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"Es ist die Geschichte der wandernden Eiche. Vor langer Zeit, als weder Mensch noch Zwerg
noch Elf die Gestade dieser Welten bewohnten, betrug es sich, daß in einem uralten und dichten
Wald das Sonnenlicht zum Ende des Jahres langsam abnahm und sich der Sommer verabschiedete.
Dieser Wald war in vielen Dekaden gewachsen und gewachsen und hatte nun das ganze Tal in dem er
sich befand eingenommen. Nun war in diesem Tal vielleicht nicht der kostbarste Boden, aber die
alten Bäume hatten sich hier eingelebt, fanden letztendlich in der Krume des Bodens vielleicht
kein Übermaß, aber dennoch genug um hier ein geruhsames Leben zu führen. Wie in jedem Jahr, fielen
auch dieses Mal die kleinen Eicheln, Bucheckern und Kastanien von den Wipfeln der Bäume um zu wurzeln
und zu einem neuen Baum heranzuwachsen. Doch in diesem Jahr sollte es anders kommen.
Die Früchte des ältesten und majestätischsten Baum des Waldes, einer stattlichen Eiche, fielen auch diesmal
zu Boden, doch dort angekommen, schauten sie sich um und waren zutiefst unzufrieden. Voller Eifer und
Empörung wandten sich die kleinen Eicheln an den alten Baum:
"Oh großer Vater, hier sollen wir in Zukunft Leben? Sie dir den Boden an, die
Krume wirft nicht viel ab, wenn hier noch mehr Bäume auf diesem Platz stehen, nehmen wir uns
die Nahrung weg. Und außerdem wird das Tal zu klein, wir würden uns gegenseitig die Sonne
stehlen." Die große Eiche, zutiefst überrascht von dem Aufbegehren ihrer Nachkommenschaft, mußte
dieser nach kurzem Nachdenken allerdings recht geben. "So dann auf, Kinder. Laßt mich die Vögel
rufen, auf daß sie euch in ein anderes Tal tragen mögen, wo ihr euch ausbreiten und gedeihen
könnt." Doch die kleinen Eicheln protestieren. "Aber großer Vater! Wie sollen wir denn ohne
euch und eure Erfahrung zurecht kommen. Außerdem lieben wir euch doch Alle und können euch
hier nicht allein lassen." Die große, ehrwürdige Eiche schüttelt daraufhin ihre mächtige Krone.
"Aber nicht doch Kinder. Dies ist der Ort an dem ich mich wohl fühle. Hier wachse und gedeihe
ich schon seit langer Zeit, ich kenne die Vögel, die in meinen Ästen wohnen und die Eichhörnchen
auf meinem Stamm. Dies ist der Ort an dem ich bleiben möchte. Außerdem könnte ich euch nicht
folgen, die Vögel können mich nicht tragen." Doch die Kleinen brechen in Trauer aus und ihr
Weinen rührt den alten Baum so tief, daß er sich ihren Klagen beugt. Er ruft die Vögel und die
Eichhörnchen zu sich und bittet sie um Hilfe. Die Vögel sollen seine kleinen Eicheln einsammeln,
auf daß sie mit ihnen zu neuen Tälern fliegen. Die Eichhörnchen sollen vorsichtig seine alten
Wurzeln aus der Erde graben, in der sie von Anbeginn an steckten, damit er seinen Kindern
folgen könne. Nachdem dies geschehen war, er sich von seinen langjährigen Eichhörnchenfreunden
verabschiedet und die Vögeln angewiesen hat, nicht zu schnell zu fliegen, ziehen sie los.
Zu Anfang bemüht sich der alte Baum mit den Vögeln mitzuhalten, doch je höher sie das Gebirge
erklimmen, das es zu überwinden gilt, desto steiniger wird der Boden, über den sich die Eiche
bewegen muß und desto weniger Nahrung kann sie aufnehmen. Außerdem sind ihre Äste alt und steif,
die zunehmenden Strapazen des Wanderns nehmen sie zusehends mit. Immer wieder brechen einige der
Äste ab und schließlich gelangen sie in Regionen des Gebirges, in denen es so kalt ist, daß
der Boden gefroren und die wenigen Bäche vereist sind. Der Alte Baum, von den Strapazen der
Wanderung bereits so angegriffen, daß er über keinerlei Reserven mehr verfügt, strauchelt
schließlich, rutscht durch den Schnee und fällt über eine Klippe. In stummem Entsetzen müssen
die kleinen Eicheln dem Sturz zusehen ohne Eingreifen zu können. Als sie schließlich nach langem
Flug das neue Tal erreichen, können sie nicht mal mehr sagen, wo sich genau die Absturzstelle
befindet. Und so kam es, daß die Eicheln zu Bäumen heranwuchsen und seitdem umherwandern in dem
Bedürftnis, ihren Stammvater zu finden, auf das sie ihn ehren und ihm ein würdiges Begräbnis
verschaffen können. Zu allen Lebewesen sind sie freundlich, erhoffen sie sich doch vielleicht
einen Hinweis auf die Ureiche zu bekommen und ihre Schuld irgendwie abtragen zu können. Man
kennt diese Bäume heute als Treants, und vielleicht, solltet ihr mal einen treffen, wird er
euch nach der alten Eiche fragen."
