"Achtung!"
Reina gehorchte ohne nachzudenken. Instinktiv riss sie ihr Schwert hoch und konnte gerade noch Veleris Hieb abblocken, der ihr ansonsten wohl mit einem Hieb den Kopf vom Körper getrennt hätte. Aus der Bewegung heraus revanchierte sie sich, indem sie zurücksprang und dabei Ugnor anrempelte, wodurch dessen Axthieb aus der Bahn gelenkt wurde und harmlos an Mirrasshi vorbeifuhr.
Es war die Hölle.
Die Halb-Drow und die Katzenfrau waren die einzigen, die sich dem fremden Einfluss hatten widersetzen können. Ihren Gefährten war hingegegen nicht nur der Verstand, sondern auch jede Form von Menschlichkeit abhanden gekommen. In Sekundenschnelle hatten sie sich in monsterhafte Wesen verwandelt, die sehr den toten Piraten ähnelten und waren sofort zum Angriff übergegangen. Glücklicherweise schienen wenigstens Ciarán und Naoko noch Widerstand leisten zu können. Beide standen wie erstarrt immer noch am gleichen Fleck, verwandelt, aber inaktiv, als würde sie ein fremder Einfluss zurückhalten. Die Monsterfratze auf Ciaráns Hand schien zu glühen, und um Naoko herum hatte sich ein Hauch von Nebel gelegt, der in kleinen Wirbeln immer neue Formen annahm, obwohl hier drin völlige Windstille herrschte.
Yuki lag besinnungslos an der Wand. Mit einem wütenden, hasserfüllten Schrei hatte es sich auf Reina gestürzt, als plötzlich ein kleiner Schatten auf es zugeflattert war und sich in seinem Hals verbissen hatte. Für einen kurzen Moment irritiert, hatte Yuki damit Reina die Gelegenheit gegeben, es mit einem Hieb der flachen Schwertseite aus der Luft zu fegen. Yuki war gegen die Wand geprallt und daran heruntergeglitten, ohne sich seit diesem Moment wieder bewegt zu haben.
Nur noch zwei Gegner also. Doch ausgerechnet die beiden vielleicht gefährlichsten. Wie die Berserker hackten Ugnor und Veleri auf ihre weit unterlegenen Gegner ein und Mirrasshi wusste, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis sie eine falsche Bewegung machen und sich damit dem Tod ausliefern würde. Was auch das Schicksal des Paladins neben ihr besiegeln würde.
Verzweifelt unterlief sie einen Schlag Ugnors und holte mit ihren Krallen zum Gegenschlag aus. Erst als es zu spät war und ihr schon Ugnors hämisches Lachen in den Ohren klang, erkannte sie die Falle. Sie war auf eine Finte hereingefallen und hatte keine Chance mehr, dem Schlag auszuweichen,
der nie kam. Es war nicht ihr weiches Fleisch, in dass sich Ugnors Axt bohrte, sondern das von Reina. Die junge Frau musste gesehen haben, welche Gefahr Mirrasshi drohte und hatte sich in die Bahn der Axt geworfen, ohne auf das eigene Leben zu achten.
Doch auch für Ugnor war es der letzte Hieb. Noch während seine Axt den Brustkorb der Elfenfrau zerfetzte, schoss Blut aus seiner von Reina mit einem einzigen Schlag zerfetzten Kehle. Tödlich getroffen, brach er zusammen, während Reinas Finger sich von ihrem Schwert lösten.
Gepeinigt schrie Mirrasshi auf. Doch war keine Zeit zum Trauern. Noch war die Gefahr nicht gebannt. Sie sprang auf und wandte sich Veleri zu, die
mit einem verwunderten Gesichtsausdruck auf Reinas Schwert blickte, das glatt ihre Rüstung durchschlagen und sich in ihre Brust gebohrt hatte. Ein dünner Blutfaden rann ihr Kinn hinab und vereinigte sich mit vielen anderen dünnen Blutbahnen, die aus den Poren ihres Gesichts traten.
"Der Chor...er ist...verstummt."
Zum ersten Mal, seit Mirrasshi Veleri kannte, lächelte sie glücklich. Dann sackte sie zu Boden.
Halte durch, nur einen Moment noch, dann ist es überstanden. Jay'lans Stimme. Was noch von Ciaráns Persönlichkeit übrig war, fand Trost darin, dass sein neuer Vertrauter ihn in der Realität verankert hielt, während der vielstimmige Wahnsinn darum kämpfte, ihn in sich hineinzuzerren und zu seinem ergebenen Diener zu machen.
Halte durch, nur einen Moment noch, dann ist es überstanden. Der Nachtfuchs. Naokos Körper schien ihm nicht mehr zu gehören, doch sein Geist war klar. Tiefe Geborgenheit umgab ihn und schützte ihn sogar vor dem schrecklichen Geschehen vor seinen Augen.