Schon im Zug, der Irving und Friedrich von Berlin nach Emden, zur Fähre zu ihrem eigentlichen Urlaubsziel, der Insel Borkum, bringen sollte, merkt Irving, wie sehr er den Urlaub doch gebraucht hat. Die vielen Nächte im Labor, dazu Vorlesungen, Seminare, Kolloquien - all das forderte langsam, aber sicher Tribut. Natürlich nur ein lächerlich geringer Preis im Vergleich zu dem, was sie da im Labor schufen: Die Kältemaschine, mit der sie Gase bis nahe an den absoluten Temperaturnullpunkt kühlen wollten, war vor wenigen Wochen fertig geworden und die ersten Messungen waren verheißungsvoll. Bis jetzt trat noch kein Abweichung von der theoretischen Vorhersage auf - obwohl eine solche natürlich deutlich spannender gewesen wäre. Im Moment wurde die Maschine - auf besonderen Wunsch von Walther Nernst, seinem Chef - gewartet, bevor in ein paar Wochen die nächsten Messungen anstanden. Die Gelegenheit war also für Irbing günstig, ein paar Tage Auszeit zu nehmen, und so saß Irving nun mit seinem guten Freund Friedrich in einem feinen Erste-Klasse-Abteil eines Bäderzugs von Berlin nach Emden.
Die Zeit vertrieb sich Irving vor allem mit Lesen - unterbrochen von ein paar angeregten Kartenspielen mit Friedrich. Die bevorzugte Lektüre des Physikers war, natürlich, die aktuelle Ausgabe der Annalen der Physik. Wie es schien, hatte Professor Sommerfeld in München gerade das revolutionäre Modell der atomaren Struktur der Materie von Bohr genommen und entscheidend verbessert, so dass damit nun die Anordnung der Elemente im Periodensystem erklärt werden konnte. Ein interessanter Ansatz, Irving hatte kurz vor seiner Abreise noch mit ein paar Kollegen aus dem Institut über diese Ideen diskutiert und sich vorgenommen, den entsprechenden Artikel in den Annalen aufmerksam zu lesen und selbst ein paar Berechnungen anzustellen - wann hatte man schon Gelegenheit dazu, wenn nicht auf einer so langen Zugfahrt?
In Emden-Außenhafen angekommen, ist Irving zunächst einmal fast überwältigt von den Menschenmassen, die sich vor den Ticketschaltern der Reederei drängen, hoch beladen mit Gepäck - zum Glück hatten er und Friedrich das alles schon von Berlin aus geregelt. Die Kollegen im Institut hatten nicht gelogen, Borkum war anscheinend wirklich die "deutsche Insel". Irving ist mehr als gespannt, ob die Insel auch die Erwartungen halten kann, die diese offensichtliche Beliebtheit weckt.
Abseits der Menschenmassen stellt sich Irving an die Kaimauer und schaut an den Dampfern vorbei aufs Meer hinaus. Dann blickt er verschmitzt Friedrich an.
"Borkum war einmal Festland, sagtest du? Was ist passiert, dass wir nun nicht mehr den Zug nehmen können?", fragt er ihn, halb im Scherz, halb aus Neugier. "Und wo wollten wir noch einmal deinen Bruder treffen?"