Spätabend des 4.Flamerule 1373TZ 21:07:48 Baldurs Tor – Innenbereiche der Taverne „Zum Schiffsbruch“
Sommer, endlich war es Sommer. Die schönste Zeit des Jahres, voller grüner, saftiger Wiesen, voller Wildblumen, der Geruch von frischem Gras in der Nase und die Natur zeigte sich dauerhaft von ihrer schönsten Seite. Zumindest war dies die Vorstellung, welche man seit jeher von einem Sommer in den Herzlanden hatte. Gerade der Halbling Tamanar kannte diese lauen und schönen Tage am besten von allen Abenteurern, welche sich auf die Reise in die Stadt Baldurs Tor gemacht hatten, um diesen merkwürdigen Geist aufzusuchen. Und sicherlich mag er nach dem kühlen und wechselhaften Frühjahr, Zwillingsherz, dem zwergischen Krieger, die schöne Sommersonne der Herzlande gepriesen haben, welche nicht nur die Natur, sondern das Gemüt eines jeden Wesens erhellte.
Doch das Wetter hielt nicht viel von diesen Schwärmereien und es hatte sich nicht das erhoffte Bild fröhlicher Einwohner gezeigt, ebenso stieg nicht der Duft der blühenden Natur in die Nasen der Abenteurern. Es schlug Kapriolen, welche genauso rätselhaft waren, wie dieses mysteriöse Gewitter in der Nähe von Sundabar, welches nicht an fahlgrünen Blitzen sparte und den Recken einen anhaltenden Schauer über den Rücken jagte. Eine Nacht, welche unmöglich in Vergessenheit geraten konnte aufgrund der merkwürdigen Ereignisse und Verwundungen.
Die Abenteurer hatten ihre Reise in der Zitadelle des Emerus Kriegskrone angetreten. Sie waren eine ganze Hand voll gewesen. Der Luftgenasi aus Calimshan, welcher sich selbst Cephyron nannte und ein aufstrebender Mann arkaner Künste war; der gnomische Wanderer und exzentrische Hexenmeister Gramir Knäulbart, welcher der Gruppe seit der Schlacht um Felbarr folgte; der Flammenkrieger aus Tay, welcher sich Thargosz nannte und mit seinem dunklen Wesen die Gruppe entzweite und doch eine der herausragenden Gestalten in der Schlacht war. Dieser aufstrebende Mann, welcher Kossuth und Tempus gleichermaßen seinen Respekt und seine Verehrung zollte, war ein Streitpunkt seit jeher gewesen, weshalb die Abenteurer in zwei Gruppen aufbrachen. Die erste Gruppe wurde von bereits genannten besetzt, doch der Halbling Tamanar Schattenfuß konnte sich nicht mit den moralischen Ansichten und der zweifelhaften Logik der anderen anfreunden, weshalb er beschloss, zu einem späteren Zeitpunkt aufzubrechen. Der zwergische Axtkämpfer Zwillingsherz war bei dem Halbling geblieben, damit dessen Reise angenehmer und sicherer wurde.
Beide Gruppen hatten dasselbe Ziel, Baldurs Tor erreichen. Doch in einer wundersamen Nacht waren sie während eines plötzlichen Sturmes angegriffen wurden von jenen Monstren und Wesen, denen sie sich schon in Felbarr stellen mussten: Orks und Drow. Ihre Waffen und ihre erworbene Erfahrung erwies jedoch als kostbar und so besiegten sie ihre Feinde ein weiteres Mal, doch Cephyron und Zwillingsherz wurden an unterschiedlichen Orten von mysteriösen Pfeilen verwundet, welche ein Leuchten an den Wundstellen entfachte, welches dem fahlgrünen Leuchten der Blitze in dieser Sturmesnacht glich. Und es war noch mehr der merkwürdigen Wunder, regnete es doch Asche in Massen. Erlebnisse, welche kaum mit dem Verstande zu fassen sind, brachen über die Abenteurer hinein, doch sie meisterten diese Hürde und überlebten.
Ihre Reise würde sicherlich noch viele Wendungen nehmen, welche überraschend und bedrohlich zugleich sein mochten. Etwas verband diese Abenteurer und ihre Geschicke, obwohl sie sich so unähnlich waren, dass normale Umstände ihre gegenseitige Gesellschaft kaum dulden würden und könnten. Nur die wenigsten hatten bereits darüber gesprochen, doch es waren ihre Visionen, welche das brüchige Band zwischen ihnen spannten und es würden die Schlachten und Abenteuer zeigen, ob sie diesen Aufgaben gewachsen waren oder nicht. Ob das Band ehern werden würde, oder zerreißen. Ob man sich daran klammerte oder die notdürftigen Knoten des Verbundes mit dem Schwert zerteilen würde. Fragen, die nicht leicht zu beantworten waren, denn es gab auch jene mit Visionen, die starben oder verschwanden. Wie Tungabor, welcher seinen Streit mit Thargosz mit scharfen, zumindest tödlichen, Waffen ausfocht und dafür mit seinem noch jungen zwergischen Leben bezahlte, an einem Tag, an dem noch viele Zwerge vor Felbarr sterben sollten. Oder wie Nagiko, eine Samurai aus dem fernen Kara-Tur, welche von der Vision getrieben zur Gruppe stieß, nur um ihr Leben für Borundar, dem Gelehrten des Steines, zu opfern, um den Zwergen vor dem einstürzenden Berg zu bewahren. Sie war seit diesem Tag verschollen.
Und auch Gramir Knäulbart hatte den Hauch des Todes gespürt, als er die zerstörerische Kraft einer Staubexplosion in den Minen oder Felbarr unterschätzte und durch sie sein Leben verlor, nur um wenig später von den Zwergen, die er vor dem Untergang bewahrt hatte und durch den Segen des Schmiedegottes wieder von den Toten aufzuerstehen. Er darf seine Vision weiter verfolgen und sich ihr entgegenstellen oder sie zur Erfüllung bringen...
Und dann gab es noch jenen, den sie nicht kannten und der sie nur des Namens nach kannte. Der auch eine Vision erhielt, doch ihr Ausmaß noch nicht erahnen konnte. Es war Tarator Do’Urden, ein Dunkelelf, welcher nach den Abenteurern im Namen des Geistes ausschauen halten sollte. Doch was dies alles zu bedeuten hatte? Die Oberwelt war verwirrend für den jungen Dunkelelfen und schlimme Tage mochten ihm noch bevorstehen, hatte die Gruppe doch mit Lykius, dem infernalischen Drow bereits einen Verräter ihn ihren Reihen gehabt, mussten sie sich in Felbarr wieder und wieder den Angriffen der Dunkelelfen erwehren und auch in der Folgezeit gegen einigen von ihnen mit Schwert und Magie in den Kampf ziehen.
Aber auch er hat solch eine merkwürdige Verwundung erhalten, auch er hat dieses Unwetter gesehen und es regnete Asche in seinem Zimmer.
Welche Chance gäbe es auf Verbrüderung? Denn Tarator war ein Mann der Spinne...
Tarator musste lange warten, sich sehr gedulden, beinahe anderthalb Monate wartete er auf ein Zeichen, lebte in den Niederungen Baldurs Tors und forschte nach, wer seine Angreifer gewesen waren, doch kein Zeichen ließ sich finden, nicht mehr als lose Fäden, die stets irgendwann abrissen. So saß er nun in der Taverne „Zum Schiffsbruch“, wie er es so häufig tat, um sich nicht dem widerwärtigen Sonnenlicht auszusetzen. Der Schiffsbruch war eine Spelunke, welche ihren Namen reichlich verdiente. Dicht am Wasser erbaut, stand dieses windschiefe Holzkonstrukt, welches dem Wind und an manchen Stellen an schlechten Tagen auch Wasser Einlass gewährte. Nicht mehr als zwei Duzend zerstreute Stühle standen um einfache Tische, welche voll mit Ritzereien und Stellen waren. Manche Stühle waren mehrfach ausgebessert wurden, nachdem ihre ursprüngliche Form ein unrühmliches Ende an einem Kopf eines Kunden gefunden hatte. Viele dieser Stühle würden einen gerüsteten Zwergen, Menschen oder Ork mitnichten halten, aber solch wohlhabende Gesellen, welche sich eine eigene Rüstung leisten konnten, saßen auch nur selten im Schiffsbruch. Und wenn, dann hatten sie meist sinistre Dinge im Sinn. Sie wurden hier nie gestört. Auch Tarator wurde nie gestört, er war dunkelhäutig und führte einen Krummsäbel. Das führte durchaus zu anmaßenden Sprüchen und rüden Beleidigungen, welche Tarator allerdings mit wenig feinen Tritten und Fausthieben gebührend erwiderte. Bereits nach einer Woche Leben in diesem Schuppen hatte sich der Dunkelelf genügend Respekt verschafft, sodass man seine Kreise nicht weiter störte. Er lebte nun schon eine Weile hier und war nach einer Woche in einem dauerfeuchten Dachzimmer in den trockenen Keller umgezogen, in welchem es nicht nur weniger nass, sondern vor allem auch schön dunkel war.
Diesen Abend saß er wieder am Tresen und wartete darauf, dass jene Gestalten kamen, welche ihm vom Geist eingetrichtert wurden. Die Tür quietschte in den Angeln, es zeigte sich die Außenseite der Tür, welche voller Grünspan war, weil sie dauernd feucht war. Es waren diesen Abend schon zwanzig Gäste gekommen, welche sich dem günstigen Kartoffelschnaps hingaben, es war wahrscheinlich, dass es wieder nur solche abgebrochenen Wesen wären, die es nicht zu mehr gebracht haben als minderwertige Spelunkenbesucher zu sein, Tag ein, Tag aus. Aber wer konnte es schon wissen, vielleicht waren es doch die erwarteten Personen...
Eure Reise war fast als angenehm zu bezeichnen. Zumindest hätte man dies tun können, wäre man ein Ilmaterpriester gewesen und würde für jeden Tag der Erschöpfung, der Schmerzen und des Ärgers die Illusion geschenkt bekommen, dass man anderen mit seinem persönlichen Leid geholfen hätte. Cephyron hatte es am schwersten erwischt und aufgrund seiner unglücklichen Verletzung im Knie konnte er weder schnell laufen, noch konnte er außergewöhnlich lange reiten, sodass die Zeit, welche ihr das Wegschenken des Ponys, welches Gramir ritt, gewonnen hattet, alsbald wieder verschenkt war. Und dann das grüne Leuchten, welches nie zu schwinden schien, aber auch keine Beeinflussung darstellte. Aber es war unheimlich, wenn es des Nachtens pulsierte und kaum zu verbergen, da es selbst durch einfache Kleidung durchschien. Es musste schon außergewöhnlich dicke Kleidung sein, um das Leuchten zu verbergen. Doch viel schlimmer als das Leuchten und die wiederkehrenden Schmerzen im Kniegelenk des Genasis war dieser ewige Regen, welcher einsetzte, sobald ihr die Moore des Nordens erreicht hattet. Und es regnete, und regnete. Gerade Thargosz war sichtlich genervt vom ewigen Regen, welcher sein heißes Gemüt nicht zu kühlen vermochte. Aber die Reise an sich war ereignislos. Wenige Händler waren auf den Straßen. Und alsbald hattet ihr Baldurs Tor erreicht, eine lange Reise auf den Beinen und auf Pferden nahm eine Ende, als ihr am Abend des 4. Flamerule das Tor passieren konntet und endlich Baldurs Tor erreicht hattet.
Auch die Reise des Halblings und des Zwergen war nicht sonderlich spektakulär, doch die Einschätzung des Halblings zum schönen Sommer in seiner Heimat sollte sich als falsch erweisen. Alles, was er aus seiner Heimat gewohnt war, schien der Gewohnheit zu spotten. Es regnete in Strömen, jeden Tag und es grenzte sogar an ein Wunder, dass ihr trotz des ewigen Reisens von keinen alltäglichen Krankheiten geplagt gewesen wart, abgesehen von wunden Innenschenkeln und Rückenschmerzen und so manchem Krampf in den Beinen.
Diese Schmerzen waren nichts im Vergleich mit den Schmerzen des Landes. Tamanar sah dies ganz deutlich, die vielen toten Felder, auf denen aufgrund des ewigen Regens in diesem Jahr nichts gedeihen wollte. Er sah abgemagerte Kinder auf seinem Weg, deren Gesichter schmutzig und deren Augen verweint waren. Und sie spürten es am eigenen Leib. Das Überleben war teuer geworden, denn die Felder waren tot, die Getreidespeicher leer und es war den Segnungen seines Gottes, Brandobaris, zu verdanken, dass sie auch eigentlich verdorbenes Essen noch zu sich nehmen konnten. Die Melancholie und das Stöhnen des Landes war überall zu hören und viele Ortschaften mussten umritten oder umlaufen werden oder wurden gar von Flussschiffen nicht angefahren, weil dort Krankheiten ausgebrochen waren. Das Land ächzte unter der beginnenden Hungersnot und die folgenden Krankheiten würden es weiter auszehren, wenn Lathander nicht alsbald Mitleid mit den Herzlanden hatte und die Milde seiner Sonne die Oberhand gewann.
Nach dieser langen und enervierenden Reise, in der Zwillingsherz Leuchten nicht endete, ihn jedoch auch nicht beeinträchtigte, hattet ihr endlich Baldurs Tor erreicht.
Jeder, der in Baldurs Tor verweilte oder es bereiste, wurde von den Torwachen gewarnt, denn die Zeiten waren hart und unnachgiebig.
„Wanderer, seid gewarnt! Haltet eure Finger still, sofern ihr Hunger habt und betet um Besserung. Der Tempel des Ilmater mag euch das Nötigste geben und mit einer Münze mögt ihr einen Teil der harten Vorräte dieser Stadt erwerben. Doch seid auch vorsichtig, denn die Hungernden lauern. Doch lasset auch Milde mit ihnen walten, die wenigsten können etwas für diesen Hunger.“
Nachdem ihr alle eure Münzen zusammengehalten hattet, erreichtet ihr die Taverne „Zum Schiffsbruch“ und tratet ein. Erstaunlicherweise beinahe zeitgleich waren beide Gruppen in der Taverne eingetroffen und konnten sich ein Bild des Hauses machen. Ein altes Haus, welches zwei Stockwerke hatte mit niedrigen Decken, welche knapp unter zwei Metern hoch waren, präsentierte sich in einem erbarmungswürdigen Zustand. Es war ein Holzhaus, dessen Bretter große Fugen aufwiesen, durch welche der Wind Einlass fand. Die dem Meere zugewandte Westseite des Hauses, in welcher die Eingängstür eingelassen war, wies starken Bewuchs durch Grünspan auf und schien an manchen Stellen langsam morsch zu werden, das Schild der Spelunke war kaum erkenntlich, nur das zerstörte Schiff darauf gab einen groben Hinweis darauf, dass es der Schiffsbruch war.
Im Inneren sah dieses Bild nicht viel besser aus. Zerstreute, einfache Holzstühle standen überall in dem Innenraum verstreut, welcher bestimmt keine 40m² groß war. Es gab auch keinen eigentlichen Tresen, aber ein älterer Herr hatte drei Tische zusammengeschoben, auf denen er eine Art Auslage für einfachen Alkohol hatte. Er hatte kleine braune Knopfaugne und kniff diese weit zusammen, als könnte er euch kaum noch erkennen. Das Alter hatte ihn stark gebeugt und seine einfache Leinenkleidung war dreckig und abgewetzt. Seine Haare waren ihm vor Jahren gewichten, denn er war bestimmt um die siebzig oder achtzig Jahre alt. Vor seinen Tischen saß auf einem Stuhl ein Dunkelelf, welcher in die Richtung der eintretenden Abenteurer schaute.
Der ältere Herr schien dann doch sehr verwundert über diese große Gruppe von bewaffneten Wesen und bemühte sich hinter den Tischen hervorzukommen, um eine Verbeugung anzudeuten.
„Meine Herren, meine Herren. Willkommen in meinem bescheidenen Heim. Ich kann euch wohl noch Zimmer anbieten, jedoch keine Küche. Ihr habt es vielleicht gehört, aber Essen ist rar. Tut mir leid. Doch Schnaps habe ich wohl und reichlich!“
Mit seinen kleinen knotigen Finger zeigt er auf seine Auslage, auf der noch fünf klare Flaschen standen, welche eine klare Flüssigkeit hielten. Er versuchte freundlich zu lächeln, aber aufgrund der Umstände gelang es ihm nicht sonderlich gut. Die anderen Besucher der Spelunke zogen sich in die äußersten Ecken des Raumes zurück, eine solch große, wohl genährtere Gruppe schien ihnen suspekt, weshalb sie lieber Abstand hielten.
Von Baldurs Tors wohlgerühmter Gastfreundlichkeit war in diesen Tagen nicht viel zu spüren. Aber immerhin war es in diesem Loch trockener als draußen und es gab zwei Gewissheiten. Ihr alle hattet den Weg nach Baldurs Tor gefunden und überlebt. Jetzt müsste nur noch dieser Geist auftauchen...