Autor Thema: Ib - Verschollen in der Ferne  (Gelesen 10719 mal)

Beschreibung: Amiras Reise nach Hakum

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Ansuz

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Ib - Verschollen in der Ferne
« Antwort #30 am: 26.08.2010, 21:27:51 »
Laut prallt Zerahs Faust auf die Luke. Ihre Worte schallen weit auf den Ozean hinaus, auch hinüber zu den anderen Schiffen. Sie gibt sich keine Mühe, ihre Schritte auf den Bohlen zu dämpfen. Soll jeder hören, welcher Verrat begangen wurde, ausgerechnet vom Kapitän des Schiffes, auf dem er begangen wurde.
Marcellus dreht sich nur langsam um. Seine Miene ist seltsam angsterfüllt, obwohl ein hinterhältiges Glimmen in seine Augen getreten ist. Er zittert ganz deutlich, wenn auch nicht vor ihr. Bevor sie sein Vorhaben realisieren kann, hat er bereits einen Dolch gezogen und sich in die Seite gerammt. Aus seinem Mund tritt ein leises Keuchen. Schmerzerfüllt krümmt er sich zusammen, das Gesicht zu einer Grimasse verzerrt und mit beiden Händen zieht. Die Klinge schimmert blutig in Furias Licht, bevor sie in einem blitzenden Bogen über die Reling verschwindet.
Gleichzeitig mit dem Platschen ihres Aufpralls wird die Luke aufgeworfen. Marcellus grinst die Kriegerin wild an, bevor er scheinbar gepeinigt stöhnend auf sie zustolpert. Seine blutigen Hände ziehen rote Bahnen über ihre Kleidung. Gleich einem Mimen Fiernas bricht er vor ihr zusammen, direkt vor den Augen derjenigen Matrosen mit dem leichtesten Schlaf. Zwischen ihnen steht Serayn, ungläubig dem Geschehen folgend.
"Hexe!", stößt der Kapitän hervor. "Sie wollte mich umbringen! Ich habe ihre Zauberei gesehen!"
Sofort richten sich alle Blicke auf Zerah. Die Anspannung der Männer ist fast fühlbar. So hat sie sich bisher nur einmal fühlen müssen, irgendwo inmitten der Hegemonie unter den Augen eines Dutzends räuberischer Bogenschützen. Ein Fehler reicht, um die Situation eskalieren zu lassen. Gesagt werden muss etwas, will sie nicht vom Verräter auf die Planke gehetzt werden. Doch was? Was darf gesagt werden?
Ein müder Optimus drängt sich die Treppe hinauf. Sein leicht verärgerter Gesichtsausdruck wandelt sich zu blankem Entsetzen, als er die vornüber gebeugte Gestalt Marcellus´ sieht.
"Gütige Himmel, was ist denn hier passiert?"

Serayn

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Ib - Verschollen in der Ferne
« Antwort #31 am: 27.08.2010, 13:12:09 »
Serayn reißt die Augen auf. Zerah! Ihre Schwester würde sie nicht so plötzlich wecken, wenn es nichts Ernstes wäre.  Flüchtig fährt sie sich über die Augen und setzt sich mit Schwung eilig auf, um rasch aufzustehen. Suchend blickt sie sich nach ihrn Lederschuhen um, kann jedoch nur einen entdecken. Ordnung erreicht man schließlich auch mit Magie. In Ermangelung eines zweiten Schuhs schlüpft sie in ihre Hausschuhe. Ihr Gewand hat sie vor dem Zubettgehen nicht ausgezogen. So stolpert sie hastig nach draußen, vollständig bekleidet zwar, doch mit ungekämmter, wild anmutender Mähne.  "Zerah?!" Kommt es besorgt über ihre Lippen. Was nur geschehen sein mag...werden sie von einem Meeresungeheuer angegriffen? Oder von einem Geisterschiff...oder Piraten...

Die junge Magi begibt sich gleich nach vorne und starrt erschrocken die beiden Gestalten an, die ihr nur zu gut bekannt sind. Ihre Schwester ist blutverschmiert...für einen Augenblick muss sie schlucken und erzittert, als würde sie frieren. Doch dann dämmert ihr langsam, dass sie zum Glück unbeschadet ist. Nicht so der Kapitän, der verletzt am Boden liegt und sich vor Schmerzen krümmt. Hatte er sie angegriffen? Was er von sich gibt, ist in ihren Ohren ohnehin blanker Unsinn. Ihr Gegenstück ist in etwa so magisch begabt wie sie beim Werfen von Baumstämmen. Es passt einfach nicht zusammen. Ob die Mannschaft ein ähnliches Einsehen hat, bezweifelt sie allerdings. Schwer atmend versucht sich die junge Frau zu beruhigen und betrachtet die auf den ersten Blick so eindeutige Szene nüchtern - soweit ihr das möglich ist. Der Dolch...sieht sie richtig? Oder ist es Wunschdenken...nein, er ist sauber. Kein Blut haftet an der Klinge. Dafür an ihrer Kleidung. Langsam kommt Serayn näher, sieht von dem verletzten Kapitän zu Zerah. "An meiner Schwester haftet überhaupt keine Magie...sie ist eine waschechte Kriegerin. " Stellt sie zunächst empört über diese dreiste Lüge klar; so aufrichtig überzeugt, wie man nur sein kann. Und wer kennt sie besser als sie selbst.  Seltsam erscheint ihr nach näherer Betrachtung, auf welche Weise das Blut an ihrer Kleidung klebt. Als hätte er darüber gestrichen, um sich abzutrocknen. Wäre sie verletzt, hätte sie den Täter doch lieber weggestossen?   Doch die Spuren gehen längs über den Stoff. Wäre er zusammengesunken und hätte versucht sie festzuhalten, würde sie auch nicht so lang sein...verunsichert dreht sie sich um und kann zu ihrer Erleichterung Optimus erkennen. Der Mannschaft irgend etwas zu erklären wird ohnehin verlorene Liebesmüh sein.

"Magister, etwas stimmt hier nicht! " Bestürmt sie den alten Mann und deutet auf Zerah und den Verletzten. "Meine Schwester würde nie jemanden grundlos verletzen und hätte uns sicher nicht geweckt, wenn sie böse Absichten gehabt hätte und...seht Ihr, der Dolch! Er ist sauber...und die Blutspur passt auch überhaupt nicht! Irgendwas ist hier eindeutig faul! Ihr wisst, dass meine Schwester nicht zaubern kann...trotzdem behauptet er es... " Sprudelt es aufgeregt aus ihr heraus. Unverkennbar mischt sich auch die Sorge um ihre Schwester mit in ihren Worten...dennoch, in ihren Augen gibt es bereits eindeutige Spuren, die gegen den Kapitän sprechen...davon ist sie felsenfest überzeugt. Bittend sieht sie den Optimus an, sich ein ein objekives Bild der Lage zu verschaffen und die Situation zu klären, bevor noch jemand handgreiflich gegenüber ihrem Gegenstück wird.       

Ansuz

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Ib - Verschollen in der Ferne
« Antwort #32 am: 26.09.2010, 01:27:22 »
Es hat sich gelohnt, ihrer Eingebung zu folgen und an Deck zu kommen.
Amira hat vom Deck des Oneék[1] einen hervorragenden Blick auf die „Stolz von Moesa“. Ein Tumult scheint auf ihr ausgebrochen zu sein. Zwar ist es im Licht der zwei Monde schwierig, Details zu erkennen, doch ist die Situation eindeutig als äußerst gespannt erkennbar. Einer der Männer krümmt sich, als wäre er verletzt. Ihm gegenüber sieht sich die einsame Gestalt einer Frau den Blicken der gesamten Mannschaft ausgesetzt. Einige von ihnen werfen ihr wüste Beschimpfungen an den Kopf, die in der Stille der Nacht . Manche drängen sich nach vorn, werden aber zurückgehalten. Eine weibliche Stimme plädiert laut auf die Unschuld ihrer Schwester.
Neben Amira versammeln sich nach und nach sowohl schlaftrunkene Firopolesen als auch Armanden. Die Reling ist für ihre Bedürfnisse gefertigt worden, sodass sie der Waisen gerade einmal bis zur Taille reicht. Lichtquellen gibt es nicht. Die kleinen Kerle können ebenso gut in völliger Dunkelheit wie im strahlenden Sonnenschein sehen. Durch ihre Augen muss die Szenerie deutlich erkennbar sein.
Seit nunmehr vier Wochen ist sie auf See, das erste Mal in ihrem Leben. Erst kürzlich traf sie erstmalig auf Armanden, ein Volk, das ihr bisher völlig unbekannt war und jetzt den Großteil ihrer Gesellschaft ausmacht. Anscheinend stammen sie aus den Verbrannten Landen. Auf ihr Nachhaken hin erzählten sie, dass Oneék wie die „Ba`aum Mèo“, ihr Schiff, alle Meere auf der Suche nach Einsicht und Erfahrungen durchkreuzen. Sie bieten ihre Dienste gerne Fremden an, denn das bedeutet kulturellen Austausch und neue Orte, die man besuchen kann. Moesa haben sie aus purer Neugierde besucht.
Bisher fielen sie stets angenehm auf. Sie erzählen gern, hören aber ebenso begeistert zu. Selbst das Fach-Kauderwelsch der Firopolesen genießen sie scheinbar in vollen Zügen. Amira tat sich damit gezwungenermaßen schwerer. Die Magi sind allesamt Exzentriker, insbesondere der wortangebende Magister Ephedrius, der sich ohne zu Zögern auf die Reling stellt, um besser sehen zu können. Selbstredend hat er jenes Fernrohr, auf das er so stolz ist, bei sich.
Vom anderen Schiff tönen immer mehr Rufe herüber. Scheinbar droht die Situation zu eskalieren. Was auch geschehen sein mag, ging definitiv nicht friedlich von statten. Sie kann nur hoffen, dass es nichts mit den Machenschaften ihrer Häscher zu tun hat. Wenn sie ihre Jugend eins gelehrt hat, dann das Wissen um den geheimen Einfluss, den Ruars Tempel auf den gesamten Kontinent hat.
„Bringt uns näher heran!“, befiehlt der Magus mit schnarrender Stimme, als wäre er Kapitän des Schiffs. Er gibt sich nicht einmal Mühe, seine Ablehnung zu verbergen. Für ihn sind die Armanden überbezahlte Hilfskräfte, die sich närrisch wie Halblinge verhalten.
Trotz seines Tonfalls reagieren die kleinen Gesellen ohne Murren. Aggressivität ist ihnen so fremd wie Hektik. Trotz des Ernstes der Lage schlendern sie eher als sie laufen.
Die „Mèo“ ächzt leise, als sie sich in die Kurve legt. Die in ihr eingeschlossenen Elementare manifestieren sich in einem leichten Brodeln, das sie konstant umschließt. Ohne sie würde das komplett aus den Schalen riesiger Krebstiere bestehende Gefährt wie ein Fels versinken. Es besitzt nicht einmal Ruder, geschweige denn Segel. Unwissende könnten es allein aufgrund seines riesigen Heckruders für eine fremdartige Ausgeburt der Tiefe halten.
„Gut-nicht!“, kommentiert einer der Armand, bevor er Amira mit glänzenden Augen anblickt. „Glück-nicht am Horizont-fern!“ Er deutet auf die „Stolz“ wie auf eine Begräbniszeremonie. Obwohl seine Worte kaum verständlich sind, schwingt berechtigte Sorge darin mit.
 1. Schiff der Armanden

Simue

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Ib - Verschollen in der Ferne
« Antwort #33 am: 26.09.2010, 10:48:13 »
Amira hatte sich an Bord des Schiffes überraschend wohl gefühlt. Nach Monaten der Flucht, in denen sie nachts kaum zu schlafen gewagt hatte, war ihr der Ausblick einer Schiffsfahrt wie ein gutes Omen erschienen, genau wie die seltsame Silbermünze, die sie nur einen Tag vorher gefunden hatte.

Die schaukelnde See machte ihr nichts aus - vermutlich das Ergebnis der vielen Balance-Übungen, die sie im Laufe ihres Lebens hatte vollführen müssen. Trotzdem verbrachte sie die ersten Tage vor allem unter Deck. Aus Angst.

Sie zeigte es niemandem, so wie sie nie jemandem ihre wahren Gefühle gezeigt hatte. Doch was geschehen war, was sie herausgefunden hatte, hatte ihr jedes Gefühl der Sicherheit geraubt. Die kleine, dunkle Kammer, die man ihr zugewiesen hatte, war genau das, was sie sich im Moment wünschte. Am liebsten wäre sie nie mehr dort herausgekommen. Selbst der ewige Geruch nach Meerestieren störte sie nicht weiter.

Am dritten Tag hatte sie das erste Mal eine ganze Stunde an Deck verbracht. Es war eher das Bedürfnis nach ein wenig Frischluft als nach Gesellschaft, doch die kleinwüchsigen Matrosen hatten die Gelegenheit gleich genutzt, sie anzusprechen. Ihre Antworten waren knapp ausgefallen. Ja, sie hatte sich sogar bemüht, abweisend zu wirken. Aber im Vergleich zu den Firopolesen war sie offenbar immer noch ein hervorragender Gesprächspartner.

Als sie irgendwann, eigentlich nur aus Langeweile, einem der Armanden beim Knoten einiger Taue half, hatte sie wohl endgültig die Freundschaft der Seefahrer gewonnen. Sie hielt dennoch Abstand, kam nie von sich aus auf die Armanden zu, und es dauerte ganze drei Wochen, bis sie das erste Mal jemandem von der Mannschaft ein Lächeln geschenkt hatte.

Sie traute den Seefahrern immer noch nicht, ebenso wenig wie den Firopolesen. Jedes Gesicht, ob nun freundlich oder nicht, mochte eine Maske sein. Sie war zu einem Beutetier geworden, und wenn sie im falschen Moment nicht aufpasste, würde man sie packen und töten. Wäre sie doch nur nicht Agrenons persönlicher Liebling gewesen...

Sie lacht leise, während sie, einem Gefühl folgend, aufs Deck geht. Das hätte nichts geändert. Ob man sie nun tot sehen wollte, oder unbedingt tot sehen wollte, was machte das schon für einen Unterschied?

An Deck beobachtet sie, so gut sie kann, die Szene auf dem anderen Deck. Ihre Stirn ist in sorgenvolle Falten gelegt. Sie sorgt sich nicht um die Fremden auf dem anderen Schiff, nein, sie sorgt sich darum, dass die Situation etwas mit ihren Häschern zu tun haben könnte. Sie geht an der Reling in die Hocke, scheinbar, um auf eine Höhe mit ihrem Gesprächspartner zu kommen. Tatsächlich geht es ihr darum, nicht so sehr hervorzustechen. Ein schlechtes Ziel abzugeben.

"Du  hast Recht", kommentiert sie die Worte des Armanden. "Das ist nicht gut. Schlecht."

Sie sieht den kleinen Mann neben sich an. "Ich sehe nicht viel", erklärt sie, und deutet mit Mittel- und Zeigefinger auf ihre Augen, während sie den Kopf schüttelt. "Was genau passiert da?"
« Letzte Änderung: 26.09.2010, 11:26:19 von Amira »

Ansuz

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Ib - Verschollen in der Ferne
« Antwort #34 am: 28.09.2010, 22:12:00 »
Die „Mèo“ ähnelt einer gepanzerten Seeschlange, schlank, flach und vorn spitz zulaufend. Ihr Schwanzende bildet ein sich mehrere Schritt aus dem Ozean erhebendes Heckruder, komplett aus der Schwinge einer alten Wyver gefertigt. An ihren Seiten sind fächerförmige Segel befestigt, deren äußere Enden gerade so die Wasseroberfläche berühren. In ihren magischen Fasern ruhen die Elementare, die sich das Schiff ohne großes Zutun der Mannschaft bewegen lassen. Dementsprechend klein ist die Besatzung.
Dafür sind umso mehr Firopolesen an Bord. Die sind es auch, die wie wild in ihren Zauberbüchern blättern, sich laut flüsternd über die einmal mehr offensichtlich werdende Barbarei der Hegemonialen mokieren und über den Armanden aufragen, als seien sie deren natürliche Herren. Ephedrius strahlt spürbare Ungeduld aus, Zeichen einer Person, die es gewohnt ist zu bekommen, was sie wünscht.
Der Armand neben Amira sieht sie aus großen, dunklen Augen an, die im Licht der Monde glänzen wie die Pupillen einer Katze. Sonst erinnert nichts an die leisen Begleiter der Menschen. Eher erinnert er an eine Mischung aus aufrecht gehendem, teilweise behaartem Gürteltier und einem Zwerg. Besonders in der Breite ihrer Schultern sind sich die beiden Rassen sehr ähnlich. Zwei der augenfälligsten Unterschiede sind ihre langen Krallen und die von Tasthaaren bedeckte Schnauze.
„Viel Gut-Nicht da!“, näselt er. „Fell-Lang unter Omen gut-nicht. Kurz-Fell heil-nicht, verliert Leben-Groß! Mannschaft gut-nicht für Fell-Lang. Viel-nicht in ihrem Schatten. Felle-Kurz glauben, Fell-Lang hat Leben-Groß genehmt. Furia brennt!“
Er deutet nach oben, zu einem der beiden Monde. Seine Worte sind schwer verständlich wie immer. Insbesondere ihr unbeholfener und stark von ihrer Mundart beeinflusster Gebrauch der Handelssprache sorgt unter den Firopolesen regelmäßig für Hohn und Gelächter, das erst verstummt, wenn die kleinen Kerle wie selbstverständlich mit gebundenen Elementargeistern umgehen.

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Ib - Verschollen in der Ferne
« Antwort #35 am: 30.09.2010, 00:03:53 »
Amira strengte sich an, den Armand zu verstehen, aber manche Worte waren ihr einfach nicht klar. Sie sah den fremdartigen Seemann mit gerunzelter Stirn an. "Viel-nicht? Furia? Was meinst du damit?"

Sie sah hinüber zu dem Schiff. Irgendjemand hatte jemand anderen ermordet, oder zumindest sah es danach aus. Wenn es eine Täuschung war, würde das durchaus zu ihren Häschern passen. Konnte es sein, dass sie sie bis hierher verfolgt hatten? Dann würde sie auch auf der anderen Seite des Wassers keine Ruhe finden...

Alles in ihr schrie danach, sich herauszuhalten. Doch sie wusste, dass sie eine mögliche Gefahr damit nur länger herauszögern würde. Wenn du nicht weißt, was auf dich zukommt, agiere als Erste...

"Wie schnell können wir dort sein? Vielleicht können wir helfen."

Mir, allem voran.

Ansuz

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Ib - Verschollen in der Ferne
« Antwort #36 am: 09.10.2010, 12:11:12 »
„Furia!“, brummt der kleine Seemann und zeigt mit einer Kralle nach oben. Am Himmel stehen nicht nur die Sternbilder, sondern vor allem die zwei Monde, einer grau, fast kränklich, der andere feurig rot[1] und Symbol der Leidenschaften, denen sich die Sterblichen täglich ausgesetzt sehen.
Er scheint seine nächsten Worte mit Bedacht zu wählen. Es scheint schwierig, sein Idiom in die Handelssprache zu übersetzen. „Viel-nicht...!“, murmelt er. „Nicht viel?“, fragt er dann mit hoffnungsvoll erhobenem Kopf.
Die „Stolz von Moesa“ ist inzwischen in Reichweite der von gebundenen Irrlichtern gespeisten Lampen der „Mèo“. Die Matrosen sehen blinzelnd zu dem fremdartigen Gefährt herüber, beschirmen sich teilweise die Augen und lassen so manchen Fluch los. Offenbar schätzen sie die Einmischung nicht allzu sehr. Kein Wunder, haben ein paar doch bereits die Frau eingekreist, während zwei weitere ihrem Kapitän aufhelfen. Jener hält sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Seite und reagiert gar nicht erst auf das nahende Begleitschiff.
Einer der Firopolesen auf der „Stolz“ ruft Ephedrius etwas auf Vulgärdrakonisch zu. Die beiden wechseln einige Worte, denen Amira mit ihren begrenzten Sprachkenntnissen nur bedingt folgen kann. Offenbar wird dem Magister rasch die Situation erklärt. Er nickt, holt Luft und ruft „Lasst ab von ihr!“, als sei sein Wort Befehl.
Der erwünschte Effekt bleibt aus. Schweigend hebt einer der Kerle den Mittelfinger.
 1. siehe Hintergrund

Simue

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Ib - Verschollen in der Ferne
« Antwort #37 am: 09.10.2010, 12:54:55 »
Furia, natürlich. Sie war es so gewohnt, die Worte der fremdartigen Seemänner zu hinterfragen, dass sie nicht einmal mehr den Namen des Mondes erkannt hatte. Furia brennt... ja, alles sah danach aus, als wären die Seemänner auf dem anderen Schiff nicht gerade bei kühlem Verstand. Eigentlich sollte sie das nicht weiter stören, aber so etwas könnte sich auch gegen sie wenden. Insbesondere, wenn es zu einem Plan gehörte, einem Plan ihrer Verfolger...

Sie nickte dem Seemann zu, um ihm zu zeigen, dass sie verstanden hatte. "Würden die anderen Seemänner auf euch hören?" fragte sie bedacht langsam. "Könnt ihr sie beruhigen?"

Sie durfte sich auf keinen Fall selbst zwischen die Fronten bringen. Aber das hieß nicht, dass sie keinen Einfluss nehmen konnte.

Wenn die Armand keine Möglichkeit sahen, würde sie mit einem der Magier sprechen müssen. Aber das würde schwierig werden. Dadurch, dass sie die Etikette beherrschte und wusste, wie sie mit den überheblichen Männern umzugehen hatte, nahmen die Firopolesen ihre Anwesenheit hin. Aber echter Respekt sah anders aus. Und die Seemänner auf dem anderen Schiff würden sich auch nicht ohne weiteres unter das Kommando der Magier stellen.

Ansuz

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Ib - Verschollen in der Ferne
« Antwort #38 am: 15.10.2010, 00:22:33 »
Einige umstehende Armand sehen Amira ebenso erstaunt an wie ein junger Firopolese, der in der Nähe steht und bisher seinen Magister angehimmelt hat.
„Viel-nicht Wissen! Groß-nicht Sprache, nicht Fell-Lang!“, nickt der Kleine ihr zu. „Sprache wichtig-viel, aber viel-nicht bekannt. Fells und wir gleich-nicht.“
Er senkt bedauernd den Kopf. Einer seiner Artgenossen mischt sich ein: „Hilfe wollen-nicht-viel!“ Verstimmt deutet er auf das Deck der „Stolz“. „Fern-nicht Urteil!“
Ephedrius, der gar nicht erst daran denkt, sich an die wesentlich ruhigeren Armanden zu wenden, plustert sich auf, als ändere das etwas an der Abwehrhaltung der Matrosen. Wahrscheinlich glaubt er, dutzende Meilen vom nächsten Stück Land entfernt immer noch die selbe Autorität wie in Novopolis zu genießen.
„Ich verlange eine parteilose Schilderung des Geschehens!“, tönt er aus voller Brust.
„Die Dirne hat mich abgestochen!“, keucht der fremde Kapitän. Er scheint sich kaum noch auf den Beinen halten zu können. „Schafft einen verdammten Heiler heran, anstatt Euch aufzuspielen!“
Für einen Augenblick starrt ihn Ephedrius brüskiert an, bevor er kurz mit der Hand winkt, als lasse er einen Gedanken fahren. Die Armanden sehen sich gegenseitig an, bevor einer unter Deck verschwindet. Sie beklagen sich nicht, wie immer. In ihren Augen ist selbst diese Art der Behandlung eine wertvolle Erfahrung, die ihnen später zugute kommen wird.
„Er lügt!“, zischt die Beschuldigte. „Er steht mit dunklen Mächten im Bunde! Ich habe gesehen, wie jemand aus dem Schatten trat!“
Sofort legen die Männer um sie herum ihre Hände auf die Griffe ihrer Entermesser, allerdings nicht wegen des geäußerten Verdachts, sondern den Anschuldigungen, die sie ausstößt. Auf das Paktieren mit den Mächten des Schattens steht im Hegemonium die Todesstrafe.
Der fremde Magister scheint völlig überfordert. Er tauscht einige schnelle Worte mit der zweiten Frau an Bord aus und sieht dann hinüber zur „Mèo“, in den Augen die stumme Bitte, die Situation nicht eskalieren zu lassen. Sein suchender Blick trifft Amira, streift aber über sie ebenso hinweg wie über die restliche Besatzung der Oneék.

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Ib - Verschollen in der Ferne
« Antwort #39 am: 15.10.2010, 09:53:48 »
"Also dann, die Herren Magier..." ging es Amira durch den Kopf. Der Hinweis auf dunkle Mächte beruhigte sie nicht gerade.

"Herr Magister", wandte sie sich an den Firopolesen, "verzeiht meine Einmischung aufgrund der Dringlichkeit, doch ich fürchte, wenn ihr nicht schnell eure Autorität unter Beweis stellt, werden euch die Seeleute danach überhaupt nicht mehr als Autorität wahrnehmen. Darf ich euch in dieser Angelegenheit beratend zur Seite stehen? Ich kenne mich einigermaßen mit diesem doch sehr gefühlsgetriebenen Volk aus."

"Wenn ich die Autorität auf meiner Seite habe, habe ich so viel Sicherheit, wie ich in dieser Situation haben kann..."

Ansuz

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Ib - Verschollen in der Ferne
« Antwort #40 am: 19.10.2010, 23:14:12 »
Blinzelnd dreht sich Ephedrius zu der unverschämten Söldnerin um, die ihn anzusprechen wagt. Seine Verblüffung über derart unverfrorenes Verhalten steht ihm deutlich ins Gesicht geschrieben, bevor er die Augenbrauen zusammenzieht und sie anfunkelt, als habe sie seinen grandiosen Plan ruiniert.
„Ich bitte um etwas Zurückhaltung, junge Dame! Es handelt sich hierbei um eine höchst delikate Situation! Eure...Eloquenz...“ - er hebt eine Braue - „ist derzeit nicht gefragt, vielen Dank!“
Damit wendet er sich wieder seinem unfreiwilligen Publikum zu.
„Gibt es Beweise für Eure Anschuldigung, Kapitän?“
Der Angesprochene hebt ungläubig den Kopf, lüftet sein Obergewand und offenbart dem Magister seine unvermindert blutende Wunde. Der Lumpen, den er bisher darauf presste, ist inzwischen völlig durchtränkt. Ephedrius` Gesichtsfarbe ändert sich schlagartig von zürnendem Rot zu bestürztem Weiß.
„Das...“, beginnt er, bricht ab und fängt sich erst einmal, bevor er von Neuem ansetzt: „So klar die Beweislage auch zu sein scheint, so bedarf es doch der Anhörung des Angeklagten, wie uns das firopolische Gesetz lehrt. Beide Seiten muss erlaubt werden, ihre Position darzulegen, sodass eine neutrale Ermittlung begonnen werden kann, die letztendlich zur Wahrheitsfindung führen soll. Sollten die Anschuldigungen der Angeklagten unzutreffend sein, wird das durch eine Messung der arkanen Hintergrundstrahlung leicht zu beweisen sein!“
Die Seemänner starren den Magus wortlos an. Auf dem Gesicht des Kapitäns scheint für einen Moment ein Schatten zu liegen[1], auch wenn das bei Nacht und angesichts seines Zustands schwer festzustellen ist.
„Wir sind nicht in Firopolis!“, knurrt er. „Schafft sie weg!“
Sofort wollen ihm die Matrosen Folge leisten, werden jedoch von der anderen Frau zurückgehalten. Messer blitzen. „Finger weg!“, blafft einer der Kerle. „Oder gehörst du auch dazu?“
Entweder Amira handelt jetzt ohne Ephedrius` Segen oder gar nicht.
 1. Motiv erkennen bitte

Ansuz

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Ib - Verschollen in der Ferne
« Antwort #41 am: 30.10.2010, 00:30:14 »
Der fremde Magister hält die junge Frau zurück, obwohl sich sorgenvolle Schatten in sein Anlitz gegraben haben. Sein Schüler scheint wesentlich entspannter, fast zufrieden. Er scheint die feindselige Stimmung der Mannschaft zu teilen. Ein besonders grobschlächtiger Kerl versetzt der Beschuldigten einen Faustschlag, der sie kurz taumeln lässt. Blut spritzt auf das Deck. Sofort sind seine Kameraden über ihr wie ein Rudel Wölfe. Sie hat keine Chance.
Trotz erbitterter Gegenwehr gelingt es ihr nicht, die Männer zurückzudrängen. Im Gegenteil wird sie nochmals geschlagen und gegen die Reling geworfen. Ein Tritt in den Bauch lässt sie ächzend zusammenklappen. Zwei Kerle packen ihre Arme und schleifen sie unter Deck. Ihre heiseren Schreie verklingen mit der sich schließenden Luke.
„Zerah!“, gellt die zweite Frau. Ihre Miene verfinstert sich zu dem Anlitz einer wütenden Rachegöttin. Voll Grimm beschwört sie magisches Leuchten um ihre Hände, während Lichter um ihren Leib zu geistern beginnen. Amira spürt, wie sich sämtliche Härchen an ihrem Leib aufstellen. Plötzlich riecht es nach Schwefel. Sofort beginnen Ephedrius und der andere Magister Gegenzauber zu weben.
Gerade ruft die Maga die letzten Silben ihrer Beschwörung, da erstarrt sie wie ein loderndes Götzenbild. Die magische Energie verliert sich in einer blutroten Wolke, die vom Deck aufsteigt und Glut auf Holz, Menschen, Leinen und Hanf herabregnen lässt. Gleichzeitig erstirbt ihre Stimme zusammen mit allen anderen Geräuschen. Gespenstische Stille breitet sich aus, die Ruhe nach dem Sturm.
Der Kapitän der „Stolz“ flucht, gestikuliert wild und deutet auf die gelähmte Frau. Obwohl seine Worte nicht zu hören sind, ist ihre Bedeutung klar. Zu seinem sichtbaren Missfallen wagt jedoch keiner, seinem Befehl nachzukommen.

Simue

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Ib - Verschollen in der Ferne
« Antwort #42 am: 05.11.2010, 11:53:34 »
Amira starrte auf die Szenerie. Sie musste jetzt handeln, oder den Dingen ihren Lauf lassen. Beides war ein Risiko. Wenn sie sich einmischte, würde sie den Magier gegen sich aufbringen, und riskieren, genau wie die beiden Frauen eingesperrt zu werden - womöglich warf man ihr sogar Mittäterschaft vor, obwohl sie die beiden zum ersten Mal gesehen hatte.

Wenn sie nicht handelte, konnte die Stimmung so sehr umschlagen, dass die Seeleute sich überhaupt nicht mehr um das Wort der Magier kümmern würden. Was dann passieren würde, war nicht abzuschätzen. Sie entschied sich für den Mittelweg.

"Ihr habt gesehen, was beinahe passiert wäre! Ohne die Hilfe der Herren Magier würde euer Schiff jetzt lichterloh brennen! Ihr seid Seeleute, verdammt! Reißt euch zusammen, oder habt ihr alle keine Disziplin gelernt? Die beiden Weibsbilder bekommen eine Verhandlung und, wenn sie schuldig sind, eine gerechte Strafe. Und jetzt kümmert euch um euren Kapitän, oder wollt ihr zusehen, wie er verblutet? Die Herren Magier kümmern sich um alles weitere!"

Wie zu ihrer eigenen Bestätigung nickte sie kurz, und wandte sich dann um, ohne die Reaktion abzuwarten. Wenn sie stehen bleiben würde, würde sie nur riskieren, dass jemand ihre Autorität anzweifelte. Außerdem hatte sie damit mehr als genug riskiert... ab hier würde sie den Dingen ihren Lauf lassen.

Ansuz

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Ib - Verschollen in der Ferne
« Antwort #43 am: 10.11.2010, 23:55:06 »
Amiras Aufruf zur Besinnung stößt überraschenderweise auf offene Ohren. Die Seeleute starren sie an, als sei sie von allen guten Geistern verlassen, von der Grimasse des Kapitäns einmal abgesehen. Doch statt zu protestieren, beeilen sie sich, ihn in seine Kammer zu bringen. Der alte Mann offenbart ein beeindruckendes Repertoire an Flüchen, die er der Welt im Allgemeinen entgegen schleudert.
„Bist du ein Heiler?“, ruft einer der Kerle mit kratziger, vom Alkohol geschmirgelter Kehle hinüber. An die Magi wenden sie sich gar nicht erst. Ebenso gut könnte man einen Behir aufrufen, doch bitte vernünftig mit dem großen Wyrm zu reden. Es handelt sich um zwei verschiedene Welten, die durch Schicksal und nicht Willen zusammengeführt worden. Die Firopolesen benötigten Schiffe und bekamen sie.
Das dritte und letzte der Flottille nähert sich inzwischen ebenfalls der „Stolz“. Es handelt sich um eine sbiranische Galeere, die eigentlich wegen Gewürzhandel in Moesa vor Anker lag. Jetzt transportiert sie weit Wertvolleres. In den Lagerräumen des Oneèk hat sie viel Wundersames sehen können.
Die Verdächtige ist inzwischen unter Deck verschwunden. Ihre Schwester bleibt völlig aufgelöst zurück, gleichzeitig getröstet und in Schach gehalten von dem fremden Magister, der sich so offensichtlich nach Frieden sehnt. Seine Miene hat fast etwas flehendes. Wahrscheinlich ist er es nicht gewohnt, mit einer völlig aufgelösten Frau zu sprechen, deren Augen gerötet vom Weinen sind. Ihre Flanken sind zittrig wie die eines jungen Fohlens vor seinem ersten Ausritt.
„Ähm...ja! Du da, folg mir!“, befiehlt Ephedrius hoheitlich, übergeht die Szene einfach und winkt einen der Armand zu sich heran. Der Kleine zögert nicht, bewegt sich aber auch kaum schneller als eine altersschwache Schildkröte, als er dem arroganten Firopolesen unter Deck folgt.

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Ib - Verschollen in der Ferne
« Antwort #44 am: 11.11.2010, 01:02:15 »
Amira zögerte, als man sie nach ihren heilerischen Kräften fragte. Dazu würde sie auf das andere Schiff wechseln müssen. Mitten in den Konflikt.

Andererseits bekam sie die Chance, mehr heraus zu finden. Angenommen, es gab eine Verschwörung, und es waren nicht ihre Häscher, war es auf jeden Fall gut, vorbereitet zu sein.

Sie drehte sich noch einmal um, und nickte. "Ein wenig beherrsche ich die Heilkünste, ja."

Sie blickte auf den Abstand zwischen den beiden Schiffen, und setzte dann zum Sprung auf das andere Schiff an...