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Autor Thema: Das liederliche Spiel  (Gelesen 83819 mal)

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Hong Gil-dong

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Das liederliche Spiel
« Antwort #345 am: 09.02.2012, 10:33:45 »
"Eintausendzweihundertvierundsechzig"begann Hong."Dies sind die Toten, die das Spiel von Bu Cao gefordert hat. Vier davon habe ich mit eigenen Augen gesehen, die anderen hat er bereits gestanden. Ein weiterer Mord stand vor allen anderen. Der des Reiches. Er erdrosselte den Kaiser und stahl das Herz des Gartens."Unwillig Xū Dǎnshí die Oberhand im Gespräch zu überlassen, widerholte Hong dessen Worte"Zeigt es Chuang Diyan, Bu Cao!"
"Heute werden wir nicht entscheiden was geschehen wird. Heute und hier werden wir entscheiden, wie es geschehen wird. Jeder Tag ist ein Tag des Krieges, des Hungers, des Leides, der Zerstörung. Wir müssen dem ein Ende setzen. Die Menschen brauchen den Garten wieder. Wenn Chuang die Erde nicht an seine Seite holt wird niemand den Garten haben. Holt die Erde an eure Seite indem ihr den Garten wider zu einem Teil von Enwe macht. Dann haben alle Teil am Garten. Dies ist, was wir tun müssen."
Hong fixierte den Blick des Kaisersohnes."Deswegen seid ihr wieder hier. Heute Morgen habt ihr zugestimmt mit Erde zu Verhandeln. Wir haben den Schlüssel zum Garten. Er ist an Bu Cao gebunden und kann durch seinen Tod gelöst werden."Mit einem Seitenblick wandte er sich an Xu Danshi "Wir könnten lange Verhandeln in diesem Verlies, das keine Fenster besitzt, aus denen man das Leid des Landes täglich mit ansehen muss. Wir könnten alle Kaisersöhne zusammenbringen, damit sie sich gegenseitig um den Zugang zum Garten bekämpfen und das Leid noch verstärken. Wir könnten den Wunsch von Bu Cao ignorieren, ihm den erflehten Tod verweigern. Wir könnten riskieren, dass der Narr wieder Oberhand gewinnt und uns das Herz zu verweigern sucht. Aber wir können nicht ignorieren, dass der Schutz seines Lebens mehr Tod und Leid verursachen wird, dass es nicht eine unschuldige Seele sein kann die Eintausendzweihundertvierundsechzig Menschen getötet hat um seinen eigenen Tod herbeizuführen. Wir können ihm nicht die Chance verweigern sich selbst zu opfern um wenigstens einen Teil des Schadens den er seiner Seele zugefügt hat wieder gut zu machen. Wir sollten uns nicht mit der Debatte um das Wohl von Bu Cao aufhalten, sondern unser Handeln auf das Wohl von Enwe und deren Bewohner richten."
Mit einer weiten Geste umfasst Hong das Verlies der Denunzianten."Hier ist ein Inkarnationspunkt der Erde. Ihr müsst hier die Wand hinter der Wand erkennen und verstehen. Dann werdet ihr mit Erde sprechen können."
« Letzte Änderung: 13.02.2012, 16:59:56 von Hong Gil-dong »
Bitterer Tee, mit Wohlwollen dargeboten, schmeckt süßer als Tee, den man mit saurer Miene reicht.

Lu Chieng

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Das liederliche Spiel
« Antwort #346 am: 13.02.2012, 16:20:57 »
Ob wir ihn töten wollen oder nicht wird keine Rolle spielen. Ob wir den Garten erreichen wollen oder nicht bedingt die Notwendigkeit den Narren zu opfern." sagte Lu Chieng, vor allen in Richtung von Xū Dǎnshí gemünzt.

Für Lu Chieng war nicht ganz klar ob er den Narren lieber tod oder lebendig sehen wollte. Das Leben schien ihn zu quälen so war es wahrscheinlich schmerzvoller ihn am Leben zu lassen. Auch wenn Lu Chieng klar war, dass seine Motive die Falschen waren, war es ihm egal er strebte nicht nach Gerechtigkeit sondern nach Rache.

"Ich kann nicht greifen, was die Wand mir sagen will. Ich sehe verschwommene Muster, aber jedesmal wenn ich versuche einen Sinn zu finden, finde ich nichts." resignierte er.
"Furchtlosigkeit ist die Tugend der Narren. Sie entsteht nicht aus Mut, sondern aus mangelnder Vorstellungskraft. Der Weise fürchtet sich und lässt sich trotzdem nicht von seinem Weg abbringen. Er wird nur vorsichtig."

Menthir

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Das liederliche Spiel
« Antwort #347 am: 16.02.2012, 16:45:23 »
05.01.1042 - Tag des Pandas - Mittag

"Ah. Ich sehe.", sagte Chuang Diyan nichtssagend, nickte dem Beamten aus Cui Bao zu und stellte sich demonstrativ ein paar Schritte näher an Hong Gil-dong heran. "Wir überlegen weiter, was das Richtige ist, statt zu handeln. Und schon unterstellt ihr mir wieder «heiße Neigung», wohl wissentlich Entschlossenheit mit Überstürztheit verwechselnd. Ich schätze eure Weisheit, Xū Laoshi, aber ich fürchte, dass das Sammeln allen Wissens, welches möglich zu sammeln ist, so lange brauchen wird, dass das Reich darüber zerfallen wird. Kann das wirklich eure Absicht sein? Dieser Mann hat...ich mag diese Zahl gar nicht auszusprechen, Wesen hinterhältig sterben lassen für seinen Fehler. Und er scheint sich nicht unter Kontrolle zu haben! Welches Wissen brauchen wir denn noch?", Bu Caos zweites Sein flackerte kurz auf, er brüllte wütend dazwischen. "BRINGT MICH UM! ICH KANN IHN NICHT HALTEN!" Er wischte sich sein Blut durch das Gesicht und ließ es dann einfach herablaufen und blickte zwischen den Denunzianten hin und her. "Wie herzlos ist das Menschengeschlecht, dass es einen, der sterben will, mit Leben straft! Wie GRAUSAM IST ES!", schrie er heraus und schubste Mako weg. "IHR WISST NICHT, WAS DAS LEBEN FÜR EINE QUAL FÜR VIELE IST! IHR WISST ES NICHT! IHR HABT ES SELBST HIER NICHT GELERNT!", es war nicht klar, ob Bu Cao oder der Narr sprach, denn es flackerte jetzt wild zwischen beiden hin und her. Der Narr lachte deutlich, als er für einen Moment die Überhand gewann, dann war er wieder Bu Cao.

Chuang Diyan strich sich über den Bart und blickte Hong an. "Ich habe sehe, was ihr meint. Ich sehe, was hinter diesen Wänden ist. Eine alte Zauberformel, wie sie zu tausenden in Gangxi vorkommt, in den unterschiedlichen Tempeln des Elefanten. Es ist ein alter Glauben, namenlos und angeblich mit der Enwe selbst verbunden. Ich habe diese Tempel gesehen, wie viele von ihnen zerstört oder entweiht waren, aber ich habe einen Teil der Schriften darüber sammeln lassen. Der Elefantengott, für den ihn manche erklärten, scheint ein Naturgeist zu sein, von großer Macht, wohlgemerkt. Er wird beschrieben als Bringer der Hindernisse, Rätsel, Weisheit und Intelligenz. Jedoch auch für den Neubeginn[1] und das ist das, was dieser Tempel verspricht, wenn ich mir die alten Schriftformen so anschauen.", gab Chuang Diyan zu, dass er der fremden Sprache durchaus mächtig war.
Er entfernte sich von Hong und schaffte es mit dieser Offenbarung sogar Bu Cao zum Schweigen zu bringen, diesen sogar so sehr staunen zu lassen, dass er sich für den Moment nicht weiter zu verletzten suchte. Chuang Diyan las vor, und er las etwas vor, welches sie bereits weitestgehend kannten. Chuang, dreiunddreißig deines Geschlechts mögen nach dir herrschen, doch hast du dann Feuer und Wasser nicht befriedet und ihnen nicht auf Dauer trotzen können und die Erde nicht wieder an deine Seite geholt, werde ich deiner Herrschaft ein Ende setzen. Dann soll keiner diesen Garten haben. Nimmermehr![2], sprach Qi und vergass sich selbst darüber. Doch Tǔ vergisst nicht, denn alles entsteht aus ihm und wird zu ihm. Und alles, was aus ihm wird, ist sein und so nicht zu vergessen, denn Tǔ gebietet über die Erinnerung aller Dinge, die auf, in und unter ihm geschehen. Seine Augen sind bis ans Ende wachsam. Er kennt die Wahrheit.»"
Chuang Diyan wirkte auf einmal erregt. "Wisst ihr, was dies bedeutet? Kennt ihr die ganze Geschichte und nicht nur die viel tradierten Worte Qis? Dann wird es klar. Wie konnte ich das über all die Jahre nicht sehen!"
Der Kaisersohn griff an die Wand und da passierte es, er griff einfach durch die Wand hindurch.

Myriaden von Farben explodierten von diesen auf den nächsten Augenblick und dann sahen sie das, was ihnen einst beschrieben war. «Sanft in rötlichen, zart rosanen und purpurnen Farben fielen die leichten, meist weißlichen, Blätter von den Bäumen der Kirsch- und Pfirsichbäumen.  Sie bedeckten den Boden und zeugten für die Zeit des Herbstes, der Beginn der Erneuerung. Doch hier, an diesem Ort, ging diese Erneuerung besonders schnell. Während die Blätter fielen, bildeten sich bereits Knospen und deuteten das Erwachen der Natur an. Ein ununterbrochener Vorgang von Verfall und Blüte. Die Einheit von Sterben und Geboren werden. Es war ein Paradies.»

Und nun standen sie plötzlich, auf einmal dort,  unter einem Kirsch- und einem Pfirsichbaum, welche besonders mächtige Bäume waren, während die Blüten auf ihre Schulter fielen und sofort verwelkten. Ein Prozess, soweit das Auge reichte, entweltlich, der künstlichen Grenzen enthemmt. Sie sahen, dass in der Ferne Bäume verdorrten, starben, neue Triebe aus den Überresten emporwuchsen und so neue Bäume wurden, doch nie waren sie gleich. Das Bild der Schönheit des Gartens war unbeschreiblich, die Schönheit nur in ihrem steten Wechsel ewig. Nur die beiden alten Bäume schienen diesem Zyklus zu trotzen, aber nicht ganz widerstehen zu können. Sie waren alt und im Sterben, das erkannte jeder sofort. Ware es der letzte Atemzug der Ewigkeit, in dem sie Blätter verloren? Würde sie noch einmal in neuen Kleid der Knospen stehen. Bu Caos Blut wurde vom Boden sofort aufgesogen, während dieser sich fassungslos umblickte, wie auch Chuang Diyan. "Ich habe nur...", sagte er stotternd, mit der Fassung ringend, "die Wand berührt."
"Ich will, dass ihr bedeutend seid.", sagte eine alte Stimme, krächzend wie brechender Schiefer oder ein alter Baum im starken Wind. Es war die Stimme, die Tǔ zuordnen konnten. Chuang Diyan blickte fassungslos zwischen Xū Dǎnshí und Hong Gil-Dong hin und her. Sie hatte es mit Bu Cao, mit dem Narren, in den Garten geschafft. Ohne es zu wissen, waren sie wahrscheinlich die ganze Zeit im Garten. Wie konnte das passieren? Tǔ bewegte sich sanft und alle kleinen Bäume schüttelten ihr frisch gewonnes Kleid, nun fahl und braun geworden, wieder ab. "Ich will, dass ihr von Bedeutung seid.", sagte die schroffe Erde abermals.
 1. Dieser Elefanteninkarnation, ob nun Gott oder nicht, entspricht Ganesha
 2. Der kursive Teil, ist natürlich der, welcher euch bekannt ist.
« Letzte Änderung: 25.02.2012, 18:17:38 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Xū Dǎnshí

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Das liederliche Spiel
« Antwort #348 am: 18.02.2012, 15:22:16 »
Danshi verfolgte die Ausführungen des Kaisersohns und war ein wenig beruhigt, als seine Aufmerksamkeit zunächst eher den alten Legenden galt, als der Hinrichtung des Attentäters. Er verfolgte mit den Augen die Bewegungen des Mannes und wollte gerade etwas erwidern, da erkannte er erstaunt, wie Chuang Dyan durch die Wand griff und war noch viel überraschter, als er sich und die anderen im allernächsten Moment an einem Ort, ja, übernatürlicher Schönheit wiederfand. "Das... ist...", stammelte er unwillkürlich und ohne den Satz zu vollenden. "Hier..., ja hier... muss die... Weltenseele... am deutlichsten zu sehen sein.", sagte er und bekam sich nur langsam wieder in den Griff. Er machte einige Schritte und betrachtete Bäume und Blumen, Entstehen und Vergehen."Seht, dies ist der Kreislauf allen Lebens. Seht diese Pracht an farbenfrohen Blüten. Das... wunderschöne...", wieder brach er ab und wandte sich um zum Kaisersohn, um dessen Gesicht zu schauen.

Dann wanderte aber sein Blick weiter zum Attentäter und mit einem Schlag wurden seine Gesichtszüge wieder ernst und sein Mund zu einem Strich. "Wir sollten sehr achtsam sein, Chuang Dyan. Noch immer liegt der Fluch Qis auf diesem Mann und damit ist Qi auch im Garten präsent. Gib acht, Bu Cao, wir beobachten Dich.", sagte er streng.

Und erst jetzt reagierte er auf Tusama. "Ich bin ehrlich verwirrt, Tusama. Was bedeutet es, dass wir nun im Garten sind? Aber wie es nun sei, Euer erster Wunsch sei erfüllt, wir haben den Garten betreten. Ihr sagtet, wir seien von Bedeutung, wenn wir den Garten wieder zu einem Teil Enwes machten. Weiterhin wünschtet Ihr Euch Frieden für die Welt. Und drittens sagtet Ihr, dass die Urintrinker aufgehalten werden müssten."[1] Danshi atmete noch einmal die herrliche Luft ein, bevor er weitersprach. "Kaum je hätten wir uns Hoffnung gemacht, den Garten zu betrachten, und auch konnten wir uns niemals ernsthaft überlegen, was wir dann tun würden, wenn wir es doch schafften. Auch gibt es keine Gelehrten, die darüber schrieben. Tusama, man sagt, Ihr seid das Gedächtnis der Welt und kenntet die Wahrheit. Sagt uns, welche Möglichkeiten bieten sich uns jetzt, unser Ziele zu verfolgen?"
 1. Hier und hier, insbesondere:
Frieden (Anzeigen)
Von Bedeutung sein (Anzeigen)
« Letzte Änderung: 29.02.2012, 12:35:40 von Xū Dǎnshí »

Sūn Ai

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« Antwort #349 am: 05.03.2012, 21:08:57 »
Gespannt verfolgt Sūn Ai alles mit. Zunächst das restliche Gespräch zwischen Xū Dǎnshí und Hong Gil-dong. Dann das Eintreffen des Kaiserssohn, welchen sie angemessen und höflich begrüßt. Ai machte sich sorgen um Cu Bao, da seine Situation schlimmer wirkte als zu vor. Wie lange würde er sich noch unter Kontrolle haben? Würde er am Ende vielleicht gar selbst die Waffe gegen sich richten, nur damit das Leid ein Ende nahm? Sūn Ai war sich unsicher darüber, wusste sie ja selbst nicht mal, was ihrer Meinung nach mit ihm geschehen sollte. Ihr Aufmerksamkeit flog ständig zwischen den Geschehen hin und her, bis es plötzlich beim Kaiser stehen bleibt. Sie hatte gerade noch das Wort "Zauberformel" war genommen, da Griff der Kaisersohn schon an die Wand und die Explosion der Farben nahm der jungen Frau für einen Moment die Sinne. Hatte sie zu vor nichts von der Illusion mitbekommen, erschütterte das Auflösen dieser, sie umso mehr.

Wie stets in den letzten Tagen, es schien wahrlich schon mehr als nur eine Gewohnheit zu sein, plagte sie die Unsicherheit, als sie wieder zu sich kam. Immer mehr Fragen häuften sich in ihr an und obwohl sie auch Antworten erhielt, schienen doch die Fragen nie zu enden. Still stand sie da betrachtete Ihre Umgebung. Die Bäume faszinierten sie, steckte sie doch schon seit ein paar Tagen in fahlem Gestein fest. Es dauerte einen Augenblick bevor sich ihre Blicke wieder lösen konnten. Der Moment schien wichtig und sie fühlte sich so, als müsse sie etwas sagen, aber zur gleichen Zeit kamen ihr alle Worte, die ihr einfielen, nicht klar und bedeutend genug für das Geschehen. Daher beruhte sie weiterhin darauf, einfach zu beobachten, darauf wartend, dass noch etwas passiert. Vor allem auf die Reaktion Bu Caos war sie gespannt.
« Letzte Änderung: 11.03.2012, 01:37:26 von Sūn Ai »

Lu Chieng

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« Antwort #350 am: 07.03.2012, 17:58:05 »
Verwirrt schaute sich Lu Chieng um. Seine Hände streichelten liebevoll über die Rinde des Baumes, der am nächsten zu ihm stand, während er langsam die frische Luft einatmete.

"Hier könnte ich bleiben." Tut er kund, während er von Erde zum Prinzen und wieder zurück guckt. Irgendwie erwartete er, dass der Sohn des Kaisers eine Lösung haben würde. Immerhin war er für solche Situationen ausgebildet worden: "Nein, ist er natürlich nicht." verbesserte er sich selbst. Denn wer war das schon?
"Furchtlosigkeit ist die Tugend der Narren. Sie entsteht nicht aus Mut, sondern aus mangelnder Vorstellungskraft. Der Weise fürchtet sich und lässt sich trotzdem nicht von seinem Weg abbringen. Er wird nur vorsichtig."

Menthir

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« Antwort #351 am: 10.03.2012, 19:32:11 »
Verloren in der Zeit - Ewiger Tag

Tǔ trieb den Wechsel aus Verfall und Geburt, Blüte und Verwesung voran, sodass jenes Zeitgefühl, welches im Gefängnis schon zu Ersterben drohte, völlig schwand. Hier gab es keine Tage und keine Nächte, nur die einen ewigen Zyklus des Wachstums und des Verfalls, eine Mikrokosmos des Lebens, der keine Nacht im klassischen Sinne benötigte, obgleich mit jedem Augenzwinkern das Stand der Sonne ein anderer war und unterschiedliche Lichtverhältnisse herrschten. Doch die Sonne kreiste nicht um den Garten, sondern nur über dem Garten, wie auch immer das möglich war. Tǔs Atmen war schwer, doch es war nur das Knarren dieses uralten und unveränderlichen Baumes, der Tǔs Stimme war und nicht die gesteinsartige Stimme, die er im Marmor innehatte und doch blieb Tǔs Stimme unverkennbar. Diese Gefühl blanken Lebens, welches einen durchströmte und selbst den Narren zum Schweigen brachte, wie eine Mutter ihr kreischendes Kind zum Schweigen brachte, indem sie es an ihre Brust drückte. Chuang Diyan kam genauso wenig aus dem Staunen heraus und so mochten Sekunden, Minuten, oder Jahrzehnte vergangen sein, die sie in diesem Garten standen. Wer konnte dies schon wirklich sagen?

Die Zeit riss nicht am Wesen der Besucher, und doch spürten sie, wie es sie veränderte. Niemand, der diesen Ort betritt, konnte als der Mann gehen, als der er diesen Ort betrat. Dieser Ort war ein Ort des Wechsels und jeder Blick eröffnete eine Myriade unendlicher, nicht alleine durch Verstand und auch nicht allein durch Sinne fassbare Eindrücke und doch vermengte sich alles in dem grundsätzlichen Gefühl des Wohlbefindens, des Angekommenseins. Ein fast perfektes Paradies, doch irgendetwas fehlte, das spürten auch die Denunzianten. Irgendwas fehlte ihnen, und man spürte es unterschwellig. Tǔ hakte in diesen Gedanken ein.
"Das Richtige zu tun ist nicht immer eine Frage des Verstandes, da wir nie über alles Wissen verfügen, weil wir nie alles verstehen und weil wir nie alles erblicken können und doch ist das Richtige Nichts zufälliges. Manche spüren es, und Menschen sagen, dass es ihnen so gehe, wenn sie auf ihr Herz hörten, andere Menschen glauben, es würde in ihrem Verstand liegen. Ein Zwerg glaubt dies im Stein zu lesen und ein Elb mag die Wahrheit in der glorreichen Vergangenheit sehen. Jeder Moment hat seine Richtigkeit und doch ist das Richtige nicht allgemein zu fassen. Das Richtige ist unendlich und nicht greifbar, wie es für uns Sterblichen die Götter und die Unendlichkeit an sich ist. Das Richtige kann uns dennoch durchdringen. Manchmal tut es das für einen kurzen Moment, manchmal tut es das für eine gefühlte Ewigkeit. Jenes nennen wir manchmal Gewissen, manchmal nennen wir es Schuld. Manchmal verzweifeln wir auf unserer Suche nach dem Richtigen, manchmal ignorieren wir das Richtige und verzweifeln daran. Manchmal ist das Richtige eine Idee, die uns überfällt, manchmal ist das Richtige für uns das Ergebnisse eines langen Gespräches und manchmal erkennen wir das Richtige erst nach Jahrzehnten des Krieges, selbst wenn das Richtige im Nachhinein trivial erscheinen mag und manchmal, da erkennen wir das Richtige nie. Ist, was ich will, das Richtige?"
Die beiden, sterbenden Bäume bewegten ihre Äste sanft. Tǔ war mehr als ein Wesen, es war mehrere Wesen oder ein Ganzes? Es war so furchtbar schwer zusagen, aber es erklärte seine Mehrstimmigkeit.
"Und kann das Falsche nicht manchmal das Richtige sein? Oder tun wir nicht manchmal das Falsche, indem wir das Richtige tun wollen und obwohl wir das Richtige kennen? Schaut euch um, in diesem Garten? Was ist Richtig, was ist Falsch? Blüte, Verfall, eine Harmonie, eine Disharmonie? Auch ich kann wenig mit Gewissheit sagen, aber ich weiß, dass es das Richtige ist, dass ihr von Bedeutung seid."

Tǔ schwieg ein paar Zyklen der Geburt und des Sterbens, wie Tǔ es gerne tat, wenn er nachdachte. "Die Unendlichkeit ist nicht ermessbar, aber erfahrbar. Das ist jenes, was ihr tun müsst. In der Unendlichkeit der Möglichkeiten müsst ihr das Richtige erspüren. Ihr seid hier nach der unterschiedlichen Wegen, habt unterschiedliche Geister und unterschiedliche Seelen und doch ein paar Gemeinsamkeiten. Ihr habt versucht zu lernen, was Leben bedeutet und die grausame Welt zeigte euch, was der Tod und das Sterben bedeutete. Ihr habt andere lachen, ihr habt andere weinen sehen. Ihr habt gesehen, wie manche Verhungerten, ihr habt Hungernden Brot gebrochen. Ihr habt den Fetten für seine Gefräßigkeit gestraft und doch habt ihr manchmal dem Gefräßigen doch auch ein Brot gebrochen. Ihr hab das Menschsein gespürt, doch habt ihr alles daran erkannt? Ich existiere seit Äonen und kenne nicht viel von mir und ich beobachte mich jeden Tag. Geht in euer Innerstes und sagt, was ihr zu tun gedenkt."

Die beiden Bäume begannen sich zu verkrümmen. Mit einem furchtbaren Krachen brachen ihre Stämme offen und offenbarten das eine Dunkelheit in ihnen, die wie Tore in das Nichts wirkten, während gleichzeitig von jedem Baum ein schwerer Ast hinabfiel und im weichen, durchmoosten Gras liegen blieb. "Ich kann euch in dieser Unendlichkeit der Möglichkeit nur vier Pfade zeigen. Doch kein Pfad ist ein Pfad ohne Konsequenzen.

Ihr könnt einen Knüppel nehmen und erschlagt den Narren, um sein Possenspiel ein für alle Mal zu beenden, denn wenn der Geist des Ouroboros hier stirbt, werde ich ihn hier fangen. Damit wäret ihr freie Männer. Doch der Garten wird dadurch verdorben werden.

Ihr könnt einen Knüppel nehmen und den Kaisersohn erschlagen, um die Herrschaft der Chuang zu beenden und die Prophezeiung in Erfüllung gehen zu lassen. Dann wäret ihr freie Männer. Doch damit schließt ihr den Garten für alle Zeiten.

Ihr könnt durch die Tore gehen, um den Garten der Macht der Kaiserfamilie zu entreißen. Ihr und ich würden dieses Gefängnis verlassen und der Kontinent würde an allen Enden und dazwischen wieder blühen. Doch eure Körper würden sterben, denn sie wären das Opfer, um die Macht der Kaiser zu brechen.

Oder ihr könnt hier bleiben und alles außerhalb des Gartens geht jenen Gang, den es bisher immer ging, bis jemand anderes den Garten gewinnt. Doch dann werdet hier ein Teil des ewigen Zyklus.

Das sind die Pfade, die ich euch weisen kann."

Mehr sagte Tǔ nicht dazu, während der Kaisersohn und der Narr sich langsam wieder aufrichteten. Hatte die Natur um sie herum etwa gesagt, dass man sie töten könnte? Besorgt blickten beide auf die Knüppel.
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Xū Dǎnshí

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Das liederliche Spiel
« Antwort #352 am: 12.03.2012, 22:03:13 »
Danshi hatte während Tu sprach den Blick nicht von diesem fantastischen Schauspiel der Natur nicht losreißen können. Er war so gebannt von dieser Wechselspiel zwischen Schönheit und Verfall, dass er Tu nicht einmal richtig zuhören konnte, bis... ja bis Tu selbst die Disharmonie ansprach. Und da öffnet es Danshi mit einem Mal die Augen und er wendete sie ab und hin zu Tu. Mit einem Mal spürte er etwas in sich. Freilig nichts, was er benennen konnte. Doch etwas, von dem er wußte, dass er schon sehr lange danach gestrebt hatte. Ihm wurde gleichzeit schwer und leicht ums Herz.

Schwere Erinnerungen, die in ihm hochstiegen. Da war der Krieg und die vielen Kameraden, die er an die berittenen Stämme verloren hatte. Die Verwundungen, der Hunger, das brennende Haus. Erst jetzt spürte er, dass diese Wunde nie verschloßen gewesen war, ja nicht einmal vernarbt war. Die Zeit heilt halt doch nicht alle Wunden. Er hatte es immer mit sich herumgetragen und dieses intensive, erfahrene Leiden war die Triebfeder seines ganzen weiteren Suchens gewesen. Ziellos, sicherlich, zunächst. Er war mit letzten Kräften an den Hof zurückgekehrt, hatte sich dort als Held feiern lassen, ohne innerlich selbst an den Feierlichkeiten teilzunehmen. Es war die Konkurbine Xuan-Xuan, die ihn zurück ins Leben geholt hatte. Mit ihrer feinen Art, die einen ganz in die Freude des Moments eintauchen ließ. Jetzt verstand Danshi, warum er sich mit ihr lebendig und ohne sie tot gefühlt hatte. Er konnte sich in ihr verlieren. Doch in der wenigen Zeit ohne sie wußte er, dass die Erlösung nicht in ihr lag, sondern in ihm selbst. Sie hatte dies gespürt und ihn darum gedrängt, in die Provinz Bui Cao zu gehen. Und dort wurde er freier, indem er sich nicht mehr so viel mit sich selbst beschäftigte. Er nahm Anteil am einfachen Leben und sorgte sich um die Menschen um ihn herum. Schnell war ihm bewusst geworden, dass weder Heil noch Erlösung vom kaiserlichen Hof zu erwarten war und hatte sich so gegen ihn gestellt. Das war seine Geschichte.

Leicht wurde ihm ums Herz, da er spürte, dass er sie zum letzten Mal durchlebt hatte und nun bereit war, loszulassen. Es war nur dieses einzige Wort, 'Disharmonie', das Tu hier ausgesprochen hatte. Wo anders wäre es Danshi nicht aufgefallen, doch hier im Garten hatte es eine Bedeutung, die er kaum Beschreiben konnte.

"Tusama, ich danke Euch, denn Ihr habt mir die Augen geöffnet. Das Schauspiel ist so atemberaubend, so wunderschön, dass ich mich fast in ihm verloren hätte. Doch Ihr sagtet etwas, dass mich erkennen lässt, dass der Garten doch nichts außergewöhnliches ist. In ihm zeigt sich der Kreislauf von Leben und Tod, das Samsara, nur deutlicher als irgendwo anders. Das Entstehen des Lebens... einzigartig und schön. Und das Vergehen des Lebens... schmerzlich und leidvoll. Im ersten Moment habe ich nur auf die Blüte gesehen - und es beschämt mich nicht zu sagen, dass ich dem Garten beinahe so angehaftet hättet, dass ich es vorgezogen hätte, für immer in ihm zu bleiben und Teil des ewigwährenden Kreislaufes zu bleiben. Doch wir Buddhisten wissen, dass alles Sein auch Leiden bedeutet. Wäre ich Teil des Gartens geworden, hätte ich für immer und ewig gelitten."

Danshi atmete ein und wieder aus. Sein Gesicht zeigte jetzt eine Unbekümmertheit und Zuversicht, wie ihn nur sehr alte und weise Mönche zeigen. "Ein Glück, habt Ihr es mir gezeigt. Und ja, ich bin bereit loszulassen. Ich habe nichts, was mich hier in Chuang noch bindet. Mein Ableben bedeutet gleichzeitig, dass ich das Leid der Menschen lindern kann. Der Garten wird wieder allen zuteil und ich habe gelehrt, was ich konnte, dass die Menschen den Reichtum der Natur einvernehmlich teilen können. Jetzt liegt es in ihrer Verantwortlichkeit, daraus die richtigen Entscheidungen zu treffen.", Danhsi lächelte, "Gewiss werden sie ihre eigenen Gedanken hinzufügen und mich darüber im Laufe der Zeit vergessen. An meinen Namen wird sich niemand mehr erinnern. Umso besser! Ich habe alles getan und ich bin nun fertig. Es gibt nichts mehr zu bedauern und nichts mehr hinzuzufügen.", sagte er.

"Drei von 1262 haben sich geopfert. Die Humanoide müssen noch viel lernen.", führt er in Gedanken weiter aus. "Doch ich habe versucht ein Vorbild zu sein und vielleicht werden nach mir noch viel andere die Erleuchtung erfahren - ob mit oder ohne meine Lehren. Mein letzte Tat wird den anderen Denunzianten vielleicht ein Vorbild sein, den Humanoiden von Chuang das Leiden erleichtern und mir selbst Frieden bringen. Es ist alles ganz einfach."

Unbekümmert ging er an Tusama und den Denunzianten vorbei. "Mit dem Durchschreiten des Tores endet mein irdisches Leben. Indem ich dem Samsara entsage, mache ich mich bereit für das Nirwana. Ich habe zum ersten Mal keine Angst mehr. Ich bin frei. Lebt wohl!"

Damit schritt Danshi durch das Tor.
« Letzte Änderung: 12.03.2012, 22:42:08 von Xū Dǎnshí »

Hong Gil-dong

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« Antwort #353 am: 15.03.2012, 10:42:43 »
Mit offenem Mund stand Hong da. Versunken in die Herrlichkeit des Gartens. Verloren in der Freiheit des Entstehens und Vergehens. Und nun soll er entscheiden, diese Freiheit aufzugeben? Er soll die Freiheit haben alleine entscheiden zu können. Mit einem finsteren Blick schaut er auf die Mahnmale seiner Vergangenheit. Er hatte nur gelernt sich zu fügen und zu trotzen. Nadelstiche gegen seine Gefängnisse zu setzen. An den Ketten zu rütteln, die ihn an den verhassten Hof bannten. Und da stand der Kaisersohn und der mächtige Narr. Beide wirkten jetzt so klein, so verloren, so verletzbar. Er konnte ihnen antun, was die ihren ihm angetan haben. Er konnte den Kaisern den Garten entreissen und sie so aus ihrer Heimat vertreiben, dass sie nie wieder dorthin zurückkehren können. So wie er nie wieder zurück in seine Heimat konnte. Ein krächzendes Lachen kroch seine trockene Kehle hinauf. "Es ist nun die Zeit die Ketten der Chuan zu sprengen. Ihre fesseln an mich. Ihre fesseln an den Garten. Ihre fesseln an Tu. Ich bedaure euch Diyan. Ihr bleibt gefesselt an das Reich. Ihr wisst was kommen wird. Ihr werdet euch mit euren Brüdern streiten müssen um das Reich. Ihr seit an eure Verantwrotung für die Menschen und das Reich gekettet. Ihr könnt es ihnen nicht einfach überlassen. Ihr werdet mitansehen müssen, wie das Reich untergeht im Streit. Wenn ihr Glück habt, werdet ihr sehen wie es zu erblühen beginnt. Denn es wird wieder erblühen. Versammelt meine Verwandten am Hof. Holt Qiānbēi Irindiil zu euch. Lasst sie der Schlange des Nordens den Kopf abschlagen. Dann habt ihr euch nicht mehr um diesen Zerstörer zu kümmern."
Hong wendet sich abrubt vom Kaisersohn ab dem Tor zu. Er beginnt zu laufen. Ein volltönendes Lachen befreit sich aus seiner Kehle. "Freiheit von allen Ketten Chuangs." jauchzt er. "Und die Ketten des Körpers!" Im Lauf lässt er seinen Körper nach vorne fallen. Statt der Hände treffen Pfoten auf. Statt des Menschen Hong trabt nun ein Wolf auf das Tor zu. Die Zunge aus der Schnauze gehängt geniesst Hong der Wolf die letzten frischen Züge der Luft durch seinen Mund strömen. Ein Sprung in die Freiheit der Lüfte und Hong lässt sich als Adler durch die Lüfte gleiten. Bis ins Tor hinein. In die Freiheit vor dem Gefängnis aus Mauern. In die Freiheit vor dem Gefängnis der Erpressbarkeit. In die Freiheit vor dem Gefängnis seines Körpers.
Bitterer Tee, mit Wohlwollen dargeboten, schmeckt süßer als Tee, den man mit saurer Miene reicht.

Lu Chieng

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« Antwort #354 am: 15.03.2012, 15:40:44 »
Von den Ereignissen erschlagen glitt Lu Chieng an dem Baumstamm hinunter an dem er stand und betrachtete den Wechsel der Zeiten, nahm die Veränderungen der Gerüche in sich auf, die Blüte und das Welken der Bäume. Sein Blick glitt über die Landschaft und sein Herz war erfüllt von Freude. Zwar hatte er erst vor einigen Tagen selbst noch die Freiheit genossen, doch kamen sie ihm eher wie Jahre vor. Schon vor Ewigkeiten wurde er verhaftet, so kam es ihm vor.

Während er noch seinen Gedanken nach hing, lauschte er erst den Ausführungen Tǔs und dann dem Monolog des alten Mannes und dem von Hong Gil-dong. Mit Verwunderung nahm er ihre Opfer auf. Sie schienen sich für etwas Größeres zu opfern. Etwas Größerem welchen Lu Chieng nie unterlegen hatte, welches er nie Begriffen oder Durchdrungen hatte, nicht vollständig. Nachdem Xū und Hong verschwunden waren, blieb Lu Chieng an den Baum gelehnt sitzen, es fühlte sich an als würde er sich drehen, sein Blick wurde unscharf, das Atmen schwer. Schnell schloss er seine Augen und begann ruhig und tief zu atmen. Stunden schienen vergangen, doch waren es wahrscheinlich nur Minuten gewesen, denn wie gebannt starrten der Narr und der Kaisersohn auf das Portal.

Mühsam erhob sich Lu Chieng und machte ein paar Schritte auf einen der Äste zu, die von dem Baum abgebrochen waren. Fest griff den Ast, fühlte die Rinde an seiner Haut. Seinen Blick hatte er starr auf den Narren gerichtet, den Mann, dem sie dies alles hier verdankten. Dem Mann, der sie töten wollte, der Mann, der schon tausende vor ihnen getötet hatte. Mit wenigen Schritten stand er hinter dem Narren, der seinen Kopf drehte und Lu mit großen Augen anstarrte. Lu Chieng stellte sich breitbeinig hin und holte zu einem mächtigen Schlag aus und es war als würde er an dem Punkt, an dem er am Weitesten ausgeholt hatte erstarren. Lu Chieng schien der Blitz zu treffen anstatt Cu Bao der Ast.

Seine Gedanken schienen auf einmal klar zu sein. So klar wie seit Tagen nicht mehr, so klar wie noch nie. Es ging gar nicht um ihn, es ging nicht um das Reich, es ging nicht um den Kaiser. Es ging um seine Eltern um seine Bekannten aus seinem Dorf, aus dem er stammte. Es ging um alle die hungerten, hungerten nach essen, hungerten Frieden. Er erinnerte sich wie es war abends mit leerem Magen schlafen zu gehen, nachts aufzuwachen mit Magenkrämpfen vor Hunger und morgens aufzuwachen, hoffend das es heute etwas zu essen gab.
Der Ast verlor an Höhe, während Lu Chieng gebannt in die Ferne starrte.

Doch in dem Moment wo er sich entschieden hatte, glomm die Wut wie Kohle in seinem Magen wieder auf. Mehr Reichtum bedeutete nicht, dass die Armen mehr besaßen, sondern, dass die Reichen mehr forderten. Die, die ihr gesamtes Leben kein Hunger kannten, keine Not. Leute wie Cu Bao. Skrupellos, nur auf ihr eigenes Wohl bedacht. Lu Chieng umfasste den Ast fester und holte erneut aus.

Nur um den Ast wieder fallen zu lassen. Leute nur auf ihr eigenes Wohl bedacht. Bei dem Gedanken traten Lu Chieng Tränen in die Augen, nicht Leute wie sie, Leute wie wir. Wie oft hatte der Trickbetrüger Lu Chieng die Gutgläubigkeit von Menschen ausgenutzt. Wie oft hatte er genau von diesen Menschen mehr bekommen, als sie zu geben hatten. Wie viele Dörfer hatte er besucht und den großen Beamten vorgespielt. Wie oft hatte das Dorf ein Fest zu seinen Ehren gegeben nur um am nächsten festzustellen, dass er verschwunden war.

Wie durch einen Schleier sah er das Tor immer näher auf sich zukommen. Nicht wissen ob er sich auf das Tor zubewegte oder das Tor auf ihn. Kurz bevor er das Tor erreichte drehte er sich noch einmal um, erblickte den Garten, inhalierte seine Gerüche, spürte die Sonne auf seiner Haut, bevor er einen Schritt machte und wortlos verschwand.
"Furchtlosigkeit ist die Tugend der Narren. Sie entsteht nicht aus Mut, sondern aus mangelnder Vorstellungskraft. Der Weise fürchtet sich und lässt sich trotzdem nicht von seinem Weg abbringen. Er wird nur vorsichtig."

Mako Jinsei

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Das liederliche Spiel
« Antwort #355 am: 16.03.2012, 12:48:58 »
Vor wenigen Tagen wurde Mako in den Kerker geworfen. Eine kleine langsam zu Grunde gehende Pflanze als einziges Stück Natur wurde etwas später hinzugestellt. Nun entstand wie aus dem Nichts ein gewaltiger, sonderbarer, wunderschöner Garten um die Gefangenen herum. Und Tǔ war wieder da. Sie war es wohl die ganze Zeit, nur endlich sprach Tǔ wieder zu ihnen.
Mit offenem Mund betrachtete Mako das Schauspiel um sich herum, kniete sich hin und ließ seine Hände die Erde unter sich spüren. Während er sich umsah bildete sich eine Melodie in seinem Kopf. Er griff nach seiner Yueqin und begann zu spielen, das ewige Wandeln des Gartens zelebrierend. Aus jener Melodie bildeten sich weitere und bald war es Mako so, als könne er Zeitalter unter der Inspiration des Gartens weiterspielen, ohne eine Melodie zu wiederholen.

Nun verkündete Tǔ die Möglichkeiten, die sie hatten und Mako war es, als hätte seine Entscheidung festgestanden, seit der Ankunft im Garten. Doch er dachte noch ein wenig darüber nach, ohne mit dem Spielen aufzuhören.
Er war kein Mörder. Niemand konnte von ihm verlangen jemanden zu ermorden, gleich was das Opfer verbrochen hatte, gleich was danach geschehen würde. Er sah drei seiner Leidensgenossen in die Ungewissheit durch das Tor schreiten und Mako wurde bewusst, dass er nicht sterben wollte. Er wusste nicht wie das Jenseits beschaffen war, hatte bei derart religiösen Themen immer weggehört oder abgelenkt. Er war weder so alt wie Xū, noch so verdrossen und vom Leid geprägt wie Hong.
Außerdem, was kümmerten ihn die anderen Bewohner des Reiches, von denen er kaum etwas gehört hatte, bis zu seiner Gefangennahme. Er hat Jahre lang gut gelebt, ohne sich um andere kümmern zu müssen, hat sich selten länger als ein paar Wochen an Bekanntschaften erinnert und nun hat er erfahren wie schlecht es vielen Leuten im Reich geht, denen es auch so schlecht ging, als es Mako noch gut ging.
Sich opfern für Menschen, die er gar nicht kannte, bis vor kurzem gar nicht realisierte, dass es sie gab? Das käme ihm nicht in den Sinn.
Reichten nicht drei Opfer von den Denunzianten? Mussten wirklich auch die anderen ihre körperliche Existenz beenden um das Reich zu retten?

Mako ließ sich zurück fallen und schaute in die sich wandelden Baumkronen über ihn, während er die zweite Melodie anstimmte.
"Tǔ", begann er seine Entscheidung zu verkünden, "Ich bleibe hier."
"An einem edlen Pferd schätzt man nicht seine Kraft, sondern seinen Charakter." -Konfuzius

Sūn Ai

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Das liederliche Spiel
« Antwort #356 am: 17.03.2012, 19:31:09 »
Es war schwierig oder eher unmöglich etwas wie ein Zeitgefühl an jenem Ort zu haben, aber dauerte bis Sun sich entschieden hatte.

Der Fluch der Ungewissheit schien Sūn Ai immernoch zu verfolgen. Selbst der Garten schien keine Erlösung von ihrem Fluch zu bringen. Allem voran trafen Tus Worte sie tief. Er sprach genau von dem, was sie stets wollte: das Richtige tun. Wirklich darüber nachgedacht, hatte sie allerdings erst seitdem sie im Gefängnis war. Es schien allerdings, dass je mehr sie darüber nachdachte, umso mehr erfasst sie die Unsicherheit, umso mehr entfernt sie sich davon, überhaupt etwas zu tun. ‘...Manchmal verzweifeln wir auf unserer Suche nach dem Richtigen... , hallte es in ihrem Kopf nach.

In Geschichten, hört man stets von Helden, die große Taten vollbringen, die für eine größere Sachen einstehen. Sun war keine Heldin, lebte sie doch für sich alleine. Wie wohl viele Menschen, wahrscheinlich die meisten, war sie sich selbst am nächsten. Es gab in ihrem Leben keine Werte, wie zum Beispiel Gerechtigkeit oder Freiheit, und auch keine Personen für die sie lebte. Bisher hatte sie einfach geschaut das sie über die Runden kommt. Mit dem was sie kann, den nächsten Tag überlebt. Ihre Gedanken waren stets im hier und jetzt und nur hin und wieder mal in der Vergangenheit. An die Zukunft und ihr gesamtes Leben hatte sie keine Zeit verschwendet.

Jetzt stand Ai allerdings vor einer Entscheidung, die ihre bisherige Leichtigkeit des Seins auflöst, ja sogar unerträglich macht. Die ganzen letzten Tage hatten auf diesen einen Moment geführt, waren eine Vorbereitung. Ihr leben wurde auseinander gerissen an dem Tag, wo sie gefasst wurde und jetzt musste sie sich entscheiden. Vier Pfade wurden geöffnet, aber welchen sollte sie wählen. Welcher war der Richtige. Der Richtige für sie. Die Entscheidungen der Anderen waren für sie größtenteils nachvollziehbar mit dem Wissen, das Sun über sie besaß. Danshis  Wahl wirkte, wie die Konsequenz aus allem, was sie von ihm mitbekommen hat. Auch Hongs Suche nach Freiheit schien richtig. Mako schien eine Muse im Garten zu finden und die Musik war sein Leben.  Lus Wut konnte sie persönlich spüren. Sie selbst hätte gerne den Narren erschlagen, kam sie doch durch ihn in diese Situation. Allerdings war sie keine Mörderin und anscheinend auch Lu nicht.
Was sollte Sun tun? Was war die Konsequenz aus ihrem Leben?

Immernoch saß sie relativ reglos im Garten und folgte ihren Gedanken. Blickte umher in der Landschaft und betrachtete die Aktionen der Anderen.

Die größte aller Fragen, war ihr eigener großer Fluch. Was sollte sie tun? Was ist der Sinn des Lebens. Genauer gesagt, was ist der Sinn ihres Lebens. War sie doch soweit gekommen, dass jeder einen eigenen Sinn hat. Wichtig war es für etwas ein zu stehen, etwas zu riskieren, zu verlieren, zu suchen, zu finden, ... zu leben. Es ging nicht darum, das eine Richtige zu tun. Denn was war das eine Richtige. Wer vermochte es zu wagen, dies zu beurteilen und zu bewerten? Für seine Werte zu stehen und zu handeln, darum ging es. Was aber war die Konsequenz ihres Lebens?

Vier Pfade, das war alles worauf ihre Entscheidung runter gebrochen wurde. Vier aus einer Anzahl der Unendlichkeit. Alleine das schien zu viel für sie. Welchen Weg sollte sie nehmen?
Langsam steht sie auf und beginnt zu laufen. Immer in kleinen Schritten. Recht wirr. Mal läuft sie in eine Richtung, bleibt stehen und kehrt auf dem Punkt um.
Den Kaisersohn erschlagen? Eine Prophezeiung in Erfüllung bringen, dass war etwas das eine Heldin tat. Die Chuangs haben das Spiel mit gespielt, davon besessen an der Macht zu bleiben. Ihnen aber wirklich etwas vorwerfen konnte sie nicht. Was hätte sie, an ihrer Stelle getan? Hätte sie anders gehandelt? Schuld daran, dass der Garten sich schließt, wollte sie auch nicht sein.
Den Narren erschlagen? Er hatte sie in diese Lage gebracht. Ihm gebührt die Schuld. Die Strafe wäre verdient. War es das wert, den Garten zu vergiften? Nein, das bestimmt nicht. Sie war auch immernoch keine Mörderin, vor allem nicht ohne  Grund. Nicht für so einen Grund.
Langsam schritt sie zum Narren und Kaisersohn. Ihr Kopf ging löst sich von der Umgebung und fixiert die beiden.
“Was auch immer ihr jetzt tut, bedenkt, dass es mehr beeinflusst, als nur euer Leben.“
Ihr Blick beginnt wieder zu wandern, so wie sie selbst.
Sich opfern um den Garten zu befreien? Sich selbst für etwas größeres Aufgeben, war auch etwas, dass man von Helden erwartet. War sie nicht zu jung. Hatte sie nicht noch vor ein paar Tagen Angst gehabt vor dem Tod und hätte alles getan, um ihn zu umgehen? Wieso sollte sie so etwas tun, für jemanden den sie nicht kannte? Sich selbst aufgeben, konnte sie das wirklich?
Für immer im Garten bleiben? Es war ein wirklich schöner Ort. Zeigte er einem ständig, dass Leben. Zum Leben gehört aber auch der Tod und Verfall. Der Garten, aber war unendlich. War die Unendlichkeit etwas, dass sie ertragen konnte? Würde sie es aushalten oder würde die Unsicherheit sie verfolgen, sie sich jeden Tag fragen, ob sie dass Richtige getan hat?

Wie sollte sie sich entscheiden? Waren doch alle 4 Pfade nicht perfekt. Wieso konnte nicht ihr normales Leben weiter gehen? Sie hatte keine Probleme damals gehabt? Nichts vor sich gehabt, mit dem sie nicht klar gekommen ist?

Sun blieb stehen und wandte sich um. Das war es doch, was auch Teil des Lebens war. Neue Situation zu überwinden. Es geht nicht immer darum, dass Richtige zu tun. Sondern sich zu entscheiden nach dem eigenem Empfinden und mit dem zu Leben, was man getan hat und daraus zu lernen.
Langsam setzte sie sich wieder in Bewegung und Schritt zum Tor.
Der Tod. Eine Erlösung. Eine Entscheidung.

Shǎzi

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Das liederliche Spiel
« Antwort #357 am: 18.03.2012, 09:58:31 »
Verloren in der Zeit - Ewiger Tag

Und dann begann das Flackern wieder. Während einer nach dem anderen sich opferte, begann das Flackern wieder. "Was tut ihr? Was tut ihr? Ihr solltet doch mich zur Schlachtbank führen! Ich solltet doch mich zur Schlachtbank führen? Wie könnt ihr gegen den Willen des Ouroboros handeln? Wie..." Shǎzi gewann für einen Moment die Überhand und zeigte mit dem Finger auf den Kaisersohn. "Ihr seid der Letzte! Seid nicht das Letzte, Chuang Diyan! Seid nicht das Letzte! Nehm diesen Knüppel und richtet mich!"

Des Kaisersohnes Hand zitterte, welche Last er trug. Er stand auf, blickte sich im Garten um und atmete tief durch. Er ging an Mako vorüber und betastete die Rinde jener Bäume, welche zu Toren der Selbstaufopferung wurden, blickte dann wieder auf den verfallenden Garten. "Ich weiß nicht viel, vielleicht weiß ich nichts. Dieser Garten hat mir vor Augen geführt, dass ich gar nichts weiß. Vielleicht hat es mir gar gezeigt, dass all mein Wissen um Krieg und mein Reich mir nichts nützte, denn es war ein Wissen in Ketten. Aber ich erkenne, dass ihr vergiftet seid, Narr, und dass Chuangs Herrschaft enden wird, wenn ich euch erschlage, obgleich ich es nach euren Taten fast so sehr ersehne, wie ihr es tut."
Shǎzi sprang auf, stürmte zu dem Knüppeln und warf einen je Mako und Chuang Diyan zu. "Palavert nicht über Wissen und Erkenntnis, schlagt den Schädel mir ein!"
Doch der Kaisersohn schüttelte entschieden mit dem Kopf und warf den Knüppel heraus in die bewaldete Landschaft, wo er sich in ein paar Ästen verfing und hängen blieb. "Ich kann nicht zurückgehen nach Chuang und ich kann die Dinge nicht mehr ändern. Zu viele haben sich geopfert für eine bessere Welt. Und wer sagt, dass ein Garten für alle und eine weise Herrschaft Chuangs sich ausschließen? Und wer sagt, selbst wenn sich das ausschließt, dass die Welt der weisen Chuangs bedarf? Vielleicht ist Weisheit nichts außer eine räudige Floskel für jene Ideale, die wir anstreben und doch nicht verstehen. Was interessiert mit jetzt noch Reichsräson, wenn die Wahrheit mein Reich transzendiert? So will ich auch transzendieren, auch wenn die Furcht mein Herz zu zerreißen droht." Er zeigte mit dem Finger auf den Narren, welcher auf den Knien um seinen Tod bettelte.
"Seht ihr, Narr! Auch ich bin voll der Furcht, obgleich ich 10.000[1] Männer in der Schlacht geschlagen habe. Ich habe dem Tod auf dem Schlachtfeld so oft in die Augen geblickt und dennoch ist die Furcht immer geblieben und die Angst. Beides hat sich nicht vertreiben lassen. Wenn ich die Furcht auf dem Schlachtfeld so verlieren drohte, gewann ich die Furcht tatenlos im Bett an einer Krankheit zu sterben. Und ich habe diese Furcht noch immer, die Furcht umsonst zu sterben, und die Angst, was mir geschieht, wenn ich transzendiere. Aber es geht nicht mehr um mich, das habe ich jetzt verstanden, da selbst ein unschuldiges Mädchen sich opfert."
Dann wandte der Kaisersohn sich um, ohne einen Blick auf den Narren zu werfen und durchschritt das Tor.

Der Narr sprang auf und warf selbst den letzten Knüppel in den Wald. "Niemand will sich meiner erbarmen. Verdammtes Pack! Aber so ist der Menschen Wille. Sie kümmern sich nur um das Gesunde, um das Reine. Alles andere verachten sie, alles andere verdammen sie. Ihre Gnade ist das...."
Mako sah, wie der Narr mit einem Mal verschwand und Bu Cao vor ihm stand, mit glasigen, alkoholisierten Blick, zusätzlich berauscht von der Schönheit des Gartens. Er berührte Mako an der Schulter, er weinte vor Freude.

Die Gärten der Erlösung findet nur,
Wen stete Sehnsucht nach Erlösung leitet.
Der Kindheit Unschuld weist die leise Spur,
Doch klarer Glaube sichere Schwingen breitet.

Die Rosen leuchten dort in ruhigem Rot,
Sie spiegeln alle der Erlöser Wunden.
Von ihrem Glanz wird bleicher selbst der Tod -:
Doch, die Versöhnung suchen, werden all gesunden.[2]


Dann trat auch Bu Cao durch das Tor, in seine Erlösung.
 1. 10.000 als Zahl der Unendlichkeit
 2. nach Karl Ernst Knodt
« Letzte Änderung: 18.03.2012, 10:31:39 von Menthir »

Menthir

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Das liederliche Spiel
« Antwort #358 am: 18.03.2012, 10:26:41 »
Epilog

Gāo, Táng und Jiǎ spielten im Dreck des inzwischen trockenen Fluss Wāo. Als die drei Jungen von ihren Müttern geboren wurden, floss noch ein Rinnsal durch das, was den Geschichten nach, mal ein mächtiger Fluss gewesen sein soll. Das Flussbecken war tief, der Fluss hatte einstmals tiefe Spuren in das Land gegraben. Gāo, Táng und Jiǎ hörten sich gerne die Geschichten der Alten an. Sie erzählten Geschichten darüber, dass das karge Land mit dem roten Sand einstmals bewachsen waren und sie zeigten den Kindern die merkwürdigen Strukturen im Umland, die einstmals wunderschöne Reisterassen gewesen sein sollen und dann gab es noch den uralten Ginkgo[1]. Ein massiver Baum, bei dem sich nicht einmal Tángs Großvater, ein Mann der mindestens achtzig Sommer erlebt hatte und ein ruhiges, freundliches Gemüt hatte, daran erinnern konnte, dass dieser Baum jemals eine Knospe trug.

Gāo, Táng und Jiǎ , sie spielten im Dreck, weil sie nichts mehr hatten. Provinzbeamte hatten ihrem Dorf das letzte Gold genommen und Reiternomaden hatten die Viecher entführt, doch sie spürten nicht dieselbe Verzweiflung, die ihre Eltern spürten. Sie wussten zwar, dass Gāos und Jiǎs Großeltern, die sie sehr mochten, verstorben waren, aber sie wussten nicht, dass ihre Großeltern in die Berge getrieben wurden, um dort zu sterben[2]. Dass man sie in die Berge getrieben hatte und sie gegangen waren, damit die anderen im Dorf genug Nahrung hätten und mit den spärlichen Wasservorräten bis zum nächsten Regen auskommen würden. Gāo, Táng und Jiǎ, sie hatten gehört, dass ihre Väter gestritten hatte, dass man den langen Marsch durch die Ebene antreten müsse, um Wasser zu finden und ein Überleben zu finden, doch sie hatten auch Angst, weil viele die Reise wohl nicht überleben würden. Sie alle hatten Angst, auch Gāo, Táng und Jiǎ, aber sie spielten auch gerne. Die ganzen Eltern des kleinen Dorfes waren zusammenzukommen, um ein letztes Mal zu beraten, ob sie nun zögen oder auf die Regenzeit warten sollten. Die Nahrungsvorräte waren knapp und das Wasser fast verbracht. Vielleicht müssten noch mehr Ältere in die Berge zum Sterben gehen, damit Gāo, Táng und Jiǎ leben durften. Das Alte, es sollte dem Jungen Platz machen. Doch die drei Jungen, sie spielten trotzdem.

Die Sonne brannte heiß, als sie das leere Flussbett entlang wanderten und sie überlegten sich, dass sie in den Schatten gehen sollten, um sich nicht die Haut schmerzhaft zu verbrennen. Táng war das einst passiert, er sah aus wie der rote, trockene Sand. Schnell rannten sie zum alten Gingko, um sich hinter seiner breiten Rinde und den mächtigen Ästen vor der Sonne zu schützen. Und während sie darüber sprachen und lachten, wie Jiǎ beim Spielen in den Lieblingskrug seiner Mutter gefallen ist und sein Gesäß nicht mehr befreien konnte, bis seine Mutter den Krug mit wütender Miene zerschlug, blickte Gāo nach oben in die Äste der Bäume und da sah er es.
Schnell liefen sie nach Hause, um den Älteren von ihrer Entdeckung zu erzählen. Ein Wunder war geschehen.
 1. Gingko
 2. In manchen japanischen Provinzen, gerade in armen Provinzen, war es üblich, dass man alte, hilflose Menschen die Berge trieb -oder sie auch ging -  in Zeiten der Not, damit die jüngeren Menschen nicht an der Not starben. Dasselbe kennt man von iranischen Bergvölkern oder auch bei den Indianern.
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

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