Verträumt sah Cael nur die hübsche Halbelfin an und vergaß über seine Begeisterung seinen Freunden zu antworten. Dann folgten die Agenten und ihre Begleiterin dem Vorschlag des Magiers und schickten sich an noch vor dem Sonnenuntergang den Schlosshof zu erreichen.
Der Weg auf die Stufenpyramide war lang. An seinem Ende ragten die schwarzen Mauern mit den krallengleichen Zinnen von Schloss Korvosa, wie die Klaue eines bösen alten Drachens in den bedeckten Himmel auf.
Die Treppe wollte allerdings kein Ende nehmen, was die Leute nicht davon abhielt nur so in den öffentlichen Vorhof zu strömen, wo die Hinrichtung stattfinden sollte. Als die Agenten endlich vor dem Tor angekommen waren, verwehrten Gardisten einfachen Bürgern bereits den Zutritt. Der Schlosshof war hoffnungslos überfüllt und so gelangten die fünf nur mit Hilfe ihres Abzeichens hinein, was ihnen Verwünschungen der weniger begünstigten Bürger einbrachte.
Unter dem Torbogen hindurch, eröffnete sich ihnen ein Bild wie sie es eher bei einem Freudenfest oder einem Ritterturnier vermutet hätten.
Um eine hölzerne Empore, auf der bereits der Richtblock wartete, waren drei Ehrentribünen aufgebaut worden. Die größte davon besaß einen blutroten Baldachin unter dem ein hoher gepolsterter Stuhl stand. Noch war der Sessel unbesetzt, doch keiner zweifelte daran, dass bald Königin Ileosa diesen Platz einnehmen würde. An der hohen Brüstung fanden sich die Wappen aller großen Häuser, mit dem der Arabastis in der Mitte.
Vor einer Reihe bewaffneter Gardisten hatten sich einfache Bürger an der Tribüne versammelt. Sie streckten ihre Hände zu einem gut gekleideten Mann mit freundlichen Augen empor. Er hatte langes, ungebändigtes Haar und einen buschigen Schnurrbart. Daro erklärte den anderen, dass es sich um Fürst Glorio Arkona handelte. Der Edelmann war dafür bekannt den Armen wohlgesonnen zu sein und so hielt er auch jetzt eine kleine Truhe aus Ebenholz unter dem Arm, während er mit der freien Hand Münzen daraus an die jubelnde Menge verteilte.
An seiner Seite war wie immer Melyia, die Base des Fürsten. Die Arkona war wunderschön, was ihr wie immer bewundernde, wie neidische Blicke schenkte.
Neben der königlichen Dienerschaft und den Arkonas konnten die Agenten viele Mitglieder der übrigen Adelshäuser Korvosas erkennen. Die Edelleute waren in die kostbarsten Stoffe gehüllt und trugen die wertvollsten Schmuckstücke ihrer Schatzkammern zur Schau. Unter den Fürsten und ihren prächtig geschmückten Gemahlinnen waren auch die meisten der Magistraten zu sehen. Die Herrschaften plauderten offensichtlich gut gelaunt über Belanglosigkeiten, während sie desinteressiert die letzten Vorbereitungen der Hinrichtung beobachteten.
Die Matriarchin von Haus Zenderholm, eine blasse Frau mit schwarzem, dünnen Haar, die laut Daro von den Bürgern Korvosas nur „die Galgenkrähe“ genannt wurde, war über die Brüstung der Tribüne mit einer älteren Dame auf der Zuschauerbühne daneben in eine Unterhaltung vertieft. Carmelizzia konnte diese wiederum begeistert als Bischöfin Keppira d’Baer benennen. Es war die Vorsteherin der Kathedrale Pharasmas in Grau, wo sich die beiden Halbelfen erst am gestrigen Tag zum ersten Mal begegnet waren. Unter dem gelben Baldachin waren noch zwei weitere Hohepriester zu sehen: Ornher Reebs vom Tempel des Asmodeus und Erzbankier Darrb Tuttel, das Oberhaupt der Abadarier von Korvosa.
Die dritte Ehrentribüne war verhältnismäßig schmucklos. Zwischen Standarten und Bannern erkannte Mercutio das Wappen der Garde Korvosas, das der Schwarzen Kompanie und das des berüchtigten Ordens des Nagels auf enormen Schilden. Mit einem vierten, blanken Schild aus mattem Stahl konnte er nichts anfangen.
Hinter der niedrigen Brüstung saß Feldmarschall Cressida Kroft in polierter, blutroter Plattenrüstung. Die Anführerin der Stadtgarde wechselte ein paar Worte mit einem blonden, gut aussehenden Mann auf dessen Waffenrock wieder der geflügelte rote Anker der Greifenreiter zu sehen war. Daro erkannte in ihm sofort Marcus Thalassinus Endrin, den Kommandanten der Schwarzen Kompanie.
Etwas abseits, durch zahlreiche niederrangige Militärs von den beiden Generälen getrennt, saß die Führungsspitze der Höllenritter. Hinter den finsteren Rüstungen mit infernalen Symbolen und Teufelsfratzen vermutete Mercutio Lictor Severs DiVri und die Herrin der Klingen Maidrayne Vox. Eine Frau die nicht nur in Korvosa für ihre Grausamkeit beim Erteilen und Vollstrecken von Richtsprüchen bekannt war.
Zwischen den schwer gepanzerten Höllenrittern saß ein dürrer Mann in schwarzen Roben. Der Magier hielt ihn für Paravicar Acillmar, ein Arkanist und ebenfalls innbrünstiger Verehrer des Prinzen der Finsternis.
Auf einer niedrigen, aber dennoch über das einfache Volk erhabenen Zuschauerbühne saßen die Dockfamilien, wohlhabende Kaufleute und Händler. So auch Familie Dragonetti, Mercutios Eltern, Geschwister und Tanten, von denen keiner den Magier eines Blickes würdigte.
Zu Mercutios Erleichterung waren allerdings nur sehr wenige Mitglieder der Acadamae hier um der Hinrichtung beizuwohnen. Zanovia suchte jedoch auch nach Vencarlo Orisini und Grau Soldado vergebens.