine Ahnung hatte, hielt er es für das beste, sich nicht übermäßig viel in Ciaráns Angelegenheiten einzumischen.

Naoko hielt ein dampfende Kanne in die Luft und schaute fragend in die Runde. "Tee?"

Reina:
"Aye!" Reina hielt ihm ihren Becher unter die Nase.

Wie seltsam dass das Portal von einem düsteren Ort zu einem so bequemen und angenehmen geführt hatte. Noch nie war Reina in einer so grossen Stadt gewesen, also hatte sie die Zeit genutzt sich überall umzusehen.
Doch sie waren nicht zum Vergnügen hier. Wohin war Largo geflüchtet?
Natürlich war es unmöglich ihn in der ganzen Stadt zu suchen und sein seltsamer zeitlicher Vorsprung machte es nicht leichter ihn zu verfolgen.
Es war erfolgversprechender sich eine neue Spur zum Kreis zu suchen...

Nachdem die Halbelfe die Tasse ausgetrunken hatte lief sie ungeduldig um den Tisch herum. "Was machen wir heute? Unser Gastgeber ist nicht zuhause, also sollten auch wir hier nicht rumsitzen!"

Ciarán:
Ciarán griff sich einen einfachen, aber stabilen Stock, als er eine passende Schneefläche gefunden hatte. Beinahe hektisch zeichnete er Symbole in den Schnee - Symbole, die für ihn Ereignisse der letzten Zeit darstellten. Ereignisse, aber auch Gefühle, die seltsame Unruhe, die Alpträume...

Alles fügte sich zu einem Bild zusammen. Es war fast, als würde seine Hand von einer fremden Kraft geführt, bis das Bild schließlich vollständig war. Mit gerunzelter Stirn betrachtete er das Ergebnis. Der Schwarm...

Erst nach einigen Sekunden merkte er, dass er sich an der Innenfläche seiner rechten Hand kratzte. Verwundert blickte er nach unten. Seine Hand... er hatte einen seltsamen Fleck auf der Hand. Einen Fleck, der sich bewegte... sich veränderte... und zu einer monströsen Fratze wurde. Mit weit aufgerissenen Augen starrte Ciarán auf seine Hand, als der Schmerz allmählich seinen Arm hinaufkroch.

Er stolperte rückwärts in den Schnee, versuchte, die Fratze in seiner Hand im Schnee abzuwischen, doch sie blieb, starrte ihn an aus grün funkelnden Augen.

"Was bist du? WAS BIST DU?" schrie er mit Entsetzen in der Stimme. Sein Entsetzen wurde nur noch größer, als er die finstere Stimme in seinem Kopf hörte: "Jay'lan. Mein Name ist Jay'lan."

Laut schreiend wälzte sich Ciarán im Schnee, und hielt dabei seinen Arm fest, die Augen starr auf die Fratze in seiner Hand gerichtet.

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