Vurna beobachtet den Zweibeiner nun schon eine ganze Weile.
Er hat sich vor etwa einer Stunde zur Ruh gelegt, nachdem sie ihm ein paar Meilen gefolgt ist. Seine staubigen, zerlaufenen Stiefel und die zerschlissene Stammeskleidung markieren ihn deutlich als Einwohner der Steppen, die sie seit bereits so vielen Wochen durchstreift. Er wirkt, als sei er ebenso lange auf Reisen.
Sein Lagerplatz ist geschickt gewählt, direkt im Windschatten eines großen Felsens und nah einem Akazienstrauch, der auf Grundwasser schließen lässt. Vor sich hat er einige Steine angehäuft, damit seine Körperwärme möglichst gut in der Kälte der Nacht gespeichert wird. Er hat sogar daran gedacht, eine kleine Kuhle für das morgendliche Tropfwasser auszuheben.
Seine Gestalt ist das, was sie an ihm fasziniert hat. Zwar trägt er menschliche Züge, zum Beispiel sein energischer Gang und das zerzauste Kopfhaar, aber auch eindeutig Orkisches, etwa sein grünlicher Teint oder sein leicht vorgeschobener Unterkiefer. Er riecht nach beidem, vermischt mit einem strengen Raubtierduft.
Was er mitten im Nirgendwo sucht, weiß sie nicht. Angesichts ihres leeren Magens und fehlender Zeugen wäre er eine willkommene Mahlzeit, gäbe es da nicht jene gepanzerte Monstrosität, auf der er so selbstverständlich geritten ist und die nur Schritte von ihm entfernt zusammengerollt liegt.
Vurna kannte solche Kreaturen bisher höchstens als Zwischenmahlzeiten, die unter kleinen Felsen zu finden sind. Wenn man auf ihren Stachel achtgibt ist es ein Leichtes, sie zu fangen und zu verspeisen. Leider schmecken sie nicht besonders gut.
Dieses Exemplar jedoch ist ungleich größer, mindestens so lang wie ein Leopard und seinem Aussehen zufolge doppelt oder dreifach so schwer. Seine Scheren dürften stark genug sein, einen kleinen Baum zu entzweien. Der gekrümmte Dorn am Ende seines Schwanzes stellt jede Klinge in den Schatten, die sie in ihrem bisherigen Leben sah.
Beide Monde stehen am Himmel, umrahmt von dem unnachahmlichen Panorama der Sterne. Der Wind lässt sich die Halme um sie herum wie in einem eigenen Reigen wiegen. Es ist still in der Steppe, nicht gerade optimal für ein Anschleichen.
Langsam wird es kalt in ihrem Versteck zwischen den Gräsern. Sie muss sich entscheiden, ob ihr Hunger wichtiger als Vorsicht ist oder nicht. Eine derartige Mahlzeit könnte sie tagelang ernähren. Umweit der Wüste herrscht nicht gerade Überfluss.
So weit fort von ihren Artgenossen war sie noch nie, nicht einmal während des Weißen Marschs, der sie so nachhaltig prägte. Es ist schwer, sich so radikal umstellen zu müssen, um überleben zu können. Der Mangel an Wasser und Nahrungen sind im Seidenwald ebenso unbekannt wie extreme Temperaturschwankungen.
Sie ist in der Tat fern der Heimat.