Autor Thema: Evanders Hintergrund  (Gelesen 7422 mal)

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guardian

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Evanders Hintergrund
« am: 02.12.2004, 17:43:51 »
 Evander von den grossen Seen

Die Sonne strahlte warm auf Evanders Gesicht. Er lächelte; es war ein wundervoller Tag an den großen Seen. Einige Elfenkinder spielten an den sanft abfallenden Ufern, die Erwachsenen, die ein wachsames Auge auf ihre Sprößlinge hatten, nur wenige Meter entfernt. Evander fühlte sich sehr wohl unter seinesgleichen, und das war nicht immer so gewesen. Betrachtete man den noch sehr jungen Elfen, waren die Unterschiede zu den übrigen Flußelfen mehr als augenscheinlich. Zum einen war seine Statur kräftiger, seine Bewegungen längst nicht so elegant und seine Gesichtszüge nicht derart fein geschnitten. Sein Haupthaar war schwarz wie das Gefieder eines Raben und er hatte sich bereits in jungen Jahren einen dichten Bart wachsen lassen.
Evander war ein Bastard, das Ergebnis einer unfreiwilligen Verbindung seiner Mutter, einer Flußelfe, mit einem marodierenden menschlichen Banditen. Viele aus Evanders jetziger Sippe waren damals dem Angriff zum Opfer gefallen; die Gemeinschaft hatte lange Zeit benötigt, sich sowohl in seelischer als auch in körperlicher Hinsicht wieder zu erholen. Und dann erblickte Evander das Licht der Welt. Sein Anblick weckte bei den Flußelfen erneut die entsetzlichen Erinnerungen an den Überfall, so daß es nicht verwunderlich war, daß der Mutter und ihrem Sohn zunächst eine Welle der Ablehnung entgegenschlug. Doch im Laufe der Jahre änderte sich allmählich die Einstellung der Elfen, viele erkannten, daß es keinen Sinn machte, Evander und seine Mutter für etwas zu bestrafen, daß jedem der ihren hätte widerfahren können. Seit dieser Zeit erschien dem jungen Elfen das Leben an den Seen wie ein wundervolles Geschenk der Götter. Er ging mit den anderen Kindern zur Schule, lernte Schreiben und Lesen, wurde belesen in der Dichtkunst und entdeckte sein Interesse für die Musik.
Evander ließ seinen Gedanken an die Vergangenheit freien Lauf und
ertappte sich schließlich dabei, daß er nachwievor gedankenverloren
vor sich hin lächelte. Schließlich hörte er, daß jemand seinen Namen rief, von weit weg erscholl der Ruf, immer wieder wurde sein Name gerufen, noch einmal und wieder, weit weg, weit weg.....

Evander schrak hoch.

Sofort umfing ihn die bittere Kälte seines kleinen Turmzimmers. Die
Stimme seines Meisters kam jetzt in schnellen Intervallen, panikerfüllt und kurz vor dem Überschnappen. Evander sprang aus dem Bett und rannte in die Richtung, aus der er glaubte, die Stimme gehört zu haben. Jetzt rief sein Meister nicht mehr nach seinem Sklaven, dafür brüllte er aus Leibeskräften irgendwelches unverständliches Zeug. Evander flog förmlich in das große Studierzimmer seines Herrn, wobei er sich die Strafen für sein verspätetes Erscheinen bereits gedanklich ausmalte. Der Blick, der sich ihm bot, war mit Worten nicht zu beschreiben.


Sein Herr und Meister hatte offensichtlich einen äußerst mächtigen
Dämon beschworen, der mühelos den Beschwörungskreis überwunden hatte und sich nun langsam daran machte, die kleine Made, die es gewagt hatte, ihn aus seiner Dimension zu reißen, zu vernichten.
Ganz behutsam und sehr leise und vorsichtig machte Evander auf dem Absatz kehrt und schloß die Türe hinter sich zu. Die Schreie, die dabei an sein gesundes Ohr stießen, zauberten doch tatsächlich ein Lächeln in das Gesicht des Halbelfen, eine Gefühlsregung, die ihm beinahe körperliche Schmerzen bereitete, wurden doch dabei Muskeln beansprucht, die schon lange nicht mehr in Anspruch genommen worden waren. Leichten Schrittes kehrte Evander zu seinem Zimmer zurück, stetig verfolgt von den gräßlichen Schreien seines Herrn, oder besser, ehemaligen Herrn. Wieder umspielte ein Lächeln sein Gesicht. Eine neue Zeit würde nun für ihn anbrechen, dessen war er gewiß. Eine Zeit der Rache und Vergeltung und schließlich die Zeit der Heimkehr. Neben einigen Kleidungsstücken, die er besaß, gab es nicht viel für ihn, was es wert war, mitgenommen zu werden. Zwei Tiegelchen mit einem jeweils sehr wirksamen Gift verstaute er sorgfältig in seinem Rucksack. Mit Giften kannte sich Evander aus, sehr gut sogar. Er hatte in den Jahren als Sklave viel über die verschiedensten Gifte und ihre Herstellung in der umfangreichen Bibliothek seines wohl mittlerweile verstorbenen Meisters gelesen. Ein Lächeln. Die Tiegelchen waren wichtig, keine Frage. "Komm Relg, es ist an der Zeit zu gehen". Unbemerkt von den gestrengen Augen seines Herrn, hatte es Evander geschafft, einen Vertrauten in dieser trostlosen Umgebung zu haben. Sicherlich war es bei dieser Art Freund auch nicht all zu schwierig, ihn versteckt zu halten.

Ohne Zweifel war Relg, ein Pfeilgiftfrosch, das Wichtigste für Evander, denn Relg war sein Freund, sein einziger Freund. Der Halbelf nahm den kleinen Frosch behutsam auf. Diese Geste wäre für die meisten anderen Lebewesen absolut tödlich verlaufen, sonderten doch Pfeilgiftfrösche ein alkalisches Gift ab, das die Opfer innerhalb weniger Sekunden vor das Antlitz des Todesgottes beförderte. Doch da Relg sich in keiner Weise bedroht fühlte, unterblieb diese Hautreaktion.
Auf dem Weg in die so lang ersehnte Freiheit, kam Evander an dem
kleinen Arbeitszimmer seines Meisters vorbei. Er zögerte, alte Gewohnheiten konnte man nicht so leicht abstreifen. Es war ihm bei Strafe verboten gewesen, dieses Zimmer zu betreten, doch letztenendes, wer sollte ihn jetzt noch.....tadeln? Vorsichtig drückte Evander versuchsweise die schwere Klinke der Eingangstüre hinunter. Es war nicht abgeschlossen. Schnellen Fußes glitt der Halbelf in den dahinterliegenden Raum. Ein heilloses Durcheinander von Pergamenten, Schriftrollen, Büchern jedweder Form und Größe und zahllosen obskuren Gerätschaften erwartete ihn. Ein kleineres Buch, welches zuoberst auf dem massiven Schreibtisch lag, erweckte Evanders Neugier. Der mattschwarze Ledereinband wies nur ein einziges Symbol auf; die Rune für „Arkanum".

Ein schneller Blick in das Innere bestätigte Evanders Vermutung, der
Meister hatte hier mit einer Abschrift seines eigenen Zauberbuches
begonnen, vielleicht aus Sicherheitsgründen, vielleicht auch um sein
Wissen weiterzureichen. An wen? Unwichtig, nun gehörte es Evander. Er gestattete sich noch einen schnellen Blick in eine der Schreibtischschubladen; bloß weg von diesem verfluchten Ort. Ein
Beutel mit rund 70 Goldmünzen und ein Fläschchen mit einer bläulichen Flüssigkeit waren im nu eingesteckt. Als Evander endlich in die klare Kälte der Nacht hinaustrat, atmete er tief diesen einzigartigen Duft ein - den Duft der Freiheit. Wie lange hatte er diesen Augenblick herbeigesehnt? Noch einmal rückte er das Gewicht seiner dürftigen Ausrüstung zurecht, dann verschwand er mit einigen raschen Schritten in der Dunkelheit.

Prolog

Ein angenehm warmer Wind strich über die großen Seen hinweg. Das Laub der wenigen Bäume, die an den Ufern standen, raschelte und Evander erschien es, als wenn tausende von Stimmen miteinander flüsterten. Es war noch früh am morgen, so daß in der Siedlung der Flußelfen große Ruhe herrschte. Der Halbelf wandte sein Gesicht der aufgehenden Sonne zu und genoß die wärmenden Strahlen. Plötzlich vernahmen seine scharfen Ohren ein weit entferntes Rumpeln, einem Erdbeben nicht unähnlich. Nein, dafür war es zu gleichmäßig und es schien näher zu kommen. Angestrengt lauschte Evander auf das schwache Geräusch. Einige Minuten vergingen ereignislos, dann riß Evander die Augen schreckerfüllt auf. Reiter! Eine große Reiterschar näherte sich dem Dorf!

Er brüllte aus Leibeskräften los.

Später konnte sich Evander kaum noch an den Überfall der Sklavenjäger erinnern. Einige Elfen hatten es noch rechtzeitig geschafft, ihre Waffen zu ergreifen, doch viele wurden im Schlaf überrascht und waren völlig wehrlos, als die Jäger wie ein Sturm über sie hinwegfegten. Der Halbelf bekam schon in den ersten Augenblicken des Kampfes einen Schlag auf den Hinterkopf, der ihn in die Bewußtlosigkeit schickte. Als er schließlich wieder erwachte, befand er sich in einem Käfigwagen, umgeben von vielen seiner Sippenmitglieder aber auch einigen Menschen und anderen Nichtmenschen. Aus den Schilderungen der Elfen konnte Evander sich alsbald einen Überblick über die Geschehnisse der letzten Stunden machen. Viele waren getötet worden, andere ließ man sterbend zurück. Nur wenige hatten es in die Boote und in die Sicherheit der großen Seen geschafft, so hatte es den Anschein. Was das Schicksal seiner Mutter betraf, so konnte niemand Evander darüber Auskunft geben. Nach endlosen eintönigen Tagen, die die Sklaven in den Wagen verbracht hatten, erkannten sie, daß sie auf die Küste zuhielten. Ihre Befürchtungen bewahrheiteten sich schon bald, als sie einen großen Dreimaster erkannten, der am Strand festgemacht hatte. Evander und seine Gefährten blickten niedergeschlagen einer ungewissen Zukunft in fernen und fremden Ländern entgegen.

"Mein Name ist Hotûn," bellte die Stimme des Sklavenjägers. "Ihr Maden werdet mich mit Herr anreden. Ihr seid jetzt Sklaven und werdet es bis an das Ende eures armseligen Lebens bleiben. Es gibt kein Entkommen." Gemurmel machte sich breit, welches augenblicklich mit etlichen Peitschenhieben beantwortet wurde. "Euch wurde nicht erlaubt zu sprechen. Aber ihr werdet lernen, bei den Göttern, das werdet ihr!" Hotûn lachte. "Und wenn wir nicht wollen?" Alle Köpfe ruckten nahezu gleichzeitig zu dem Sprecher herum. Evander hatte einen Entschluß gefaßt. Der Tod wäre wesentlich besser als ein Leben in Sklaverei und Knechtschaft. Er betete für ein schnelles Ende. Das ungläubige Gesicht von Hotûn, dem Oberaufseher, würde Evander sein Lebtag nicht vergessen, es hatte beinahe etwas komisches an sich. Nachdem dieser sich gefaßt hatte, griff er nach einem glühenden Eisen, welches zum Brandmarken der Sklaven gedacht war. Wortlos schlug er es dem Halbelfen mit einem wuchtigen Hieb an den Schädel, wodurch dieser zu Boden ging. "Nicht wollen, Bastard. Nicht wollen, eh." Evander war benommen von dem harten Schlag und sah deshalb nicht, was als nächstes auf ihn zukam; es war besser so. Hotûn drückte das Brandeisen dem Halbelfen auf die rechte Gesichtshälfte, wodurch dieser in die Bewußtlosigkeit glitt. "Es ist besser so....," dachte er noch.
"Nicht bewegen mein Junge". Die Stimme klang von weit her dumpf an Evanders Ohr. "Ganz ruhig. Noch hält der Gott des Todes einen Platz für dich in seinen weiten Hallen frei." Evander schlug langsam die Augen auf. Sein Blick war getrübt, er fühlte sich unendlich schwach. "Wo bin ich?" "Du bist im Lager der Sklaven, wo sonst," antwortete die Stimme. Wieder erklang sie seltsam dumpf und monoton. Jetzt konnte Evander allmählich den Sprecher erkennen. Es war ein Mensch. Als er seinen Blick wendete, sah er einige seiner Sippenmitglieder. Erneut umfing Dunkelheit die Sinne des Halbelfen.
Später erfuhr Evander, was geschehen war. Er hatte einige sehr
schwerwiegende Verletzungen davongetragen. Der Hieb auf den Kopf hatte seinen Schädelknochen gespalten und das rechte Trommelfell war gerissen. Das Brandeisen hatte nicht nur für eine sehr häßliche Brandnarbe auf seiner rechten Gesichtshälfte gesorgt, er hatte auch einen Großteil der Sehkraft des rechten Auges eingebüßt. Seine Reise ins Nimmerreich, wie die Elfen das Jenseits bezeichneten, war bereits beschlossene Sache gewesen. Doch dann schien die Glücksgöttin Mitleid mit dem Halbelfen zu haben. Einer der anderen Skalven war der Heilkunst mächtig und tat im folgenden sein möglichstes, um das Leben des Halbelfen zu erhalten, mit Erfolg. Es dauerte einige Wochen bis Evander sich von seinen schweren Verletzungen erholt hatte, insbesondere die Taubheit und die eingeschränkte Sehfähigkeit machten ihm sehr zu schaffen. Er mußte weiterhin mitansehen, wie mehr und mehr der Sklaven
verkauft wurden, bald schon waren nur noch eine Handvoll seiner Freunde aus dem Elfendorf übrig geblieben.

Dann erschien Horâth Feratuûn, seines Zeichen Hexenmeister und
Totenbeschwörer, im Lager der Sklavenjäger. Er war auf der Suche nach einem billigen Diener, der dazu in der Lage sein sollte, einfachste Aufgaben zu erledigen. Seine Wahl fiel auf Evander.