Mit einer wedelnden Handbewegung bedeutet Anastrianna dem Diener, den Raum zu verlassen, bevor sie die eingetroffene Nachricht begutachtet. Das Siegel ihrer Familie! Das konnte eigentlich nur bedeuten, dass die Nachricht entweder von ihrem Bruder Aerendil oder ihrer Schwester Naerdrylaen stammte - und ihr Anastrianna fiele bei beiden kein Grund ein, warum sie eine solche Nachricht verschicken sollten, würde Aerendil doch zweifelsfrei die Methoden der magischen Kommunikation nutzen und Naerdrylaen hatte schon seit vielen Jahren keine Nachricht mehr von sich geschickt.
Wortlos bricht die Adlige Sonnenelfe das Siegel, entrollt die Nachricht und beginnt zu lesen. Als sie am Ende angelangt ist, liest sie noch ein zweites Mal, um ganz sicher zu gehen. Dann lässt sie sich auf einen der umstehenden Stühle nieder, Kopf schüttelnd.
"Ach, kleine Schwester.... Womit hast du dich nur hier eingelassen? Du hättest dich niemals von unseren elfischen Göttern abwenden dürfen, unsere Verwandten hatten Recht damals....", denkt Anastrianna während sie die leise im Wind raschelnden Blätter der riesigen Eichen betrachtet, die das Dach der Familienresidenz bilden.
Es steht für sie jedoch außer Frage, dass sie sofort aufbrechen würde, um ihrer Schwester beizustehen. Egal, woran Naerdrylaen glaubte, es war Anastriannas Pflicht, ihr in jedweder Not beizustehen - und den drängenden Worten der Nachricht nach befand sich Naerdrylaen in einer solchen.
Gerade will sie wieder nach ihrem Diener rufen, um ihn von ihren Plänen zu informieren, als es auch schon ein weiteres Mal an der Tür des großen Übungsraumes klopft und ihr Diener eintritt, an seiner Seite ein gehetzt wirkender Reiter, der ein weiteres zusammengerolltes Pergament in seiner Hand hält.
Mit einem knappen Kopfnicken bedankt sich die Adlige bei dem Boten.
"Ich danke euch für das Überbringen der Nachricht, Bote. Wenn es euch danach verlangt, wird euch Aegnor mit Speis und Trank versorgen, bevor ihr wieder aufbrecht. Auch für euer Reittier wird gesorgt werden."
Dann wartet sie, bis die beiden den Raum wieder verlassen haben, bevor sie das Pergament entrollt. Man merkt der Nachricht an, dass der Schreiber in dieser Kommunikation etwas ungeübt ist, auch wenn er sich offensichtlich Mühe gegeben hat. Die Buchstaben sind präzise, sauber und kantig hingeworfen. Die Adlige ist sich sicher, das mehr als ein Pergament verschwendet wurde, bevor der Verfasser das Schriftstück einem Boten übergeben hat.
Hochverehrte Lady Anastrianna Valanthe Galadhon,
in der Hoffnung, dass dieser Brief Euch vor seinem Absender erreicht, schreibt Euch Darelion Sonnenseele – auf dem Weg gen Silbrigmond.
Eure Familie und meine sind im Schicksal verbunden. Lady Naedrylaen Galadhon, Eure Schwester, war eine der wenigen Überlebenden eines Überfalls der finsteren Dunkelelfen auf Eichenspitze nahe dem Elfenhof, wie Euch sicher bekannt ist.
Meine ganze Familie wurde damals ausgelöscht und heute, fast 30 Jahre später, sind die Untaten gerächt! Erstaunlicherweise mit Unterstützung einer dunklen Elfe, einer Drow, die sich von den Grausamkeiten ihres Volkes und dem ewigen Krieg los gesagt hat.
Der Anführer der feigen Bande ist tot. Bei sich trug er jenen Siegelring der Galadhons, den Lady Naedrylaen damals verloren haben muss.
Seit einigen Wochen versuche ich, ihren Aufenthaltsort ausfindig zu machen, um ihr den Ring und die frohe Kunde zu überbringen. Seit gestern weiß ich zumindest, wo wir Euch finden können und hoffe, dass Ihr mir weiter helfen könnt.
Mit diesem Schreiben kündige ich unsere Ankunft an, auch um einen Kampf oder unnötigen Streit wegen meiner Begleiterin zu vermeiden. Es ist jene Drow, ohne die der Siegelring der Galadhons in den Tiefen Cormanthors auf Grabräuber oder Elstern warten würde.
Gezeichnet
Darelion vom Orden der Sonnenseele
Beim Lesen der Nachricht legt sich die Stirn der Elfe immer mehr in Falten. Ein merkwürdiger Zufall, dass sie an einem Tag gleich zwei Nachrichten ihre Schwester betreffend erreichten - und der Verfasser der zweiten, eben jener Darelion, schien auf dem Weg nach Silbrigmond zu sein. Entweder ein Zufall - oder Schicksal. Anastrianna beschließt, noch ein paar Tage abzuwarten, bevor sie selbst in Richtung Respite aufbricht, um die Worte des Darelion zumindest anzuhören und welche "Hilfe" er begehrt....