Autor Thema: Ic - Worte sind Schall und Rauch  (Gelesen 7912 mal)

Beschreibung: Massouds einsamer Weg

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Massoud

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Ic - Worte sind Schall und Rauch
« Antwort #15 am: 29.07.2010, 23:21:02 »
Massoud atmet schwer, zu schwer, es brennt und sticht in seiner Lunge, in seinen Seite. Mit einiger Mühe schafft er es, den Rücken durchzudrücken, um richtig durchatmen zu können. Er blickt sich um und streichelt sowohl Gardekat als auch Yal mit einiger Ausdauer, während er sich und seine Gefährten zu Luft und zur Ruhe kommen lässt. "Aber nicht zu lange ruhen, Freund der Sonne."
Alleine die Sonne verhindert, dass die Muskeln kalt und der Körper alsbald schlaff wird, dennoch benötigen sie einen Moment der Rast, welchen der Wór damit nutzt, sich und seine Gefährten mit seinem ausgiebigen Wasservorrat zu versorgen. Gleichwohl hält er die Versorgung relativ knapp und leidet nicht unter Verschwendungssucht. Zu gut ist ihm bewusst, dass er das Wasser noch benötigt und sie ein paar hundert Meter Strecke wieder aufholen müssen. Nichts, was sie nicht schaffen würden, dessen ist sich Massoud bewusst.

Massouds Stimme beginnt sich zu regen, vermag sie im Moment keine Worte zu sprechen, zumindest spürt sie keinen Drang danach, summt der Wór doch eine kleine, kurze, sich stets wiederholende Melodie. Yal hat er diese Melodie stets vorgesummt, wenn die Echse etwas störrisch gewesen ist, oder wenn sie unter großen Stress reisen mussten. Das ist nun der Fall, weshalb er sich einen Moment der Melodie hingiebt und Gardekat in dem Busch liegen lässt.
Die beleidigende Verniedlichung ist an Massoud abgeprallt, diese Vettel hat sich ihrer Lust ergeben wollen und will es, ihrer Androhung nach, noch immer. Etwas, was zu befürchten ist und das gebrannte Kind mit in seine Überlegungen einbezieht. "Sie ist ein Wesen der irrsinnigen Lust, so pervers diese auch sein mag, deswegen kann sie die Gabe der Sprache nicht schätzen.", stellt Massoud fest, während sein Summen langsam verstummt. "Sie ist getrieben vom Hunger, getrieben von ihrer Liederlichkeit und Unzucht, verborgen im Körper einer alten Hexe. Aber sie kann ohne Frage ihre Klauen einsetzen, viel Kraft, wenig Technik, pure Gier.", obgleich das gebrannte Kind nur drei versuchte Angriffe erlebt hat und einmal beinahe folgenschwer getroffen worden ist, versucht er sich über ihren Angriff gewahr zu werden und ihn Stück für Stück zu rekonstruieren. Wenn er ihr tatsächlich nochmal begegnen sollte, muss er vorbereitet sein. "Sie zügelt sich lange genug, um überraschend angreifen zu können. Überraschung, unmenschliche und unerwartete Stärke, ihre Verkleidung."
Massoud weiß, dass er vorbereitet sein muss, aber auch, dass er nicht übermäßig verbissen oder ängstlich wegen eines möglichen Wiederauftauchen sein darf. Es würde ihm wichtige Kraft und Energie kosten, zu wachsam zu sein. Definitiv wird er bei weiteren Wanderern und Opfer deutlich vorsichtiger sein, ihnen die Hilfe jedoch auch nicht verweigern. Niemand hat es verdient in der Hitze zu verdorren oder mitten in der Wüste an Wundbrand zu sterben. Er hat er alten Hexe geholfen und soll sein einziger Lohn sein, dass sie ihn töten will, dann wird Massoud den Zeitpunkt finden, an dem er ihr überlegen ist. Der Zeitpunkt, an dem sie Staub schlucken und dann an ihrem unheiligen Blut ersticken wird, ist unausweichlich, sollte sie ihm folgen. "Ich will und werde nicht an einer lüsternen Vettel zugrunde gehen."

Als Massoud meint, dass er kein Feuer mehr atmet, drückt er den Rücken nochmal ordentlich durch und ermuntert seine Gefährten sich nochmals aufzurappeln. Er deutet nach Norden und geht dann langsam los, damit seine Gefährten aufholen können, Gardekat setzt er dabei auf den Rücken Yals. Der Wór reguliert das Tempo so, dass Yal keine Probleme mit der Last und der Reisegeschwindigkeit hat, versucht allerdings nicht zu viel Zeit zu vertrödeln. Er will nach Norden reisen, bis er glaubt, dass die Vetula ihn nicht mehr sieht und zieht dann wieder gen Küste. "Ernst stehen die Dinge nur, wenn du deine Gedanken laut äußern musst. Erst dann, wenn eine Situation es wirklich verlangt, ist es eine Notwendigkeit Worte zu gebrauchen, vorher sind sie nur Schall und Rauch, versuche der inneren Stille oder dem inneren Gesang zu entfliehen. Nichts mehr als eine Versuch das Unvermeidliche hinauszuzögern, sich selbst verstehen zu müssen." Der Löwenmensch rechtfertigt seine Wortkargheit und Selbstdisziplinierung mit einer Phrase, die er in ähnlicher Form bei den Goliath einst gehört hat, und ist trotz seiner Flucht mit dem Ausgang des Kampfes zu frieden, schließlich hat sie ihn von ihrer Kraft her auch töten können. Mit zwei, drei schnellen Bewegungen hat Massoud seine offene Mähne wieder gebändigt und dem Irokesen folgt wieder ein ordentlicher Zopf, der wie eigentlich immer über der linken Schulter baumelt und auf seine Rüstung fällt.
Sein Blick fällt immer wieder auf den rückwärtigen Horizont, ob die Vettel dort bleibt, wo sie zurückgeblieben ist und ihnen nicht folgt[1]. Mit einem Fingerschnipsen verlangt er dasselbe von Gardekat, dessen Faulheit sich alleine dadurch legen sollte, dass er eben um sein Leben fliegen musste.
So setzen sie angestrengt, ermattet und doch relativ unbeschadet und vor allem lebend ihre Reise fort. Der Wór schaut dabei, ob es auf dem Untergrund notwendig ist, seine Spuren zu verwischen. 
Die Hitze brennt, doch Massoud ist, was das Reisen angeht, unbarmherzig sich selbst und der arbeitsamen Echse gegenüber. Sie sind das Leben in der Steppe einfach gewohnt.
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Ansuz

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Ic - Worte sind Schall und Rauch
« Antwort #16 am: 31.07.2010, 15:24:23 »
Gardekat braucht etwas länger als sein Schützling, um sich von den Strapazen der Flucht zu erholen. Auf das Schnippen reagiert er zunächst gar nicht. Bevor er sich zu einem unwilligen Murren herablässt, hat Massoud längst seine Mähne gebändigt, sich umgesehen, von Yals Wohlbefinden vergewissert und den Horizont mit den Augen abgesucht. Mit etwas Schwung rollt er sich aus dem Strauch, plumpst ins hohe Gras und verschwindet für einen Moment zwischen den Halmen. Größer als ein Murmeltier ist er nicht, sodass er völlig darin verschwindet.
Leises Rascheln begleitet sein Weg, der im Erklimmen von Yals Lederharnisch endet. Aufgrund seiner zahlreichen Dornen, dem wulstigen Schwanzstachel und seiner Hörner mag er recht schwer aussehen, wiegt aber tatsächlich kaum mehr als das bereits erwähnte Murmeltier. Dementsprechend hurtig hat er wieder seine hoheitsvolle Gönnerpose auf dem vorderen Teil des Sattels eingenommen. Fast wirkt er wie eine Miniaturversion seiner mächtigen Vettern.
Wachsam lässt er den Blick über die Steppe schweifen. In der Ferne bewegt sich eine Herde Büffel, auf die er mit einem Zirpen aufmerksam macht. Wo Tiere sind, gibt es auch Wasser.
Sonst scheint ihm nichts Beunruhigendes aufzufallen. Noch vor zehn Minuten erging es ihm ähnlich. Das hätte dem alten Krieger fast sein Leben gekostet. Gardekat mag viel wissen, doch ist er ebenso fehlbar wie jedes andere Lebewesen.
Massouds Brust fühlt sich an, als habe er einen Schlag von Kaloukava Felsenbrecher selbst aushalten müssen. Bisher war die Kriegerin die stärkste Person, sieht man einmal von wütenden Ogern ab, der er je gegenübertrat, zu seinem Glück nur infolge einer Übung. Sie war bekannt dafür, mit der blanken Hand Stein entzweien zu können, als handle es sich um morsches Holz. Diese grässliche Vettel wäre dazu auch fähig. Ihre Krallen haben tiefe Spuren in den Lamellen seines Lederpanzers hinterlassen.
Er hat von diesen Kreaturen gehört; es soll sich um böse Geister handeln, die im Schutz Elegias durch die Nacht schleichen und dort ihre finsteren Rituale abhalten, um Vieh und Wór zu schaden. Angeblich verhöhnen sie dabei die Götter und suchen nach Wegen, ihnen die Gunst ihrer Jünger zu nehmen.
Offenbar ist es eine Fehlannahme, sie auf eine Tageszeit zu beschränken. Wie zu beweisen war, sind sie durchaus auch am hellichten Tag aktiv. Die Sonne vertreibt die Nacht, doch keine Maskierung.
Ob sie Spuren lesen können weiß er ebenso wenig wie er das Ausmaß ihrer Kräfte kennt. Anhand ihres Aussehen lässt sie sich offensichtlich nicht bewerten. Das wäre kurzsichtig und dumm, besonders nach ihrer geglückten Scharade. Täuscher sind ihm nicht fremd; dass sie nach Belieben die Gestalt wechseln können schon.
Ein fragender Blick zu Gardekat beschert ihm keine tieferen Einsichten. Der Pseudodrache wirkt etwas beschämt, hütet sich aber davor, es allzu offen zu zeigen. Stattdessen mustert er die Fährte, die Yal hinterlassen hat. Die zertrampelten und beiseite gedrückten Gräser bilden eine deutliche, lange Spur, die die Vettel direkt zu ihnen führen dürfte, sollten sie sich nicht weit genug entfernen oder weiterhin derart schnell bewegen.
Es liegt an Massoud, wohin der Weg nun führt.

Massoud

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Ic - Worte sind Schall und Rauch
« Antwort #17 am: 07.08.2010, 09:48:44 »
Massoud verlangsamt seinen Schritt auf eine annehmbare Geschwindigkeit, welche ihn nicht übermäßig erschöpft und gönnt Yal, Gardekat und sich damit etwas Ruhe und Entspannung. Der Schock des Aufeinandertreffens mit der Vettel hat sich inzwischen gelegt, jedoch auch das Adrenalin des kurzes Angriff und der Flucht. Der Schmerz des Schlages der Vettel macht dem Wór jetzt deutlich mehr zu schaffen, weshalb er etwas gebeugt geht, weil er versucht die betroffene Stelle etwas weniger zu belasten. Massoud hat viele Wunden in seinem Leben erhalten, sowohl körperlich als auch seelisch, doch an Schmerz kann man sich glücklicherweise niemals gewöhnen. Trotzdem entlockt es Massoud fast ein Lächeln, würde er im Lächeln einen tieferen Sinn sehen. So brummt der Wór nur für einen Moment und verfällt dann wieder in ein Schweigen und hält sich die schmerzende Stelle. Er weiß, dass die Spuren deutlich sind und dass sie schneller reisen müssten, doch er nutzt diesen Moment, in dem er sich um die drohende Gefahr keinerlei Illusionen machen kann, um sich wieder zu konzentrieren. Für die wenigen Wesen, mit denen Massoud in seinem Leben überhaupt mehr als eine handvoll Worte gewechselt hat, ist es häufig unbegreiflich gewesen, warum Shabani diese Momente so sehr preist und nur selten ist es dem Wór gelungen, die Bedeutung dieser gefährlichen Momente anderen begreiflich zu machen, weshalb er über dieses Thema schon seit über eine Dekade schweigt, doch er selbst kennt die Bedeutung noch immer.
Es sind Augenblicke der absoluten Klarheit und des Vorwissens, welche die Undurchdringlichkeit der Zukunft und die Angst davor dämmen können. Es sind Momente, in denen die Angst vor der Unendlichkeit, vor allem vor der scheinbaren Unendlichkeit der Möglichkeiten, was alles passieren kann, der Klarheit und der Erkenntnis weicht. Es sind Augenblicke der Lust, denn in ihnen kann man gewisse Vorgänge erkennen und die Unendlichkeit zu einem greifbaren Horizont schrumpfen lassen, und wenn man sich dieser Lust des Geistes und der Sinneseindrücke hingibt, kann man diesen Horizont gar noch verkleinern und für spezielle Vorgänge erkennen, was die Zukunft für einen bereit halten mag. Die Wór bezeichnen diesen Vorgang als "Sehenden Geist" und preisen ihn seit jeher, denn er bezeichnet das besondere Können aus weissagenden Träumen oder anderen Arten der Prophezeiung das Notwendige und das an sich Unerkenntliche zu erkennen und dieses zu nutzen. Es beschreibt auch die Fähigkeit, die Zukunft zu erkennen und sie so nach seinen Vorstellungen gestalten zu können. Obgleich einem jeden Wór dieses Können fragmentarisch gegeben ist, beherrscht nur der Seet diese Kunst vollständig.
Massoud ist sich bewusst, dass sein eigener Geist, sein Verstand, die meiste Zeit blind durch die Welt irrt, geblendet von den vielen Eindrücken und Möglichkeiten des Lebens und des Todes, doch nun genießt er die Lust, die er daran empfindet, dass die deutlichen Spuren und die Verzögerung ihrer Reise das Handeln der Vettel beeinflussen können und er erkennen kann, welche Dinge nun wahrscheinlich passieren werden. Er hat Einblick in die Vorgänge der Zukunft erhalten und kann somit die Zukunft mitgestalten. Es ist keine weltverändernde Erkenntnis, welche der Löwenmensch erhält, sie beeinflusst nichts von schierer Größe, aber sie gibt ihm die Sicherheit und Konzentration, welche er zum Handeln benötigt.

Gedanken an den Tod beschäftigen den Löwenmenschen auf seiner weiteren Reise, welche die drei jetzt weiter in Richtung des Meeres fortsetzen. Es ist nicht seine eigene Verwundung, denn diese wird heilen, die ihn unmittelbar an das Ende seines sterblichen Lebens denken lässt, es ist vielmehr der Traum, welchen er gehabt hat. Er fragt sich, ob ein Ausbruch seiner Wut ihn selbst in den Untergang führen wird, er fürchtet sich davor. Massoud fährt sich grübelnd über den Bart, sein Blick ist unglücklich, fast ein wenig leer, während Yal ihn inzwischen schon wieder tragen muss und das Tempo wieder etwas zugenommen hat.
"Zu meinem Tode gebe ich Dir diesen Schatz: das Wissen darüber, dass das Leben hart ist und schon zu früh endet.", ein traditioneller Satz aus den Weisheiten der Wór, welche bei weitem nicht so lange leben dürfen, wie es der Legende nach die Drachen können, kommt dem Leoniden in das Gedächtnis. Er hat ihn oft gehört und sich immer seiner erinnert, wenn jemand aus seinem Umfeld starb und ihn oft ausgesprochen, wenn er einen besiegten Feind in den Tod geleitete. Das erste Mal hatte er diesen Satz von seinem zweiten Vater Gaalaaj gehört, er hat ihn nie vergessen und wird ihn nie vergessen, obgleich er für einen Krieger ein stolzes Alter erreicht hat. Aber der Traum lässt die Angst vor dem Tod wieder aufleben und da ist noch etwas tieferes, welches Massoud nun im Besonderen klar wird. Es ist gar nicht so sehr die Angst vor dem Tod alleine, es ist die Angst davor, die Welt zu verlassen, bevor man die sich selbst gegebenen Pflichten und Ziele nicht erreicht hat. Es ist schlichtweg die Angst, dass die Zeit nicht reicht. "Das bedeutet es also, den Tod mit Würde begegnen zu können. Zu lernen, dass die Zeit sich nicht nach einem einzelnen Lebenden richtet oder zu lernen, alle Aufgaben zu bewältigen, bevor der Tod einen holt."
Massoud muss an die Küste und das jetzt erledigen, mehr denn je packt ihn die Sehnsucht, seinen ersten Vater zu finden. Aufgeregt packt er Gardekat, damit dieser nicht von Yals Rücken fällt, als der Leonid die Echse etwas antreibt. Innerlich dankt Massoud der Vettel. Die Konfrontation mit dem Alter und dem Tod hat dem gebrannten Kind die Möglichkeit gegeben, sich neu zu sammeln und neues Feuer zu finden. Beschwingt bricht der Löwenkrieger gen Meer auf.

Ansuz

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Ic - Worte sind Schall und Rauch
« Antwort #18 am: 12.08.2010, 20:11:25 »
Eine heiße Bö weht aus der Wüste heran, angekündigt durch die huldvollen Verbeugungen der Gräser. Trocken fährt sie über Massouds Fell, durch seine Mähne und weiter, vielleicht bis zum Meer und darüber hinaus. Niemand weiß, wohin die Winde ziehen. Es könnte durchaus sein, dass es nur eine bestimmte Zahl von ihnen gibt, sie aber überallhin reisen, um Veränderung und Kunde aus fremden Landen zu bringen. Vielleicht hat diese Bö auch seinen Vater gestriffen, ihn ebenso berührt wie seinen Spross und beide durch seine sanfte Berührung miteinander verbunden, unabhängig von Zeit und Raum.
In der Ferne heben die Büffel ihre gehörnten Häupter wie schwarze Teufel, die den heimgekommenen Sohn begrüßen. Er beachtet sie nicht weiter. Der Schmerz in seiner Brust ist Ablenkung genug, ein Mahnmal der Folgen unüberlegten Handelns, wie es ihn während seines Lebens schon oft überkam. Obwohl die Steppe ebenso weit, wild und frei wie das Hochland ist, lauert viel Unbekanntes zwischen den endlosen Gräserwogen, vor allem an lebenserhaltenden Stätten wie Wasserlöchern. Es mag klüger sein, sie zu meiden.
Am Horizont beginnt die Sonne tiefer zu sinken, hinab in Gefilde, die kein Wór je sah. Ein zartes Rot breitet sich über seine ganze Länge aus, genau wie am Tag zuvor. Es gibt keinen feststellbaren Unterschied, obwohl viele Stunden zwischen den Ereignissen liegen. Hätte ein Maler gestern sein Werk begonnen, könnte er es nun unbekümmert vollenden. Fast unangenehm, kein verkohltes Holz zu riechen.
Yal wird zunehmend träger. Ihre Energie schwinden proportional zum Versinken der brennenden Scheibe. Sie benötigt Licht wie die Pflanzen, die sich ihm so verzweifelt entgegenstrecken.  Vor allem aber dürfte der Hunger an ihr zehren. Ihre Art verbringt normalerweise die eine Hälfte des Tages damit, sich zu sonnen, den anderen mit der Jagd auf kleinere Säugetiere und Rieseninsekten. Sie brauchen nicht viel, aber definitiv mehr, als Massouds Gepäck zu bieten hat. Sie wird weiterhin schwächer werden, sollte ihr nicht bald Beute gegönnt sein.
Wenigstens hinterlassen sie kaum noch Spuren. Ihnen zu folgen dürfte der Vettel viel Kraft kosten, die sie durchaus sparen könnte. Da er nicht viel über ihre Art weiß ist ihm auch nicht bewusst, ob es sich um gute Fährtenleser handelt. Angesichts ihrer triebhaften Art scheint das unwahrscheinlich. Ihresgleichen mögen Täuscherinnen sein, deren gespaltene Zunge zu manch schnöder Freude verlockt, doch geht ihr Geduld eindeutig ab. Hätte sie sich bis zur Nacht zurückgehalten, wäre ihm der Schlaf zum Verhängnis geworden.
Gardekat ist immer noch ungewöhnlich still, selbst für ihre Verhältnisse. Der Blick seiner katzengleichen Augen streift jeden Halm, als verberge er etwas ungemein wichtiges, das er nicht preiszugeben bereit ist. Ab und an schlägt er erregt mit den Flügeln. Wahrscheinlich nagt es an ihm, derart unachtsam gewesen zu sein, obwohl ihn doch genug Misstrauen erfüllte. Seine Art ist ebenso stolz wie es die Geschlechter der Wahren Drachen sind.
Eigentlich weiß der alte Krieger nicht viel über „Pseudodrachen“, wie sie oftmals abwertend bezeichnet werden. Überhaupt hat man ihm nie viel über die Welt außerhalb der Schlachtfelder und Gruben gelehrt. Seine Lektionen beschränkten sich auf Handwerk und das Wesen seines Volkes und seiner willkürlichen Gesellschaft, deren Führer sich auf ihrer Position ausruhen und mehr damit beschäftigt sind, einander zu misstrauen als zusammen für das Wohl der Rudel zu arbeiten.
Schon lange hat er nichts mehr aus seiner Heimat gehört. Dort dürfte es bereits sehr viel kühler sein als auf der Ebene. Dennoch, auch die Steppe kennt ihre Tücken. Der Boden wird schnell abkühlen, wenn die Hitze nach oben steigt. Bald wird er ein Lager errichten müssen[1], will er nicht nur von Schmerz und Hunger, sondern auch Kälte gebeutelt werden.
 1. Überleben, falls Du einen Unterstand suchen möchtest; ab 15 hast Du etwas Deiner Wahl gefunden

Massoud

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Ic - Worte sind Schall und Rauch
« Antwort #19 am: 16.08.2010, 13:32:25 »
Massoud atmet tief aus und beginnt den Schmerz der Atmung zu genießen, lediglich weil es ihm scheint, als würde er etwas abklingen und dabei schön regelmäßig sein. Der Schmerz hilft bei der Konzentration und dennoch blickt der Leonid sich nur kurz um, ob er eine geeignete Stelle findet, an der sich eine Rast anbietet, nicht wirklich sorgfältig[1]. Und da er auf Anhieb keine entdeckt, entscheidet er sich für eine Nacht auf der offenen Ebene. Mag es kalt sein, vermag es ihn nicht zu stören, beschließt der Wór, denn wozu hat er ein Zelt und eine Schlafrolle dabei. Es wäre bei weitem nicht die erste Nacht, die er auf offener Fläche verbringt. "Und Yal hat sowieso keine Probleme sich anzupassen.", rechtfertigt sich der Leonid vor sich selbst und fängt dann an, seiner Echse die Lasten abzunehmen, damit sie sich ausruhen und hinlegen kann. Dabei schenkt er Gardekat einen aufmunternden Blick, so langsam vergisst Massoud den Ärger darüber, dass sie beide auf die Vettel reingefallen sind.

"Grr, verdammte Vettel!", der Schmerz behindert das gebrannte Kind beim Aufbau des Zeltes, dennoch bemüht sich Massoud darum, seinen Schmerz für sich zu behalten, obgleich es in der offenen Steppe wohl keinen gibt, der sich daran stören wird. Es ist nicht einmal die Angst vor der Vettel, die ihn leise sein lässt, es ist sein eigener Wille. Den Schmerz rauszulassen, es würde dem Tier in ihm nur eine Möglichkeit geben, sich aus dem Gefängnis zu befreien. Ein Moment der fehlenden Kontrolle und alles, wofür Massoud gekämpft hat, würde zu Staub zu verfallen und er wäre nicht mehr der Herr seiner Taten. "Und was ist, wenn du mit dem Hineinfressen des Schmerzes das Tier nur nährst?", kommt dem alten Krieger ein verstörender Gedanke, der ihn bei seiner Arbeit innehalten lässt. Fast sprunghaft erhebt sich Massoud, als hätte ihn ein Tier gestochen.
Massoud wendet sich der wohl inzwischen untergehenden Sonne zu und stemmt die Hände in die Hüften und schließt die Augen, langsam zwingt er den Schmerz wieder mit rhythmischen Bewegungen in ein kontrollierbares Pulsieren. Sein Atmen ist erst laut und wird dann wieder ruhiger, je mehr er sich an den Schmerzpuls gewöhnt. Es verschafft ihm Erleichterung, eine gewisse Kontrolle darüber zu haben, auch wenn er diese nur hatte, wenn er auch in seinen Bewegungen ruhig war. Nachdem er sich wieder unter Kontrolle hat, baut er weiter das Zelt auf.

Der Gedanke lässt ihn nicht mehr los, fördert er seine eigene Prophezeiung nur, wenn er sich ihr komplett verwehrt? Aber wenn er sich gehen lässt, dann wird sie doch zwangsläufig eintreten? So viele Möglichkeiten, ein Teil des Schicksals, über welches Massoud absolut keine Macht hat, anders als bei der Vettel. Mit einem letzten Schlag steht die letzte Verankerung des Zeltes und Massoud wirft beinahe achtlos seine Schlafrolle in das Zelt, um sich alsbald Schlafen zu legen. Mit wenigen Handgriffen nimmt er die schwere Lamellenrüstung ab und freut sich über die Erleichterung, welche ihm das Ablegen der Rüstung verschafft. Langsam streift er das Wehrgehänge ab, legt jedoch den leichten Streitflegel neben sich und streckt sich dann aus. Es war Zeit zu schlafen, die Nacht würde kurz und anstregend genug werden mit seiner Verwundung, die er sich nochmal abschließend anschaut. Eine Prellung vielleicht, vielleicht nicht mehr als ein großer blauer Fleck.
Er schließt die Augen und dennoch will die Müdigkeit ihn nicht übermannen. "Nähre ich das Biest, welches ich hasse, welches mich in Wahn fallen lässt? Habe ich gezeugt, was meine Frau getötet hat? War es doch alles...". Ein Klatschen und Massoud kommt zur Ruhe. Seine Hand ruht an der Seite seines Gesichtes, wo er sich hingeschlagen hat. "Hör auf, das ist lächerlich!"
Massoud legt die Hände auf der Brust zusammen und öffnet die Augen, starrt an die Zeltdecke und atmet wieder solange, bis der Schmerz rhythmisch ist und versucht dann endlich in den Schlaf zu gleiten. Dass er nicht wirklich bewacht ist, stört ihn nicht sonderlich, sein Schlaf würde sowieso nur ein leichter sein.
 1. Survival 7 (natürliche 1)

Ansuz

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Ic - Worte sind Schall und Rauch
« Antwort #20 am: 20.08.2010, 16:39:29 »
Es ist jedes Mal ein seltsames Gefühl, wenn sich der Tartschenkäfer von seinem Handgelenk löst. Schmerzhaft ist es nicht, obwohl seine Nerven eine leise Ahnung beschleicht. Seine Hand beginnt sofort zu kribbeln wie unter einem Ameisenheer, als das Blut wieder ungehindert zu fließen beginnt. Manchmal klammern sich die Tiere so fest an ihren Träger, sodass dessen Schläge ungeschickter  werden.
Das Insekt spreizt die Flügel, stößt sich von seinem Arm ab und verschwindet surrend in der einsetzenden Dunkelheit. In Furias Licht schimmert sein Panzer kurz rötlich, dann ist er im Gras verschwunden. Wahrscheinlich jagt er die Mäuse, die es zuhauf im Boden gibt. Im Hochland fressen sie vor allem kleine Eidechsen und junge Murmeltiere.
Ihre Genügsamkeit ist ein noch größerer Segen als die Härte ihres Panzers. Es gibt genug Bestien in den Fernen Landen, deren Haut ebenso widerstandsfähig ist. Keine von ihnen ist jedoch auch nur ansatzweise so pflegeleicht. Mehr als ein wenig Ruhe brauchen sie nicht, um ihre Aufgabe erfüllen zu können. Nicht einmal Unterstände sind nötig. Kein Wunder, dass sie ausschließlich in Ehren vergeben werden.
Reitechsen wie Yal sind bereits anspruchsvoller, wenn auch nicht launisch wie Krenshar. Sie verschlingt eine ganze Wegration, bevor sie zufrieden scheint. Ihm bleiben größtenteils Trockenfrüchte und gepökeltes Fleisch, für sie ungenießbar. Er wird am nächsten Tag jagen müssen, will er sich weiter die Nahrungsversorgung gewähren. Die kräftezehrenden Tagesmärsche lassen sie weitaus mehr als gewohnt fressen.
einer seiner Wasserschläuche leert sich bedenklich schnell[1], sodass er sich bei dieser Gelegenheit ebenfalls nach einer Quelle oder einem Wasserloch umschauen sollte. In solch trockenen Regionen ist jeder Tropfen eine wertvolle Perle.
Gardekat kann ihm vielleicht dabei helfen, auch wenn er momentan katzengleich zusammengerollt ins Nichts starrt und vor allem erhabenes Desinteresse ausstrahlt. Ein Wunder, dass sich seine Art zu etwas Profanem wie der Jagd herablässt. Um den Zeltaufbau schert er sich herzlich wenig. Dafür inspiziert er die verbliebenen Feigen umso genauer. Er gibt sich nicht einmal die Mühe, sein Schmatzen zu dämpfen.
Wie üblich herrscht Schweigen zwischen ihnen. Massoud wird die äußere Ruhe gewährt, die er braucht, um sie auch in seinem Innern zu spüren. Die einzigen Laute in der Umgebung stammen von den zirpenden Grillen und seinen Begleitern. In der Ferne zieht eine Herde Büffel vorbei, vielleicht jene, die er am Wasserloch beobachten konnte. Vielleicht suchen sie einen der kleinen Haine, die überall in der Steppe verstreut sind, leider mit meilenweiten Abstand zueinander.
Ihm reicht sein Zelt, in das er sich nach kurzem Aufbau zur Ruh begibt. Gardekat nächtigt nah am Eingang, den stachligen Kopf auf seine Klauen gebettet. Er mag entspannt wirken, ist aber in Wirklichkeit äußerst wachsam, wie sein peitschender Schwanz verrät. Es gilt etwas wiedergutzumachen.
Mit leicht schmerzender Brust schließt der alte Krieger die Augen, seine Waffe griffbereit. Es dauert über eine Stunde, bis ihn endlich der Schlaf ins Reich der Träume führt.

Am nächsten Morgen weckt ihn der durch die Zeltplane eindringende Sonnenschein. Der Tartschenkäfer hat sich an die Stützstange geklammert. Von Gardekat ist nichts zu sehen. Wahrscheinlich stillt er seinen Hunger, was das Ausbleiben des Morgenkonzerts der Heuschrecken erklären würde. Yals Schatten ist noch da, wo sie sich niedergelegt hat.
Vor dem Zelt erwartet ihn warme Steppenluft und eine salzige Meeresbö, die von Südwesten heranweht. Weit in der Ferne glänzt etwas weiß wie Gebein, vielleicht eine der berühmten Küstenstädte, die selbst den Kriegsherren der Wór Respekt einflößen. Angeblich soll selbst die kleinste von ihnen größer sein als zehn Dörfer.
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« Letzte Änderung: 20.08.2010, 17:33:59 von Ansuz »

Massoud

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Ic - Worte sind Schall und Rauch
« Antwort #21 am: 22.08.2010, 18:00:26 »
Der Schmerz ist immer noch da, Massoud spürt ihn deutlich und pochend, nicht mehr so angenehm rhythmisch wie noch vor dem Einschlafen. Dennoch wühlt er sich aus seiner Schlafstatt und betastet seine Wunde ein wenig. Es ist inzwischen ein ausgewachsener Bluterguss, den er bei ordentlich Licht betrachten muss, um das ganze Ausmaß des Schlages der Vettel einsehen zu können. Selbst leichte Berührungen spürt der Leonid sofort, der Bluterguss ist also inzwischen in voller Größe. Dennoch fühlt sich Massoud soweit ausgeruht, zufrieden damit, dass die Vetula ihn nicht abermals angegriffen hat. Mühevoll rollt der Wór seine Schlafrolle zusammen und bindet sie danach wieder an seinen Rucksack, bevor nimmt er jedoch noch seine Nahrung an sich, um gleich sich ein wenig zu stärken. Shabani hat zwar nicht immer den Drang, gleich nach dem Aufstehen etwas zu sich zu nehmen, aber sein Magen will an diesem Morgen Wasser und Nahrung. Beim Aufstehen spürt er auch immer mehr den starken Muskelkater, welcher sich langsam gebildet hat. Die kopflose Flucht des gestrigen Tages hat doch seine Spuren hinterlassen und wer kann schon von sich behaupten, dass er jeden Tag kopflos fliehen müsste? Massoud ist froh, dass eine solche Behauptung ihm fern liegt, nur die Wahrheit eines solchen Umstandes liegt noch ferner.
Der Löwenmensch wühlt sich aus dem Zelt und er blickt sich erst einmal ausgiebig um, um dann letztendlich seine eigene Verwundung zu betrachten. Sie hat die angenehme Färbung eines frischen Blutergusses. Die manifestierte Erinnerung an das Aufeinandertreffen mit der Vettel und die Erinnerung daran, dass Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft kein Selbstgänger, sondern etwas äußerst gefährliches war, wird ihn noch eine Weile begleiten. Man läuft Gefahr ausgenutzt, ausgesaugt und getötet zu werden. Moral war letztendlich doch auch nur ein weiteres zweischneidiges Schwert. Mit einem leichten Stöhnen, ausgelöst durch einen letzten ordentlichen Druck auf den Bluterguss, wendet Massoud sich vom Horizont und seiner Wunde ab, und sammelt seine letzten Besitztümer aus dem Zelt und setzt sich dann vor dieses und beginnt etwas zu essen.

Nachdem er sich etwas gestärkt hat und die salzige Luft etwas unbewusst genossen hat, kümmert er sich um den Aufbau des Zeltes und lässt Yal losziehen, um sich selbst etwas Nahrung zu besorgen. Der Weg zur Küstenstadt, da sie schon in Sichtweite scheint, ist absehbar, wenn es kein Trugschluss seiner Sinne ist. Aber Yal benötigt einfach ein wenig Kraft, die Trockennahrung mag Yal einfach nicht so gerne, die vielen Tage ohne Frischfutter zehren an allen und eine solche Echse kann sich selbst ernähren, was immer ein glücklicher Umstand ist. So kann Massoud Yal etwa eine Stunde Zeit geben. Mit der Stadt in sichtbarer Nähe kann man den Rest des Tages gemütlich, doch zielgerichtet, reisen. Gardekat ist auch jagen, sodass der Leonid wenige Minuten für sich selbst hat, die er mit einem entspannten Liegen auf dem Gras verbringt, während er seinen Bluterguss Stück für Stück betastet und dann leicht zu massieren beginnt. Irgendwann einmal hat er gelernt, dass man Blutergüsse, so sie sich etwas zu verfestigen begonnen haben, leicht massieren sollte. Das ist ihrer Heilung zuträglich. Seinen Gedanken lässt er einfach freien Lauf, lässt sich nicht von bestimmten Formen einzwängen, sondern lässt sie einfach gleiten. Jeder Gedanke, der wichtig scheint, wird bleiben, dessen ist sich Massoud sicher. So vergehen einige Minute des Friedens, welche er zwischen seiner Ausrüstung bei einem ausgiebigen Sonnenband auf dem Gras liegend verbringt. Er verharrt so entspannt, bis seine beiden Begleiter von ihrer Jagd zurück sind.

Mühsam sattelt er Yal erneut, wie er es jeden Tag tut, und ärgert sich darüber, dass er sich von dieser Wunde so beeindrucken lässt. Schließlich hat es eine Zeit in seinem Leben gegeben, in der er ein verkrüppelter Invalide war und für viele, viele Sonnenaufgänge nicht laufen konnte, bettlägrig war und auf das Ende seines Lebens wartete. In dieser Lebensdämmerung, da konnte er sich seines Schicksals beklagen, doch jetzt? "Jede Hinderung ist nervtötend.", stellt er fest, während er die letzten Riemen an Yal zuzieht und dann die restliche Ausrüstung verschnürt. Massoud gibt dann ein fast pfeifendes Knurren von sich, ein Ruf, der Gardekat sagen soll, dass die Zeit der Jagd vorbei ist und sie weiter müssen. Weiter an das Meer.
Der Leonid legt sich seine Rüstung vorsichtig an, bindet seine Waffen fest und lässt sein Ehrengeschenk sein Handgelenk ergreifen, der Aufbruch naht.
Massoud versucht den salzigen Wind nochmal aufzunehmen. Ihm fällt auf, dass er ihn bisher gar nicht bewusst wahrzunehmen versucht hat. Das versucht er jetzt, er spürt es ein wenig und dennoch kann er es noch gar nicht so recht fassen. Dieser Geruch ist fremdartig, vielleicht sogar im ersten Moment etwas unangenehm. Aber ihm fehlt einfach ein Bild dazu. Noch ein tiefes Einatmen. Er hat viele Beschreibungen vom Meer und von Stränden gehört, doch dennoch will sich ihm noch immer kein Bild aufdrängen, obgleich er jetzt den so häufig beschriebenen salzigen Wind selbst in der Nase hat. Er muss das Meer sehen, um es zumindest grob begreifen zu können, um den Anfang des Begreifens machen zu können. Mit einem leichten Klaps soll Yal sich in Bewegung setzen.
« Letzte Änderung: 22.08.2010, 18:12:23 von Massoud »

Ansuz

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Ic - Worte sind Schall und Rauch
« Antwort #22 am: 27.08.2010, 16:31:21 »
Allein das Aufsatteln und Verstauen der Ausrüstung fordert jeden Morgen zwei bis drei Stunden, kein Vergleich zu dem geringen Aufwand, dem Massoud als Krieger des Rudels unterworfen war. Damals halfen ihm die Jungen, die Satteltaschen festzuzurren, das Geschirr zu überprüfen, die Waffen zu reinigen und die Vorräte aufzufüllen. Es gab einen Tross, der zunächst mehr mitführte, als er brauchte. Mangel herrschte erst am Ende der Kriegszüge, kurz vor den Plünderungen, die wieder für Ausgleich sorgten.
Unter den Goliath gab es weder schweres Gepäck noch Lastentiere. Im Hochland selbst wäre es unvorstellbar, ohne Herde zu sein. Dort oben, in Wnumbásras Klauen, würden sie zu viel Anpassung fordern. Ihre Wege würden die der Stämme bestimmen und sie zwangsweise aus dem kargen Gebirge in das fruchtbare, grasreiche Hochland hinab führen. Kein Goliath könnte das akzeptieren.
In der Steppe reist er das erste Mal derart schwer beladen. Er weiß ganz genau, dass ihn die karge Landschaft nicht freiwillig mit dem versorgen wird, was er braucht. Ohne Vorbereitung, ohne die kostbaren Morgenstunden, die er ihr opfert, würde er untergehen. Bereits früh nach seinem Aufbruch musste er lernen, dass die Steppe seinen Weg diktiert, nicht er selbst.
Gardekat weiß das schon länger. Er gähnt leise schnarrend, reckt sich und sieht wieder einmal zu, als beträfen ihn die Nöte der Reise nicht. Seine Aufmerksamkeit gilt dem funkelnden Weiß, dass nur wenige Meilen entfernt scheint.
Yal kehrt erst kurz nach Abbau des Zeltes zurück, sodass Massoud Zeit bleibt für die Tätigkeiten, die sonst unbeachtet bleiben, etwa Einfetten des Leders mit Schweinespeck. Als die Echse endlich eintrifft, hat sich um ihr Maul ein blutiger Kranz gebildet. Einzelne, sandfarbene Haare zwischen seinen Schuppen lassen auf ein Murmeltier schließen. Davon gibt es genug im Boden. Die Nomaden tauschen sie an der Grenze zum Hochland gegen Holz und Salz.
Viel ist an ihnen nicht dran, aber offenbar reicht es ihr, lässt sie sich doch widerstandslos satteln und beladen. Der Tartschenkäfer nimmt bei erstbester Gelegenheit Massouds Angebot an und klammert sich an sein Handgelenk. Gardekat klettert die Sicherungsriemen hoch und verharrt vor dem alten Wór, als sei er selbst der eigentliche Reiter.
Der alte Krieger nimmt es ihm nicht übel. Ebenso gut könnte er sich über einen grasenden Büffel oder einen Nest bauenden Vogel echauffieren. Es liegt in seiner Natur zu handeln, als gehöre er zu der ewigen Elite der Welt. Unter seiner überheblichen Fassade schlägt ein sanftes Herz, dass ihn durch die schlimmste Phase seines Lebens geführt hat.
Gesprochen wird während des langen Tagesritts nicht. Es gibt nichts zu sagen. Ab und an schrecken sie einen Sekretär oder Wildhuhn auf. Mäuse, Murmeltiere und Erdmännchen verstecken sich vor ihnen. Immer wieder sind die großen Laufvögel, Büffel, Schakale oder Gazellen in der Ferne zu sehen. Im Vergleich zu der unglaublichen Weite der Landschaft sind es nur wenige. Das Gras kann sie nicht ausreichend ernähren und Wasser ist eine Rarität.
Hätte er nicht seine Vorräte, käme er viel langsamer vorwärts. Das Gelände ist für Reitechsen wenig geeignet. Sie sind steiniges, unebenes Terrain gewohnt, ohne viel Sträucher oder Gräser, die den Gliedern zusätzliche Kraft abverlangen. Mehr als ein paar Meilen pro Tag sind illusorisch, so ausdauernd sie auch sein mag.
So wundert es nicht, dass er an diesem Tag nicht die Küste erreicht. In der Steppe verschwimmen Entfernungen. Obwohl sie nah schien, ist die Stadt noch weit entfernt. Dass ihre Form trotzdem derart deutlich zu erkennen ist, ist Beweis ihrer Größe.

Noch zwei Tage reist Massoud durch das Grasland, immer in Stadt[1]. Stunde für Stunde wächst sie an, offenbart mehr Details. Ihr höchster Punkt ist von einem riesigen Gebäude bedeckt, dass mit den großen Heerlagern der Hochebene konkurrieren kann. Am späten Nachmittag des zweiten Tags kann er bereits die Mauern erkennen. Weiß und strahlend wie die Sonne bilden sie ein verheißungsvolles Band, dass das Elysium selbst umschließen könnte. Sie sind höher als mancher Felsendom seines Volks und durchsetzt von noch weiter aufragenden Türmen. Auf ihren Zinnen bewegen sich kleine Gestalten, denen sein Nahen unmöglich entgehen kann.
Auch die Menschen, die auf den der Stadt vorgelagerten Hanfplantagen arbeiten, bedenken ihn mit neugierigen Blicken. Kleine Kinder laufen hinter ihm her und wollen krakeelend von fernen Ländern berichtet bekommen. Eines hat Spaß daran, Gardekat mit einem ganzen Büschel Hanfblättern zu ärgern. Er lässt er ärgerlich zirpend über sich ergehen. Berührungsängste gibt es trotz seiner Gestalt und den Zähnen seines Reittiers nicht. Fremde scheinen kein ungewöhnlicher Anblick zu sein, nicht einmal inmitten der duftenden Alleen.
Auf der Hauptstraße ist das deutlich spürbar. Sie kommt von Westen, nicht aus der Steppe. Wahrscheinlich liegt an ihrem Ende eine weitere Siedlung, und dahinter noch eine. Der Boden ist von Tausenden fest getrampelt worden und so hart, dass Yal sich wie in der Heimat bewegen kann. Die Reisenden, ihrem Aussehen zufolge Händler, einfache Pilger und der ein oder andere Nomade, machen seinen Begleitern und ihm gern Platz. Besonders seine Skorpione werden angestarrt, obgleich er beileibe nicht als Einziger bewaffnet ist.
„Kwuth!“, wird er plötzlich in seiner Muttersprache begrüßt.
Ein Goliath hat sich an seine Seite begeben, unbeeindruckt von Yal, mit deren Tempo er mühelos mithält. Seine schiefergraue Haut ist ein vernarbtes Zeugnis zahlreicher Schlachten. Am Leib trägt er bloß eine Leinenhose, einen Gürtel und eine Schlafrolle, die er an einem Ledergurt befestigt auf dem Rücken trägt. Auf einem Schulterpolster liegt sein Bihänder auf, länger als selbst der schwere Skorpion. Seine Körperzeichnung ist recht aggressiv, anders als die weichen Muster der Massoud bisher bekannten Goliath.
„Was führt dich her?“, fragt er nahezu akzentfrei.
 1. bitte entsprechende Rationen streichen, alle TP wiederhergestellt

Massoud

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Ic - Worte sind Schall und Rauch
« Antwort #23 am: 02.09.2010, 14:49:59 »
Der Wór ist verwundert, wie sehr ihn die Größe der Stadt täuschen konnte. Ein Gefühl, welches der Leonid beim besten Willen nicht ausstehen kann und nie ausstehen können wird. Er schüttelt den Kopf und blickt abermals über die Ebene, die nun hinter ihm liegt, während die Stadt bereits in der greifbarer Nähe ist und ein Gefühl von kaum fassbarer Größe ihn erfasst. Es gab und gibt nichts Vergleichbares in der Lebenswelt Massouds, gar nichts, was in die Nähe dieser, für den Löwenmenschen, monumentalen Steinsetzungen käme. "Um zwei Tage hast du dich verschätzt.", geht durch seinen Kopf und ärgert ihn bis auf das Mark, auch wenn es für Yal sicherlich eine Erleichterung ist, schließlich ist viel des durch die Rationen bedingten Gewichtes dahingeschmolzen, und so sind die letzten Meter der Reise zumindest für die Reitechse Massouds die leichtesten.

Des Löwenmenschen Blick fällt auf seinen anderen geschuppten Begleiter, dem er über die indigofarbenen Auswüchse streicht und dann leicht über die Schuppen streichelt. Gardekat ist in den letzten Wochen, was Streicheleinheiten angeht, deutlich zu kurz gekommen, was Massoud in diesem kurzen Moment nicht nachholen kann, doch will er damit zeigen, dass er den kleinen Pseudodrachen nicht vergessen hat. Auch wenn die Streicheleinheiten von Massoud etwas zu druckvoll sind, da der Leonid abgelenkt ist. Die Bilder des Traumes kehren zurück in die Gedanken Shabanis, als er darüber nachdenkt, wie viele Wesen sich in der Stadt befinden werden. Wie viele Wesen nun die Möglichkeit haben würden, ihn zu provozieren und das eingekerkerte Tier in ihm zu entfesseln. Ein leises Seufzen ist vom Löwenmenschen zu hören, der Yal etwas verlangsamt, um die letzten Meter zur Stadt in Hinblick auf die Zeit zu verlängern. Etwas Schweres lastet auf dem gebrannten Kind, seit er die Stadt in den Augen hat. Aus der anfänglichen Motivation und Lust zu reisen, ist ein Ballast geworden, deutlich schwerer als die Lamellenrüstung, die Massoud trägt. Deutlich schwerer wohl noch, als den Ballast an Reiseproviant, welchen Yal zu tragen hat. Dieser Ballast drückt des alten Kriegers Stimmung enorm und kostet ihn viel Überwindung, denn irgendwas will ihn davon abhalten, die Stadt zu betreten, sich ihr weiter zu nähern.
"Die Wunden sind es nicht, denn diese sind schon längst geheilt." Nur ein inzwischen schmerzloser, blauer Fleck von faszinierender Größe zeugt noch davon, dass Massoud um sein Leben laufen musste. Der Muskelkater ist längst verklungen und nicht einmal mehr einer müden Erinnerung wert, die Anstrengung der Flucht ist in der Anstregung der ganzen Reise aufgegangen. Die Bilder der Vettel sind nur noch krude und verschleiert im Kopf des Löwenmenschen vorhanden, andere Dinge haben größere Priorität, auch wenn er die Lektion, dass unkonditionierte Hilfe auch immer gefährlich ist, wieder einmal gehört hat und nicht vergessen wird. Seine Hoffnung muss jedoch bleiben, dass er sie diesmal auch verinnerlicht hat.
"Was ist es dann?", Yal steht nun schon fast und Massoud schaut schwer auf die ersten Gebäude, die nur noch drei oder vier Echsenlängen entfernt waren. Als er seinen Kopf in den Nacken legt und die steinernen Gebäude anschaut, will ihm schließlich auch einfallen, was ihn so bedrückt.
Seufzend schaut er sich zurück in die Ebene um, ein Ort ohne Grenzen und nur wenigen Regeln, welche sich um das Überleben drehen. Sein Blick fällt zurück auf die Stadt vor ihm, selbst der salzige Geruch kann diese Gedanken an Freiheit nicht in ihm wecken, denn er ist sicher, was die Schwere bedeutet. Sie bedeutet Kerker, viele Grenzen und viel mehr Regeln des Umganges, welche ihn dazu zwingen, sich so zu verhalten, wie er es gar nicht will. Der Umgang mit vielen Menschen und anderen Wesen benötigt viele Worte, von denen die meisten nicht mehr als Schall und Rauch sind, flüchtiger als die meisten Gedanken und von nur mickriger Bedeutung, wenn sie denn überhaupt eine Bedeutung haben. Der Umgang mit anderen Wesen erfordert stets Selbstdisziplinierung, das Zurückhalten von Gedanken, und auch die Rücksichtnahme auf deren Lebensräume. Eine Stadt ist nicht nur ein Gefängnis voller künstlicher Grenzen, es ist ein hoffnungslos überfüllter Käfig. Diese Schwere lastet auf Massoud und dieser Ballast will ihn nicht in die Stadt einkehren lassen. "Reite durch die Stadt und schau dir das Meer genau an, berühre es und dann kehre zurück in die Freiheit zurück. Befriedige deine Neugier und dann kannst du gehen." Selbst wenn er das Meer auch anderer Stelle begutachten könnte, nun ist er hier, unter schweren Gedanken hierhin geritten. Jetzt kann er es auch durchziehen.

Die Gedanken haben ihn bis zur Lösung so schwer belastet, dass er nicht einmal die nervtötenden Kinder, die ihm folgten, bemerkt hat, auch wenn die Gedanken von Gesellschaft sicherlich von ihnen im Unterbewusstsein beeinflusst wurden. Massoud blickt in ihre fleischigen, felllosen, ja nackten, Gesichter. Sie sehen merkwürdig aus, mit ihren platten Schnauzen und merkwürdigen Knopfaugen, ihre Schnauze wirkt nicht fähig, um in der Wildnis zu überleben. Menschen sehen immer wieder merkwürdig aus, gerade die kleinen Menschenkinder. Auch wenn Massoud schon ein paar gesehen hat, er wird sich nie ganz an ihren Anblick gewöhnen können. Geschichten aus der Ferne erzählen, das will er allerdings nicht. Und so kommt es, dass Massoud gerade wieder in Gedanken darüber verfallen will, dass er gar nicht bemerkt, dass er schon fast die Stadtgrenze überschritten hat und sich nun beinahe inmitten dieses steinernen Gefängnisses befindet und sich neugierig umschaut. "Immerhin scheinen diese Menschen etwas aus den Gefängnissen zu machen, die sie sich erwählen." Des gebrannten Kindes Waffen sind festgebunden und so will er gar nicht erst den Eindruck machen, dass er eine Gefahr sein könnte. Gleichzeitig erfreut er sich daran, dass er als Fremdling kein so ungewöhnlicher Anblick ist, sodass sich nicht zu viele um ihn kümmern. Es ist eine der zentralen Sorgen gewesen, als er losgeritten ist, dass er zu viele Fragen ertragen müsste, zu viele Hände, die seine fellbewachsene Haut berühren wollen, seine Waffe, seinen Kopf und seine Haare. Und noch weniger will er die Beleidigungen hören, die andere für ihn übrig hatten, wie etwa die Orks. Das hat er durchmachen müssen in der Zeit, in welcher er mit zermalmten Beinen unter Orks leben musste. Massoud versinkt wieder in Gedanken und das Weiß der Mauern vor ihm verschwimmt zu einem gleichbleibenden Farbton, der die Formen und Besonderheiten der Mauer wieder aus der Erinnerung des Löwenmenschen löscht, ebenso wie die vielen Gesichter, die er sieht und auf den Hanfplantagen gesehen hat, gleich wieder aus seiner Erinnerung verschwinden. Zumindest bleibt er in Gedanken, bis der Goliath ihn anspricht. Massoud hat gar nicht gemerkt, dass er schon einige Meter neben ihm hergelaufen sein muss.

Interessiert betrachtet der Leonid die Muster auf der fast steinernen Haut des Goliaths und versucht diesen einzuordnen, was nur leidlich gelingt. Der Löwenmensch beantwortet die Frage des Goliaths nicht sofort, es fällt ihm schwer zu sprechen, obwohl er in Dagaan angesprochen wird. Doch dies wirft wieder viele Bilder in den Kopf Massouds, die er nur schwer formulieren und ordnen kann. Es fällt ihm schwer, sich der notwendigen Floskeln zu entsinnen, um einen Goliath angemessen zu begrüßen. Durchsetzt wird dies alles mit Gedanken an seine Zeit unter dem Goliathvolk, welchem er so viel zu verdanken hatte. Schließlich überwindet sich der Leonid und kann seine Sprachblockade aufheben. Es fühlt sich merkwürdig an, Sprechen zu wollen, wenn man es für Tage nicht getan hat. Etwas schwer und träge verlassen die ersten beiden Worte den Mund Massouds, in der Sprache der Goliath. "Das Meer."
Massoud blickt so freundlich, wie es ihm möglich ist, in die Richtung des Goliaths. Zufrieden damit, dass er die Sprache der Goliath genutzt hat, um die Höflichkeit zu erwidern, wagt er es noch ein paar Worte zu sprechen. "Ich bin Massoud Shabani. Was treibt einen Goliath in diesen Käfig?" Auch wenn Massoud nachvollziehen kann, dass der Goliath ein anderes Bild von dieser Stadt haben könnte, nennt der Leonid diesen Ort einfach einen Käfig, denn mehr wird er für das gebrannte Kind auch nicht werden, auch nicht, wenn er ihn endlich betreten hat..
« Letzte Änderung: 02.09.2010, 23:43:05 von Massoud »

Ansuz

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Ic - Worte sind Schall und Rauch
« Antwort #24 am: 09.09.2010, 00:27:45 »
Der Goliath lächelt breit, als Massoud auf seine Frage in Dagaan in Gol-Kaa antwortet und sich damit zu einem Ebenbürtigen, keinem bloßen Flachländer, macht. „Ich bin Maventhua Bluthand Naku-Vatheg! Dich werde ich Gebrannter nennen!“
Seine Stimme ist so tief und rumpelnd, wie es der alte Krieger von diesem Volk gewohnt ist. Sie erinnern nicht nur an sich bewegende Felsen, sie klingen auch so. Umso eindrucksvoller wirkt ihre Sprache, die sich weicher als alle anderen ihm bekannten Idiome anhört und gleichzeitig aus derart rauen Kehlen tönt. Damals, als er unter ihnen leben durfte, hat ihn jeden Morgen der Gesang der Dämmerkünder geweckt. Zu ganz seltenen Gelegenheiten untermalte der Bariton eines fernen Galeb Duhr ihre Epen.
Ihre Silhouetten auf den Klippen der Berge zu sehen, wie sie vor dem lodernden Rot der Sonne immer schmaler werden, hinter ihnen eine Kulisse aus schroffen Gipfeln, ihre Präsenz allein erhalten durch die Kraft ihrer Stimmen, war einer der erhabensten Anblicke seines bewegten Lebens.
Von den Goliath hat er viel gelernt. Ob das diesmal auch der Fall sein wird, wird sich herausstellen. Maventhua ist ebenso schwer durchschaubar wie alle seiner Art, vielleicht sogar etwas mehr. Er hat dasselbe seltsame Funkeln in den Augen, ein solch übermächtiger Quell des Lebens, dass sie regelrecht zu strahlen scheinen. Doch liegt auch etwas Dunkles darin, passend zu den vielen Verhornungen, die seinen Körper wie Stacheln bedecken.
„Ich komme aus Bumasim, wo ich fünfzehn Männer erschlagen habe. Die Häuptlinge der Flachländer führen wieder einmal ihre Fehden. Sie sind wie Sonne und Mond, die sich ständig hinterherjagen und doch nie erreichen.“
Er wirft den Stadtmauern einen Blick zu, bevor er weiterspricht: „Inzwischen bin ich seit vier Tagen auf dem Weg. Heute bin ich bereits viele Meilen marschiert. Der Ruf der vollen Beutel lockt mich wie den Puma eine Ziegenflanke. Die Flachländer sind toll, doch besitzen sie viel.
Ich brauche all diese Last nicht. Du verstehst das vielleicht, wenn du aus dem Hochland hinabgestiegen bist.“ Für einen Moment sieht er Massoud forschend in die Augen.
„Was ich brauche ist ihr Gold.“ Weiter erklärt er sich nicht, sondern mustert Gardekat. Der kleine Drache erwidert den Blick ungerührt und kratzt sich demonstrativ am Schädel. Um ihn einzuschüchtern bedarf es schon etwas mehr.
Yal für ihren Teil beachtet Maventhua nicht weiter. Die Goliath kennen die Domestikation fast gar nicht, dafür aber die Jagd umso genauer. In Wnumbásras Klauen gibt es viele große Bestien, die ihr ganzes Geschick fordern. Der Stamm, in dem Massoud eine Weile unterkam, platzierte ihren Kavaki-Schrein stets auf dem Fell eines erschlagenen Mantikors.
Er bemerkt, dass sie die Menge inzwischen offen glotzt. Einige verziehen den Mund, andere wirken neugierig, manche lächeln freundlich. Die Vielfalt der Reaktionen auf das ungleiche Grüppchen passt zur Diversität der Menge.
Nahezu alle strömen auf eines der Tore zu, die Einlass in das Weiße Juwel der Küste gewähren. Es kommt an Höhe den Refugien der Seeth gleich, ist aber ungleich breiter. Er sieht es zwei Berittene, einen Karren und ein paar Menschen gleichzeitig durchschreiten. Den Scheitelpunkt seiner zugespitzten Form bildet ein vierstrahliges Sonnensymbol, das einem klassischen Kompass gleicht. Zwischen den goldenen Flammen funkeln Edelsteine, formiert zu Bildern, wie sie sonst nur der nächtliche Himmel bietet. Seltsame Schriftzeichen ziehen sich seinen Rahmen entlang, feiner geschwungen als selbst die fragilste drakonische Rune. In ihrer Gesamtheit wirken sie wie marmorner Efeu, der sich um die aufgeschwungenen Torhälften windet. Jede ist aus massivem Holz gefertigt und mit je einer Hälfte eines Bildes bedeckt, das den Hafen und die dahinter liegende Bucht darstellen dürfte. Ihre Ränder sind eisenbeschlagen, sodass sie einzeln so viel wie ein Riese und zusammen so viel wie ein Drache wiegen dürften.
Die Passierenden bleiben selten stehen, um die Pracht zu bestaunen. Die meisten, wahrscheinlich Einheimische, laufen einfach unter dem großen Bogen hindurch, als existiere seine Pracht gar nicht. Lediglich die Edelsteine ernten den einen oder anderen säuerlichen Blick.
Kontrolliert werden nur Berittene und solche, die Waren ein- oder ausführen wollen. Auch auf Massoud und Maventhua steuert ein Gardist zu.

Weiter gehts in Hakum
« Letzte Änderung: 23.09.2010, 19:18:23 von Ansuz »