3. Desnus, 4708 AZ
Die Wandelhallen Schloss Korvosas waren mit roten Rosen und grünen Girlanden geschmückt. Es war ein Festtag. Königin Ileosa hatte die Adelshäuser und Dockfamilien in den Herrschaftssitz der Arabastis geladen, um den Sieg über die Seuche zu verkünden.
Sie trug ein schimmerndes Kleid aus grüner Seide. Ihr Gesicht glich wie immer einer makellosen Porzellanmaske, während auf ihrem geflochtenen Haar eine finstere Krone saß, deren Zacken sich wie die eines dunklen Sterns erhoben.
Ein königlicher Herold verkündete den Verlust des Seneschalls Neolandus Kalepopolis und stellte seinen Nachfolger, den Magier Togomor vor.
Der mehr als üppige Leib des Mannes war in purpurfarbene Roben gehüllt auf denen sich überall dunkle Schweißflecken abbildeten. Auf seiner Schulter saß eine ebenso fette, schwarze Kröte mit dicken weißgelben Warzen. Er musste sich auf einen knorrigen Stecken stützen, als er seinen mächtigen Körper schnaufend zu einer Verbeugung krümmte.
Hinter der Königin und ihrem neuen Seneschall stand die kühle Leibwächterin Ileosas. In würdevoller, aufrechter Haltung wachte sie in der silbernen Rüstung der Grauen Jungfern. Der geschlossene Helm mit dem roten Federbusch ließ es nicht zu sie an ihrem Gesicht zu erkennen. Es war das prächtige Krummschwert an ihrer Seite, das sie als Sabina Merrin verriet.
Neben der berüchtigten Schwertkämpferin waren auch die Anführer der anderen Arme Korvosas Militär zugegen. Cressida Kroft in den blutroten Platten der Feldmarschall und Marcus Thalassinus Endrin im schwarzen Waffenrock der Pferdegreifenreiter.
„Die Seuche wurde besiegt!“, erhob Königin Ileosa das Wort.
„Rainer Davaulus gab in diesem Kampf sein Leben. Er war den Königlichen Medikussen ein guter Anführer und Berater gewesen. Der Leichnam des guten Doktors ist bereits auf dem Weg nach Cheliax, um in der Erde seiner Heimat beigesetzt zu werden.“
„Severs DiVri hat seine Höllenritter in ihre Zitadelle zurückgepfiffen. Wie ein Rudel winselnder Hunde, sind sie mit eingekniffenem Schwanz vor der Seuche geflohen!
Doch auch die Schwarze Kompanie und Korvosas Garde muss schreckliche Verluste beklagen. So ordne ich hiermit an, dass der Schutz unserer geliebten Stadt, von dieser Stunde an, der stählerne Schild der Grauen Jungfernschaft sein soll!“
Der Raum wurde von aufgebrachten Stimmen gefüllt. Königin Ileosa erhob sich über die Unruhe mit unbeugsamer Autorität:
„Meine treue Leibwächterin Sabina Merrin selbst, soll als Generälin Korvosas über das gesamte Heer unseres Stadtstaats befehlen. Die verbleibenden Pferdegreifenreiter werden der Garde zugeteilt. Die Schwarze Kompanie wird aufgelöst. Kommandant Endrin, übergebt mir Euer Abzeichen und Waffenrock, ich entbinde Euch hiermit Eurer Aufgaben und Pflichten!“
Das Antlitz des Soldaten spiegelte blankes Entsetzen und vollkommenes Unverständnis wider. Plötzlich riss er sich entschlossen das Abzeichen der Schwarzen Kompanie von der Brust und schleuderte es der Königin ins Gesicht.
Die scharfe Kante des Emblems schnitt eine blutende Wunde in die Wange der Monarchin.
Während der Schrecken die Glieder aller lähmte, zog der Soldat seine Armbrust und legte in einer fließenden Bewegung einen Bolzen ein. „Eure schandvolle Herrschaft endet hier und jetzt! Korvosa soll wieder frei sein!“, brüllte er der regungslosen Arabasti entgegen. Dann betätigte er den Abzug.
Der Bolzen schlug mit dumpfem Aufprall in Königin Ileosas Schläfe ein. Doch sie fiel nicht.
Noch bevor das Blut aus der Wunde ihre Schulter erreicht hatte, riss sich die Monarchin den Bolzen aus dem Schädel und packte Kommandant Endrin an der Kehle. Ihre Finger vergruben sich in seinem Fleisch, während sie ihn langsam anhob. Entsetzt beobachteten die Aristokraten Korvosas wie die Füße des Soldaten verzweifelt nach festem Boden strampelten, bevor die Königin mit einem mächtigen Stoss seinen eigenen, bluttriefenden Bolzen zwischen die Augen des Kommandanten rammte.
Ileosa ließ den Toten wie einen nassen Sack auf den kalten Marmorboden fallen, während sie in einer makabren, majestätischen Bewegung sein Blut von ihrer Hand schüttelte.
Mit klarer, fester Stimme verkündete sie: „Dies soll das Schicksal aller Feinde Korvosas sein! Gedenkt seinem Tod! Es ist nur der erste!
Als Panik unter den Anwesenden ausbrach, trat der Seneschall Togomor an die Seite der Königin. Während Sabina Merrin ihren schwarzen Krummsäbel zog und Befehl zum niederschlagen des Aufruhrs gab, verpufften der Magier und Ileosa, als wären sie niemals dagewesen.