In ihrer wahren Gestalt ist es schwieriger für Vurna, sich durch das hohe Gras zu bewegen. Sie sieht nicht allzu viel, hat aber dafür bündelweise Halme in den Cheliceren. Praktisch jeden zweiten Meter muss sie irgendeiner stachligen Pflanze ausweichen, die plötzlich vor ihr auftaucht. Zum größten Teil handelt es sich um Disteln, die selbst in einer derart trockenen Umgebung gedeihen.
Durch seine wesentlich längeren Beine muss sich die Bestie neben ihr nicht mit derartigen Problemen herumschlagen. Sie wälzt bis auf die gelegentlichen Nadelsträucher jegliche Vegetation einfach nieder. Sehen braucht sie ohnehin nichts, lenkt sie doch der Mischling auf ihrem Rücken in die gewünschte Richtung.
So bedrohlich sie auch wirken mag ist sie doch bloß ein Sklave ihres Herrn, der scheinbar nach Belieben mit ihr verfahren könnte, verlangte es ihn danach. Sie ließ ihn völlig widerstandslos aufsatteln, obwohl ihr gerade einmal die Hälfte des erlegten Hasens zukam. Das kann unmöglich für einen Körper wie den ihrigen reichen. Allein eine ihrer Scheren ist größer als ein Ozelot.
Zudem ist sie geistlos wie die meisten Tiere, denen nicht die Gunst einer Fee zuteil wurde. Während das Halbblut sichtlich die Strahlen der aufgehenden Sonne genießt, reagiert sie in keiner Weise darauf. Dafür zischt sie aggressiv, sobald sich Vurna auch nur auf ein paar Schritt nähert. Vielleicht fühlt die Kreatur trotz ihrer Primitivität das Schicksal, das die ersten Aranea dereinst ereilte.
Beide zeigen kaum Spuren der Erschöpfung, ganz im Gegensatz zu Vurna, die ohne den Rat ihrer Herrin erst einmal die Welt neu entdecken muss.
Sie hat seit dem Weißen Marsch entweder vergessen oder verdrängt, wie erbarmungslos die Steppe eigentlich ist, ganz zu schweigen von der Wüste. Soweit Vurna weiß, ist von dort nie ein Zweibeiner zurückgekehrt. Ihre Art schon, zu Hunderten, beschützt durch die dortigen Riesen und ihren Segen. Nichtsdestotrotz war es ein Alptraum.
Überall im Gras zirpen die Grillen, eine angenehme Ablenkung. Manchmal bilden sie unermesslich gewaltige Schwärme, die zusammen mit den Stürmen aus der Zeitlosen Wüste, dem relativ unfruchtbaren Boden und den seltenen Niederschlägen den Grund dafür bilden, warum permanente Siedlungen wie Maedres einstiges Heim äußerst selten sind.
Viel sinnvoller ist es wie Gortaks Sippe mit ihren Büffelherden, Pferden und Langhälsen durch die Steppe zu ziehen und nur Halt zu machen, um die Tiere grasen zu lassen. In der Wildnis finden sie alles, was sie benötigen. Felder, die ohnehin leergefressen werden, helfen ihnen nicht weiter.
Natürlich ist auch das Nomadenleben nicht einfach. Es gibt viele gefährliche Bestien im Grasmeer, so endlos und leer es auch scheinen mag. Schakale rauben Kälber und Essensreste, Schlangen und Skorpione lauern im Schatten zwischen den Gräsern, Raubvögel bedrohen unbewachte Säuglinge und unter der Erde graben sich gewaltige Bestien vorwärts.
Die gefährlichsten und weit verbreitesten Räuber aber sind genau solche Vögel, wie sie sich gerade nur ein paar dutzend Schritt entfernt aus dem Gras erheben und leise krächzend die Glieder recken.
Es sind insgesamt drei, jeder von ihnen mit prächtigem Kopfschmuck, langen Beinen und tödlich gekrümmten Schnabel.
Sie wirken noch etwas verschlafen. Wahrscheinlich haben sie weniger die Sonnenstrahlen als mehr das Rascheln im Gras aufgeweckt. Ihre Bewegungen sind träge, lassen aber bereits auf fürchterliche Kraft schließen.
Einer blinzelt in ihre Richtung und stößt einen krächzenden Schrei aus, der die beiden anderen sofort die Hälse recken lässt.
Alle drei schütteln sich, spreizen ihr Gefieder und stolzieren warnend kreischend aus das Dreigespann zu. Vurna sieht bloß ihre Häupter, Gortak dagegen die gesamte, übermannshohe Gestalt. Xarg hebt den Schwanz sogleich etwas höher, jederzeit bereit zuzustechen. Sein Trillern ist eine laute Antwort auf das Klappern der Schnäbel
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